Nach Corona: Ein sinnvoller Neustart

Seite 5: Die Strategiedebatte der Linken und die Arbeitskraft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bei den technischen Systemen müssen wir nur neue Technologien implantieren und Überholtes aussondern, um sie zukunftsfähig zu machen. Aber die Systeme als solche bleiben mit ihrer Grundstruktur erhalten und wir können deshalb mit entsprechender Sachkenntnis relativ exakt vorhersagen, welche Veränderung welche Wirkungen haben wird.

Beim Gesellschaftssystem können wir das nicht, weil wir hier an die Grenzen des kapitalistischen Systems stoßen.

Ich denke, dass es Zeit ist, dass die Linke eine breite Diskussion über unsere Zukunft beginnt. Und zwar nicht mit Schlagworten und Phrasen, sondern mit Inhalten. Leider war die Strategiedebatte der Linken in Kassel ein abschreckendes Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.

Nicht nur, dass die eigentlich überflüssige Frage "Wollen wir regieren oder lieber nur Opposition sein?" wieder einmal ausgiebig behandelt wurde, obwohl klar ist, dass unsere Wähler uns wählen, damit wir regieren (wenn wir denn genügend Stimmen bekommen).

Und auch die Skandale, die ein Tim Fürup mit seinem Beitrag ebenso verursachte wie die Berliner Genossin, die die Reichen erschießen wollte, sind zwar unverzeihlich, aber nicht das Schlimmste. Von solchen Fehlleistungen einzelner kann und muss man sich distanzieren und ggf. auch personelle Konsequenzen ziehen.

Viel schlimmer ist: In Kassel fand eine Strategiekonferenz statt. Dort hätte die Linke nicht nur einen neuen Aufguss ihrer alten Forderungen präsentieren müssen, es wäre vielleicht sinnvoller gewesen, mal die aktuelle Lage im Jahr 2020 zu analysieren und zu schauen, welche Herausforderungen in Zukunft auf uns zukommen und welche Möglichkeiten und Antworten wir als Reaktion darauf haben.

Ein ordentliches Energie- und Verkehrskonzept könnte hierfür ein guter Einstieg sein. Aber das reicht nicht. Wir haben vorrangig kein Produktions- oder Versorgungs-, sondern ein Verteilungsproblem. Und wir können für die Probleme von 2020 nicht die Lösungen von 1920 anbieten.

Ein Grundelement des Kapitalismus ist der Profit. Laut Marx ist der Mehrwert der Teil des Wertes der durch die menschliche Arbeit geschaffen wird, der nicht zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft benötigt wird und den sich der Unternehmer als Profit aneignet.

Wenn die menschliche Arbeit und die Ware Arbeitskraft wegfällt, fällt auch der Profit weg und das ganze kapitalistische System kann nicht mehr funktionieren. Das erleben wir gerade. Durch die Automatisierung und Digitalisierung wird die Arbeitsproduktivität ins Unermessliche gesteigert.

Da die Produktion aber nicht ins Unermessliche gesteigert werden kann, werden immer weniger Arbeitskräfte benötigt. Dadurch kommt es zwangsläufig zu einem Überangebot der Ware Arbeitskraft und ihr Preis verfällt.

Die Folge: Dumpinglöhne in In- und Ausland.

Der Bedarf an der Ware Arbeitskraft wird sich weiter verringern und irgendwann gegen Null gehen. Damit gibt es dann in der Produktion keinen Bedarf an Menschen mehr und in wie weit im Dienstleistungssektor noch Menschen benötigt werden, ist fraglich (In Japan gibt es bereits heute selbst für das horizontale Gewerbe Roboterpuppen, die auch einfache Konversationen führen können. Eine absolute Perversion der Digitalisierung).

Wenn der Profit wegfällt, muss der ganze, darauf aufgebaute Kapitalismus zusammenbrechen und durch etwas Neues ersetzt werden.

Die Frage ist nur, wie sieht diese neue Gesellschaftsordnung aus, wie funktioniert sie? Und wie schaffen wir die Transformation dorthin? Möglichst ohne Krieg und Bürgerkrieg.

Und bevor unsere ökologischen Lebensgrund durch kapitalistischen Raubbau total zerstört sind.

Die Linke hat auf der Kasseler Konferenz ein ziemlich großes Sammelsurium von Forderungen und Zielen vorgelegt: Schuldenbremse weg, keine Kriegseinsätze der Bundeswehr, keine Privatisierungen und deutliche Verbesserungen bei Löhnen und Sozialleistungen, Abschiebungen aussetzen, Paragraph 219a abschaffen und die Einheit von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit.

Alles gut und richtig und auch wichtig. Was aber fehlt, ist eine Vision, eine Vorstellung, wie unsere zukünftige Gesellschaft aussehen und funktionieren soll.

Wir haben teilweise sehr gute und richtige Ansätze, verkaufen sie aber völlig unter Wert. Z.B. das Bedingungslose Grundeinkommen. Dass das Bedingungslose Grundeinkommen notwendig ist und kommen muss, begründen wir sozial. Völlig richtig, aber nicht ausreichend.

Gegen die soziale Begründung und eine gute Versorgung der Arbeitslosen und der ganzen, nicht berufstätigen Bevölkerung wird aus konservativen und neoliberalen Kreisen seit langem mediales Sperrfeuer geschossen. Obwohl Harz IV wirklich nicht üppig und auch nicht bedingungslos ist, wird alles getan, damit es möglichst gering bleibt und die Empfänger gesellschaftlich als faul und arbeitsscheu stigmatisiert werden.

Es gibt sogar ein gesetzliches Abstandsgebot zu den untersten Arbeitseinkommen. Dabei sollten wir uns mal langsam darüber klar werden, dass Harz IV auch allen nützt, die es nicht beziehen. Auf diese Weise wird nämlich Kaufkraft geschaffen, wodurch die Wirtschaft am Laufen gehalten wird.

Das bedingungslose Grundeinkommen

Das wird umso wichtiger, je mehr Menschen aus der Produktion ausgesondert werden. Deshalb ist das bedingungslose Grundeinkommen nicht nur aus sozialen, sondern auch aus volkswirtschaftlichen Gründen zwingend notwendig. Das "Helikoptergeld" von Donald Trump geht übrigens in die gleiche Richtung.

Allerdings wird durch ein bedingungsloses Grundeinkommen der Druck, jede schlechtbezahlte Arbeit anzunehmen, beseitigt. Dadurch werden sehr viele, z.Zt. schlechtbezahlte Jobs, wie Verkäuferin auf 450 Euro Basis, Altenpflegerin usw. noch unattraktiver und das gesamte Lohngefüge wird sich verschieben.

Dazu kommt noch das neoliberale Glaubensdogma von der Leistungsgesellschaft, wonach der mehr verdienen soll, der mehr arbeitet. Stimmt zwar sowieso nicht, denn am meisten bekommen diejenigen, die von der Rendite ihres ererbten Kapitals leben, wird aber mantraartig wiederholt und von einem großen Teil der Bevölkerung geglaubt. Wenn wir aber durch die Automatisierung und Digitalisierung keine Menschen mehr in der Produktion brauchen, ist die ganze Leistungsgesellschaft überholt.

Es wird allerdings auch in Zukunft noch notwendige menschliche Arbeit geben, nur wesentlich weniger als heute. Dagegen hilft nur, die Arbeit gerecht zu verteilen und die Arbeitszeit drastisch zu verringern.

Allerdings ist auch nicht jeder für die zukünftigen Aufgaben geeignet. Hauptsächlich wird es sich um Tätigkeiten wie ärztliche Versorgung, Krankenpflege, Unterricht, Kinderbetreuung, Polizei, Altenpflege usw. handeln. Diese Arbeiten müssen geleistet werden. Wer für eine solche Tätigkeit nicht geeignet ist, darf deshalb aber nicht diskriminiert werden.

Dazu kommt, dass wir auch noch ein Demokratieproblem haben. Im Grundgesetz steht: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt."

Leider wurde das parlamentarische System mittlerweile von den Lobbyisten übernommen und ausgehebelt. Die wirkliche Macht in unserem Staat haben die Banken, Fondsgesellschaften und Industrieverbände. Diese geben über ihre Lobbyisten den Politikern vor, was die zu beschließen haben. Die wirkliche Macht im Staate wird von den Managern dieser Gesellschaften ausgeübt. Und diese sind nicht demokratisch legitimiert. Offenbar ist das gesamte System degeneriert.

In Talkshows wird immer von Eliten, die unsere Gesellschaft anführen und leiten, geredet. Wer sind diese Eliten? Wer bestimmt, wer Elite ist und wer nicht? Und nach welchen Kriterien?

Natürlich könnte man die Macht der derzeit Mächtigen in der Bundesrepublik ganz einfach brechen. Ihre Machtgrundlage ist das Privateigentum an Produktionsmitteln und wenn man das verstaatlicht bzw. vergesellschaftet, bricht man ihre Macht. Dummerweise ist damit aber nichts gewonnen. Man hat dann Staatsbetriebe, die von Managern geleitet werden müssen, die die Politiker einsetzen. Was dabei herauskommt, kann sich jeder am BER anschauen.

Letztendlich haben die Manager der Staatsbetriebe im Endeffekt die gleiche Macht wie die jetzigen, und ob sie einen besseren Job machen, ist auch sehr fraglich. Eher nicht, wenn sie auch noch auf alle möglichen parteipolitischen Sonderwünsche Rücksicht nehmen müssen. Auch das genossenschaftliche Modell, das in Titos Jugoslawien ausprobiert wurde und bei dem die Belegschaft demokratisch über alle Entscheidungen im Betrieb abstimmt, hat nicht funktioniert.

Der Autor denkt, es ist höchste Zeit ist, ergebnisoffen über die angesprochenen Probleme zu diskutieren und eine Vision zu entwickeln, wie es weitergehen soll.

Wir müssen uns aber darüber klar werden, wie wir in Zukunft leben wollen und wie die Gesellschaft, in der wir leben, aussehen soll. Und dann müssen wir diese Gesellschaft errichten. Natürlich gehört zur Gesellschaft auch die Wirtschaft und diese muss nach der Krise wieder zum Laufen gebracht werden. Dazu braucht es dann auch staatliche Konjunkturprogramme.

Aber zuerst müssen wir klar festlegen, in welche Richtung die wirtschaftliche Entwicklung gehen soll und dann die Förderprogramme an diesen Zielen ausrichten. Sonst gehen die Programme nämlich nach hinten los und verschlimmbessern die Lage nur.

Ein warnendes Beispiel hierfür könnten die gegenwärtigen chinesischen Konjunkturprogramme sein, bei denen aus Renditegründen die Kohleverstromung gefördert wird, obwohl der Führung in Peking die Umwelt- und Klimaschutzprobleme lange bekannt sind.

Die Coronakrise ist vielleicht ein guter Zeitpunkt für einen Neuanfang, denn erstens haben wir durch den Lockdown etwas Zeit, gründlich nachzudenken und uns mit den Problemen in Ruhe zu befassen und zweitens können wir nach der Krise sowieso nicht dort weitermachen, wo wir aufgehört haben. Es muss und wird sowieso einen Neustart geben. Den sollten wir nicht vermasseln.