Nach Tötung von Hamas-Führer in Beirut: Droht Israel und USA großer Krieg?

David Goeßmann

Israelische Streitkräfte im Gazastreifen. Bild: Screenshot Democracy Now

Israel könnte mit Drohnenangriff rote Linie überschritten haben. Hisbollah spricht von Vergeltung. Auch US-Streitkräfte könnten von Eskalation erfasst werden.

Die Angst vor einem offenen Krieg zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah hat sich gestern verstärkt, nachdem ein mutmaßlicher israelischer Drohnenangriff Berichten zufolge einen hochrangigen Hamas-Funktionär in der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet hatte.

Der Angriff droht nun die Region, die von Israels Bombardierung vom und Invasion in den Gazastreifen seit Monaten erschüttert wird, zu entzünden. Der Ministerpräsident des Libanon, Najib Mikati, der weitere Gewalt in der Region befürchtet, bezeichnete den Mord als "neues israelisches Verbrechen, das nach den täglichen Angriffen im Süden [des Libanon] eine neue Phase des Konflikts einleiten soll".

Die Nachrichtenagentur Reuters beruft sich auf drei anonyme Quellen aus dem Sicherheitsapparat und libanesische Nachrichtenagenturen und berichtet, dass bei einem israelischen Drohnenangriff auf ein Bürogebäude in dem dicht bevölkerten Beirut-Vorort Dahieh Saleh al-Arouri, der stellvertretende Vorsitzende des politischen Flügels der Hamas und einer der Gründer des militärischen Arms der Gruppe, getötet wurde.

Israel hält sich bedeckt

Bei dem Angriff wurden auch mehrere andere Personen getötet, wobei Reporter vor Ort beobachteten, dass "Gliedmaßen und andere Körperteile am Straßenrand zu sehen waren".

Ein Hamas-Beamter, Bassem Naim, bestätigte gegenüber Associated Press, dass Arouri bei dem angeblichen israelischen Drohnenangriff getötet wurde. Israel hat sich bisher nicht dazu geäußert, ob es den Angriff durchgeführt hat.

Der Anschlag ist der erste gezielte Mord an einem Hamas-Funktionär außerhalb der palästinensischen Gebiete seit dem Angriff der Palästinensergruppe auf israelisches Gebiet am 7. Oktober.

Mark Regev, ein Berater des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, erklärte gegenüber MSNBC, dass Israel nicht die Verantwortung für diesen Anschlag übernommen habe, aber "wer auch immer es getan hat, es muss klar sein: Dies war kein Angriff auf den libanesischen Staat".

Hisbollah: "Schwerer Angriff auf den Libanon"

"Wer auch immer das getan hat, hat einen chirurgischen Schlag gegen die Hamas-Führung ausgeführt", sagte Regev in dem Interview.

In einer Erklärung vom Dienstagabend bezeichnete die Hisbollah das Attentat als "schweren Angriff auf den Libanon" und nannte es eine …

gefährliche Entwicklung im Verlauf des Krieges zwischen dem Feind und der Achse des Widerstands ..., [die] nicht ohne Antwort oder Bestrafung bleiben wird. Der Widerstand hat den Finger am Abzug.

"Wenn Israel einen größeren Krieg mit der Hisbollah auslösen will, ist die Bombardierung eines Ziels in Beirut genau das richtige Mittel", schrieb Firas Maksad, ein leitender Mitarbeiter des Middle East Institute, als Reaktion auf die Explosion. "Die Hisbollah wird nun die Eskalationsleiter hinaufsteigen und in gleicher Weise antworten müssen".

Ernste Eskalation

AP stellte fest, dass "Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah geschworen hat, Vergeltung zu üben, wenn Israel palästinensische Vertreter im Libanon ins Visier nimmt".

Seit dem 7. Oktober haben zwischen Israel und der Hisbollah zunehmend und immer intensivere Feuergefechte stattgefunden. Der Nahost-Analyst Omar Baddar erklärte, dass der Israel zugeschriebene Angriff in Beirut "eine äußerst ernste Eskalation" darstelle.

Ein Bombenangriff auf Beirut oder seine Vororte wurde von der Hisbollah schon lange als rote Linie bezeichnet, die erhebliche Vergeltungsmaßnahmen nach sich ziehen würde. Alle Augen sind jetzt auf den Libanon gerichtet.

Für heute ist eine Rede des Hisbollah-Führers Nasrallah geplant, bei der sich zeigen könnte, ob die libanesische Gruppe beabsichtigt, ihre Angriffe auf Israel auszuweiten.

Hisbollah wird tiefer in Israel eindringen

Die Hisbollah werde "definitiv" auf den Angriff mit Eskalation reagieren, aber gleichzeitig versuchen, einen großen Krieg mit Israel zu vermeiden, sagt Trita Parsi vom Quincy Institute.

Auf X, früher Twitter, schrieb er: "Stattdessen wird die Hisbollah wahrscheinlich tiefer in Israel eindringen, ohne dabei ihre neuen Fähigkeiten offenzulegen." Allerdings könnte ein solcher Schritt …

sehr wohl einen großen Krieg auslösen, insbesondere wenn die Aktion sehr erfolgreich sein sollte.

Der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, äußerte sich nicht direkt zu der Tötung des Hamas-Führers, sagte aber, das Militär befinde sich in "sehr hoher Bereitschaft in allen Bereichen, in der Verteidigung und im Angriff. Wir sind auf jedes Szenario bestens vorbereitet".

Verdeckter Krieg: Israel, USA vs. Iran und Verbündete

Der Angriff ist die jüngste Eskalation in einem seit Monaten andauernden verdeckten Krieg zwischen den USA und Israel auf der einen Seite und dem Iran und seinen regionalen Verbündeten auf der anderen Seite.

In Syrien und im Irak wurden US-amerikanische Streitkräfte seit Oktober mehr als 100 Mal von iranfreundlichen Milizen angegriffen, wobei es einige Verletzte, aber keine Toten gab.

Die USA antworteten mit Gegenschlägen. Bei einem israelischen Luftangriff wurden am Wochenende in Ostsyrien mehr als 20 Menschen getötet, darunter mehrere Hisbollah-Mitglieder.

In der Zwischenzeit haben die Huthi im Jemen die zentrale Schifffahrtsroute durch das Rote Meer – und damit die Durchfahrt durch den Suezkanal – sehr stark eingeschränkt, indem sie Handelsschiffe angriffen, von denen sie behaupten, sie stünden in Verbindung mit Israel. Die USA haben eine internationale Task Force gebildet, um die Angriffe zu stoppen. Am Samstag haben sie mindestens drei Huthi-Boote versenkt, als diese versuchten, ein Frachtschiff zu entern.

Wann zieht Biden die Reißleine?

Während die Region Richtung großer Krieg taumelt, werden die Stimmen lauter, die insbesondere von den USA fordern, dass sie ihren Widerstand gegen eine Waffenruhe im Gaza-Krieg aufgeben.

Der effektivste Weg zur Deeskalation ist ein Waffenstillstand im Gazastreifen,

argumentiert Trita Parsi. Eine Beruhigung der Feindseligkeiten dort würde wahrscheinlich die Angriffe der Huthi sowie die auf US-Stützpunkte im Irak und in Syrien beenden. "Biden unterstützt nicht nur die blutigen Angriffe und die ethnische Säuberung in Gaza, sondern versagt auch zunehmend dabei, die US-Amerikaner in Sicherheit und die Vereinigten Staaten aus dem Krieg herauszuhalten."