Nach Verschwörungs-Anklage: Wie stehen die Chancen Donald Trumps auf einen Wahlerfolg?
Trump im Angriffsmodus. Archivbild (2020): Gage Skidmore / CC BY-SA 2.0
Wahlkampf für Präsidentschaftswahl wird härter denn je. Ein Großteil der Wählerschaft der Republikaner glaubt den Fiktionen des Ex-Präsidenten. Wie sehr profitieren die Demokraten von der Anklage?
Hat sich denn die ganze Welt gegen Donald J. Trump verschworen? Wenn man seinen Fans am rechten Rand Glauben schenkt, ja. Feststeht, ein neues rechtliches Verfahren des US-Justizministeriums (DOJ) bringt den ehemaligen Präsidenten ernsthaft in Bedrängnis.
In der Anklageschrift wird dem Präsidenten vorgeworfen, sich wissentlich zum Zweck der Wahlmanipulation mit ungenannten Dritten verschworen zu haben.
Trumps herkömmliche Taktik, Richterschaft und Geschworene davon zu überzeugen, Straftaten "nicht wissentlich oder willentlich" begangen zu haben, könnte aufgrund der Beweislast dieses Mal als Ausrede ausfallen.
Erste Folgen im Wahlkampf
Die anhaltenden rechtlichen Probleme des ehemaligen Präsidenten zeitigen schon jetzt erste Folgen im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2024. Trotz Donald Trumps ungebrochener Dominanz der Konkurrenz in der Republikanischen Partei könnte seine derzeitige Lage den einen oder anderen Kandidaten dazu animieren, direkter gegen den Liebling der Wählerbasis der Republikaner vorzugehen.
Nach einem absoluten Umfragetief und einem Wahlkampagnen-Relaunch scheint Gouverneur Ron DeSantis endlich auf den Trichter gekommen zu sein, dass er, um Trump ernsthaft Konkurrenz machen zu können, nicht umhinkommen wird, den Ex-Präsidenten verbal anzugreifen.
"Natürlich hat er verloren", sagte DeSantis über Trumps Wahlergebnisse vom Herbst 2020 im Gespräch mit NBC-News: "Joe Biden ist der Präsident."
Eigentlich sollte es sich für einen Herausforderer Trumps geradezu aufdrängen, immer wieder auf dessen Versagen bei den letzten Wahlen hinzuweisen. In einem ernst zu nehmenden Vorwahlkampf kämen auch Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gar nicht darum herum, Trumps Selbsterzählung als ewigen Gewinner infrage zu stellen.
Denn nach einer verlorenen Präsidentschaftswahl und dem eher dürftigen Abschneiden von Make-America-Great-Again (MAGA)-Kandidaten in den Zwischenwahlen müssten eigentlich andere Republikaner die Chance bekommen, den angeschlagenen Präsidenten Joe Biden mit der nächsten Präsidentschaftswahl aus dem Weißen Haus zu jagen.
Großteil der Wählerschaft der Republikaner glaubt Trumps Lüge
Jedoch sind alle Trump-Rivalen mit dem Problem konfrontiert, dass Trump seine Wahlniederlage niemals zugegeben hat, und dass ein Großteil der Wählerschaft der Republikaner seine Lüge vom Wahlbetrug glaubt.
Laut einer Umfrage des Fernsehsenders CNN ist der Anteil der Republikaner und der mit der GOP sympathisierenden unabhängigen Wählerinnen und Wähler, die der Meinung sind, dass der Wahlsieg von Präsident Joe Biden im Jahr 2020 nicht rechtmäßig war, im Vergleich zu Beginn dieses Jahres wieder angestiegen.
Insgesamt sind 69 Prozent der Republikaner und Republikaner-nahen Unabhängigen der Meinung, dass Bidens Sieg nicht rechtmäßig war. Zu Beginn des Jahres waren es nur 63 Prozent.
Kein Wunder also, dass Ron DeSantis mit 17 Prozent weiterhin so weit hinter Trump zurückliegt. Doch wer weiß, welchen Effekt eine Verurteilung Trumps auf die öffentliche Meinung auslösen würde?
"Diktatorisches Regime"
In einer Erklärung von Trumps Wahlkampagnenteam ließ der ehemalige Präsident verstehen, dass er die Anklage des Justizministeriums als Versuch der Biden-Regierung sehe, sich in die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen 2024 einzumischen.
Die Anklage und die damit verbundenen Anschuldigungen erinnere "an Nazi-Deutschland in den 1930er-Jahren, die ehemalige Sowjetunion und andere autoritäre, diktatorische Regime".
Trump nimmt die Anklageschrift selbstverständlich sehr ernst und versucht deshalb, den Prozess und damit auch den Pool an potenziellen Jury-Kandidatinnen von Washington D.C. nach West Virginia zu verlegen.
Auch Trumps gereizte Reaktion ("wirklich sehr bösartig") auf einen Kommentar der Demokratin Nancy Pelosi, in dem sie Trump als "sad puppy" bezeichnete, zeigt, wie sehr die aktuellen Ereignisse dem ehemaligen Präsidenten unter die ohnehin schon dünne Haut gehen.
Der Sturm aufs Kapitol
Mit seinen Kommentaren befeuert Trump allerdings Verschwörungsnarrative, die schon einmal am 6. Januar für Aufruhr auf dem Kapitol, und damit zu einem der am größten angelegten Ermittlungsverfahren in der US-Geschichte geführt haben.
Laut NPR wurden bereits im März dieses Jahres über tausend mutmaßliche Randalierer und Aufständische des "Sturms auf das Kapitol" angeklagt. Die Verurteilungsrate ist hoch, auch wenn die Strafen oft geringer ausfallen als von der Staatsanwaltschaft gewünscht oder vom Gesetz vorgesehen.
Es sind diese Menschen, die Trump treuen Maga-Fans und QAnon-Anhänger, die bereit waren, für ihren Präsidenten das Kapitol zu erstürmen. Die heute noch glauben, dass Trump die Wahl gewonnen hat, dass die Präsidentschaft von Biden nicht legitim ist und die aktuellen Ermittlungen gegen ihren Anführer Teil einer Verschwörung.
Das "Endspiel": Reaktionen in der Szene der QAnon-Anhänger
Interessanterweise sehen einige der QAnon-Follower Trumps Anklage und Prozess auch als Chance, die breite Öffentlichkeit von ihrer Weltsicht zu überzeugen.
In der Szene hat sich schon länger das Narrativ durchgesetzt, ein alter "Q-Drop" (Post des mysteriösen Q -Accounts), der sich auf die Verurteilung einer Berühmtheit bezieht und durch diese eine Verschiebung der öffentlichen Meinung prophezeite, habe damit tatsächlich eine Verurteilung Trumps gemeint.
Dieser Argumentation zufolge wird Trumps Prozess die Korruptheit seiner Widersacher offenlegen und ein Großteil der US-Bevölkerung würde zum richtigen also Glauben an Q bekehrt. Eine Märchenerzählung, die sich Menschen einreden, die sowohl von "Q" als auch von Trump enttäuscht wurden, aber weiterhin an ihre eigene Version der Realität glauben müssen, wie zum Beispiel der QAnon-Schamane, gegen den im Zuge der "January 6th"-Ermittlungen ermittelt wird.
Politische Waffen
Nun könnte man diese Form der dumm-treuen Anhängerschaft als unbelehrbar bezeichnen, doch sollte man die Schuld nicht ausschließlich bei den Verwirrten und Verleitete des digitalen Zeitalters suchen, sondern auch bei denen, die diese Menschen als politische Waffe benutzen.
Also Trump, der indessen vor Gericht steht, aber auch Stephen Bannon, der seinen Podcast War Room nutzt, um Verschwörungstheorien zu befeuern, und Q-Anon-Filme wie den "Sound of Freedom" zu bewerben.
Steve Deace, ein ehemals entschiedener Anti-Trump-Konservativer, der sich schließlich auf die Seite des zweimal angeklagten Ex-Präsidenten und seiner Wahllügen schlug, erklärte am Mittwoch, die Anklage gegen Trump sei nichts anderes als ein "Attentat" und das "Endspiel"
In seiner Show auf Blaze TV warf der Moderator den Demokraten dann noch ganz nebenbei eben jene Verbrechen vor, deren eigentlich Trump angeklagt ist.
"Ihr werdet nicht für Donald Trump stimmen können. Ihr werdet nicht für Donald Trump stimmen können. Wir sind jetzt im Endspiel", rief der rechtsgerichtete Moderator. "Das ist ein Attentat! Sie haben die letzte Wahl rückwirkend gestohlen. Sie werden diese Wahl präventiv stehlen. Ihr werdet Donald Trump nicht mehr wählen können. That's the point!"
The Daily Beast
Es ist nicht leicht auseinanderzuhalten, welche Anhänger und Verbreiter der Wahlbetrugslüge aus zynischem politischem Kalkül, aus eigener Überzeugung oder einfach aus Eigennutz handeln.
Was ist dran am Vorwurf einer koordinierten Attacke?
Aber könnte an ihren Anschuldigungen, bei all den Anklagen gegen Trump handle es sich um eine koordinierte Attacke demokratischer "Legaten", nicht ein Körnchen Wahrheit anhaften?
Ja, es handelt sich um politisch motivierte Anklagen und Prozesse. Das gilt schon, wenn man davon ausgeht, dass die Anklagen zumindest teilweise darauf ausgelegt sind, das demokratische System der USA zu schützen.
Auch mag der eine oder andere von Wahlspenden der Liberalen abhängige Staatsanwalt politisch motiviert gewesen sein, eine Anklage gegen Trump zusammenzustellen.
Die Klage des Staatsanwaltes des Southern New York District, Alvin Bragg, zum Beispiel, mutet eher schwächlich an, besonders im Vergleich zu den jüngst vom DOJ vorgebrachten Anklagepunkten und Beweisen in der Anklage bezüglich Trumps Versuchen, die letzte Präsidentschaftswahl ungeschehen zu machen.
Natürlich sind einzelne Akteure des Justizapparates möglicherweise von ihren politischen Überzeugungen motiviert. Aber eine aufeinander abgestimmte Attacke gegen Trump sähe anders aus.
Nicht unbedingt von Vorteil für die Demokraten.
Und wahlpolitisch gesehen ist eine Anklage zur jetzigen Zeit nicht unbedingt von Vorteil für die Demokraten.
Kurz nach dem 6. Januar waren jedenfalls wesentlich mehr US-Bürger überzeugt, der Sturm auf das Kapitol sei mehr als nur ein Protest gewesen. Auch besteht nun die Gefahr, dass sich die Beweise und Anklagepunkte der bisher schwerwiegendsten Anklageschrift in der öffentlichen Meinung, mit denen aus schwächeren vorausgegangenen Ermittlungen und Prozessen vermischen.
Vermutlich ist es aber auch schlicht zu früh im Wahlkampf und im Prozess gegen Trump, um die politischen Folgen wirklich abzusehen. Vielleicht ist DeSantis neuer Ton bezüglich Trumps Wahlbetrugslüge das erste Zeichen für einen tiefen Riss in der Republikanischen Partei, der Trump schon im Vorhinein die Wahl 2024 kostet.
Es ist aber auch möglich, dass sich weite Teile der konservativen Bewegung weiter radikalisieren und noch stärker auf die Führung Trumps setzen und die Republikanische Partei damit praktisch zwingen, ihren antidemokratischen Kurs fortzusetzen.
Trotz allem scheint es aber, als wollten die Mitarbeiter des DOJs Arbeit unbeeinflusst von der gespaltenen politischen Meinung, aufgeheizten Stimmung in der US-Bevölkerung erledigen. Das, immerhin, gibt doch Hoffnung.