Nach dem Putsch: Jetzt wird Niger ausgehungert
Sanktionen der EU und der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten. Die Weltbank stellt Zahlungen ein. Die Stromzufuhr wird begrenzt und es wird mit militärischen Mitteln gedroht. Spielt die Bevölkerung keine Rolle?
Am gestrigen Mittwoch hat die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (Ecowas) zum wiederholten Male bekräftigt, dass ein militärisches Eingreifen zwar "die allerletzte Option", der "letzte Ausweg" für den Konflikt mit den Putschisten in Niger sei, aber: "Wir müssen uns auf diese Möglichkeit vorbereiten".
Laut der Nachrichtenagentur Reuters gab der Ecowas-Kommissar für politische Angelegenheiten, Frieden und Sicherheit, Abdel-Fatau Musah dem ganzen noch einen besonderen Dreh:
Wir müssen zeigen, dass wir nicht nur bellen, sondern auch beißen können.
Solches wurde geäußert, während eine Ecowas-Delegation in Niamey war, um mit den Putschisten zu verhandeln, die die Macht übernommen haben. Der UN-Sondergesandte für Westafrika und die Sahelzone, Leonardo Santos Simao, teilte mit, dass sich "verschiedene Mitgliedstaaten darauf vorbereiten, notfalls Gewalt anzuwenden".
Der Präsident der Republik Elfenbeinküste, Alassane Ouattara erklärte, dass sich die Armee seines Landes darauf vorbereiten solle, sich im Falle eines militärischen Vorgehens der Ecowas solidarisch zu beteiligen. Eine ganz ähnliche militärische Solidaritätserklärung folgte heute aus Senegal.
Ein Flächenbrand mit geopolitischen Konsequenzen
Nimmt man mit ins Bild, dass radikal militante Dschihadisten des IS und der al-Qaida sowie nahestehender Gruppen (JNIM) in der Grenz-Region, wo Niger, Burkina-Faso und Mali aufeinandertreffen, dominierende "Player" sind, an denen sich Militärs bislang ohne Erfolg abarbeiteten.
Und dass diese Milizen es verstehen, kriegerisches Chaos zu ihren Gunsten ausnutzen, so kann man Schlimmstes befürchten, falls die militärische Option gegen die Putschisten in Niger gezogen würde: einen Flächenbrand, der nicht nur die Sahelzone betrifft, sondern auch Nordafrika und damit Europa.
Dazu kommt eine geopolitische Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland. Dass sich derzeit Meldungen über die Präsenz von Wagner Truppen auch in Niger häufen und Bilder von Russlandfahnen schwenkenden Unterstützern der neuen Machthaber in Niamey übermittelt werden, spricht dafür, dass dieses Konfliktfeld ernst zu nehmen ist.
Sanktionen
Heute feiert Niger seine Unabhängigkeit. Seit dem 3. August 1960 ist die Republik Niger von Frankreich unabhängig. An diesem symbolischen Tag zeigt sich sehr deutlich, wie abhängig das Land (Platz 189 von 191 auf dem Entwicklungs-Index der UN) von äußeren Mächten ist.
Seit dem Putsch wurden Sanktionen der EU verhängt, wie auch von der Ecowas, die Weltbank setzt Auszahlungen aus und Nigeria hat die wichtige Stromzufuhr nach Niger unterbrochen, Lastwagenfahrer sitzen fest, die Versorgung des Landes wird schwierig (Reuters).
In sozialen Netzwerken heißt es, dass Geldautomaten in der Hauptstadt nichts mehr ausgeben und sich die Lebensmittelpreise rasant verteuern.
Wird da einem Land, und eben nicht nur den Machthabern mit Methoden, zu Leibe gerückt, die man in anderen Konflikten, wenn dies die Gegner der regelbasierten Ordnung betreiben, "aushungern" nennt?
Dass die EU ein großes Interesse an Niger hat und insbesondere an der Wiedereinsetzung der abgesetzten Regierung des Präsidenten Mohamed Bazoum, erklärt sich leicht: Niger ist der wichtigste Exporteur für Natur-Uran und Niger ist essenziell, wenn es um Migrantenströme aus Afrika geht, die Europa unterbinden will.
Bazoum war in beiden Interessenfeldern ein kooperativer Partner. Bei den augenblicklichen Machthabern in Niamey ist das ungewiss.
Die Frage, die alles etwas komplizierter macht, wäre, wie groß ist demgegenüber das Interesse der EU und Deutschlands daran, dass sich die harte Situation der nigrischen Bevölkerung verbessert?
Der Unmut über die alte Regierung ist groß
Rund 40 Prozent der 26 Millionen Einwohner des Landes leben in extremer Armut, die Regierung war in der Bevölkerung unbeliebt, wie unlängst auch Manuel Brunner, Professor an der Polizeiakademie Niedersachsen, zum Putsch in Niger übermittelte. Die Bilder des heutigen Tages von großen Demonstrationen, die die neue Führung unter General Abdourahamane Omar Tiani unterstützen, entsprechen dieser Sichtweise.
Der Unmut über die alte Regierung ist groß. Auch wenn hierzulande immer hervorgehoben wird, dass sie demokratisch gewählt wurde, heißt dies nicht unbedingt, dass sich noch immer eine Mehrheit hinter sie versammelt. Sie hat ihre Lage nicht verbessert.
Möglichkeiten zu Verhandlungen müssen genutzt werden, um einen Krieg zu verhindern. Dass es auch dafür Optionen und Brücken gibt, dafür sprechen zwei Indizien. Erstens, das stärkere: Dass französische Unternehmen weiterhin im Land wie auch in Mali und Burkina Faso präsent bleiben.
Und zweitens, das vage Indiz, das der Putsch-General Abdourahamane Omar Tiani in seiner Ansprache zum Unabhängigkeitstag damit andeutete, dass er westliche Hilfe beim Kampf gegen den gemeinsamen Feind, die Dschihadisten, für wichtig hält.
Aufseiten seiner Unterstützer finden sich allerdings Gruppen, die einen anderen, sehr viel stärker antiwestlich geprägten Kurs verfolgen. So hat etwa die Gruppe M62, die die Demonstrationen heute in Niamey organisiert, sich für eine Entführung von Europäern bei der Evakuierung ausgesprochen.
Mit militärischen Drohungen und Sanktionen wird sich eine "regelbasierte Ordung" (siehe die deutsche Außenministerin Baerbock) in dieser komplizierten politischen Lage, bei der nigrische Erfahrungen mit Kolonialismus und westliche Wirtschaftsinteressen eine starke Rolle behaupten, und Stabilitätsprioritäten der westlichen Länder die Lage der Bevölkerung nicht im Blick hatten, nicht so einfach herstellen lassen.
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