zurück zum Artikel

Nach der Klimakonferenz ist vor der Klimakonferenz

Die Energie- und Klimawochenschau: Zertifikatehandel und Waldschutz nach Glasgow, Umbaubedarf in Energiesystem

Die Klimakrise geht unvermindert weiter. Hart zu spüren bekommen dies zurzeit die Menschen in Westkanada, wo die Metropole Vancouver zwischenzeitlich durch Überschwemmungen und Erdrutsche von der Außenwelt abgeschnitten worden ist. Bislang wurden vier Todesopfer aufgrund des Unwetters bekannt. Menschen und Vieh mussten in der Region evakuiert werden, Straßen und Eisenbahntrassen wurden zerstört.

British Columbia ist mit den jüngsten Sturzfluten vom Himmel in diesem Jahr doppelt von der Klimakrise getroffen. Im Sommer war es bereits zu Rekordtemperaturen gekommen, der Ort Lytton wurde von Waldbränden weitgehend zerstört. Die Erdrutsche können wiederum als Folge der Brände gesehen werden, denn wo keine Vegetation mehr den Abfluss des Wassers hindert und den Boden stabilisiert, kommt dieser schneller ins Rutschen.

Daran, dass die Ergebnisse der Klimakonferenz in Glasgow unzureichend sind, bestehen wohl kaum Zweifel. Denn obwohl das Ziel, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, bekräftigt wurde, reichen die Ziele der Staaten bestenfalls aus, die Erwärmung auf 2,4 Grad zu begrenzen – wenn sie denn auch umgesetzt werden. Jedoch werden die NDCs – die nationalen Emissionsreduktionsziele – ja nicht auf der Klimakonferenz verhandelt, sondern wurden vorab eingereicht.

Positiv ist, dass die Länder aufgefordert sind, bereits bis zum nächsten Jahr wieder verschärfte Klimaziele vorzulegen und nicht erst in fünf Jahren. Versagt hat die Konferenz einmal mehr in Bezug auf das Thema Schäden und Verluste durch den Klimawandel. Die reichen Länder verweigern noch immer jegliche Verpflichtungen, für Schäden und Verluste in armen Ländern finanziell aufzukommen.

Eine Einigung wurde bei der weiteren Regelung des Emissionshandels erzielt, was bei den vorherigen Klimakonferenzen nicht gelungen war. Im Hinblick auf näher rückende Klimaneutralitätsziele – die eben nicht Null Emissionen bedeuten - werden solche Ausgleichsmechanismen für die Staaten, aber auch für den Bereich der internationalen Luftfahrt beispielsweise immer bedeutender.

Klimaschützer:innen sehen im internationalen Zertifikatehandel eher Greenwashing am Werk. Nun wurde vereinbart, dass Klimaschutzprojekte zumindest nicht doppelt gezählt werden dürfen, also im Land, wo sie stattfinden und beim Käufer des Zertifikats. Allerdings wurden auch alte Zertifikate aus dem seit Jahren auf Eis liegenden Clean Development Mechanism (CDM) übernommen.

Germanwatch bezeichnet dies als "herben Rückschlag für die Ambition des Pariser Abkommens" und schlägt vor [1]:

Es könnten sich einige Geberländer bzw. private Stiftungen zusammentun, um diese Zertifikate kostengünstig aufzukaufen und ohne Schaden für das Klima stillzulegen: Praktisch eine rückwirkende Klimafinanzierung für bereits erfolgte Resultate.

Positiv zu bewerten sei, "dass ein unabhängiger Beschwerdemechanismus eingerichtet werden soll, der es der lokalen Bevölkerung erlaubt, auf potenziell negative Auswirkungen von Projekten und Programmen aufmerksam zu machen. Richtig aufgesetzt, kann dieser Beschwerdemechanismus dazu beitragen, dass Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Klimaschutzprojekten verhindert werden. Abgesehen davon enthält der Text jedoch noch keine ausreichend starke Sprache hinsichtlich Safeguards, Gender und Menschenrechten."

Nord Stream 2 darf noch nicht in Betrieb gehen

Beunruhigend sind auch die Pläne der EU-Kommission, Atomenergie und Erdgas für nachhaltig zu erklären [2]. Sollte dies geschehen, könnten diese Technologien weiterhin finanziell gefördert werden. Ein Ausbau der unflexiblen Atomkraft steht den erneuerbaren Energien im Wege, von der ungelösten Problematik der Endlagerung des Atommülls einmal ganz abgesehen.

Und dass die Atomkraftwerke in der Klimakrise alles andere als zuverlässige Lieferanten von Grundlaststrom sind, hat sich in heißen Sommern bereits gezeigt - wenn nicht mehr ausreichend Kühlwasser für die Kraftwerke zur Verfügung stand. Neue Investitionen in Erdgasinfrastruktur wiederum führt dazu, dass das fossile Energiesystem über längere Zeit zementiert wird. Niemand wird in eine Technologie investieren, die schon in wenigen Jahren abgeschaltet werden soll.

Es gibt aber noch andere Kritik am Entwurf für die neue Taxonomie. Die finnische Regierung hält die Regeln bezüglich der Forstwirtschaft für uneindeutig und befürchtet eine Bürokratisierung des Sektors, wie das Portal Euractiv berichtet [3].

Die fertig gestellte, aber noch nicht in Betrieb genommene Erdgaspipeline Nord Stream 2, die aus Sicht von Klima- und Umweltschutzorganisationen bereits eine unnötige Investition in fossile Infrastruktur darstellt, bleibt vorerst weiter außer Betrieb.

Das liegt allerdings nicht an der Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen das Projekt, sondern an der Betreibergesellschaft. Die Bundesnetzagentur konnte die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG mit Sitz in der Schweiz bisher nicht zertifizieren, da diese nicht nach deutschem Recht organisiert ist, berichtet das Portal IWR [4].

Die Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hat das Oberverwaltungsgericht Greifswald am 16. November abgewiesen. Geklagt hatte die DUH gegen den Planfeststellungsbeschluss des Bergamts Stralsund. Dieses hätte nach Auffassung der DUH die Methanemissionen aus Förderung, Verarbeitung und Transport des Erdgases überprüfen müssen. Das Gericht folgte dieser Auffassung nicht [5] und sah die Pipeline bereits als auf Dichtigkeit überprüft an, Emissionen aus Förderung und Verarbeitung fielen nicht in den Bereich des Planfeststellungsbeschlusses.

Billionen für den Umbau des Energiesystems

In dieser Woche möchten die zukünftigen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag vorstellen. Die taz fragt angesichts dessen [6]: "Schafft die Ampel die 1,5 Grad?" Es wäre ein Wunder, ist man versucht zu antworten, denn keine der drei Parteien hatte ein ausreichendes Wahlprogramm zur Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze. Und auch keine andere Partei. Kaum zu glauben, dass die Parteien nun alle gemeinsam über sich selbst hinauswachsen.

Einen Plan hat zumindest der Fraunhofer ISE, und zwar zu einem klimaneutralen Energiesystem [7] bis 2045. In der Veröffentlichung "Wege zum klimaneutralem Energiesystem" hat das Institut berechnet, wie Deutschland bis zum neuen Zieljahr 2045 die Klimaneutralität erreichen könnte.

Das vorgezogene Ziel führt auch dazu, dass die verbleibenden Emissionen insgesamt geringer ausfallen dürfen und die Marge für fossile Energieträger sinkt. Insgesamt kommt das ISE zu der Einschätzung, dass das machbar ist. Von heute bis 2045 müssten dafür jährlich 19 bis 23 Gigawatt Windenergie und Photovoltaik neu installiert werden, sodass sich die Leistung bis 2045 verfünft- bis versiebenfachen würde.

Die Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern müsste bereits bis 2030 signifikant reduziert werden. Durch Sektorkopplung und Elektrifizierung könnten Verluste bei der Umwandlung von Energie reduziert werden. Um den fluktuierenden Energiequellen gerecht zu werden, muss das Energiesystem insgesamt flexibilisiert werden. Großkraftwerke sind dafür ungeeignet, hochflexible Kraftwerke könnten mit synthetischem Methan, Biogas oder Wasserstoff betrieben werden. Zudem bedürfte es größerer Kapazitäten von Batteriespeichern und Pumpspeichern.

Auch wenn die Kapazitäten zur Elektrolyse in Deutschland erheblich ausgebaut werden sollten, setzt das Institut auch auf Importe von Strom und von mittels erneuerbaren Energien hergestellten synthetischen Energieträgern aus dem Ausland. Der prognostizierte Bedarf schwankt stark je nach Szenario zwischen 250 Terawattstunden und 950 Terawattstunden.

"Insbesondere ein Festhalten an der Nutzung gewohnter verbrennungsbasierter Techniken zur Wärmeversorgung und Fortbewegung (Szenario Beharrung) resultiert in der Notwendigkeit großer Importmengen synthetischer Energieträger", heißt es hier.

Für den Umbau des Energiesystems werden hohe Investitionskosten nötig sein, nämlich zwischen einer und 3,3 Billionen Euro. Werden jedoch Umweltkosten berücksichtigt, könnten so wiederum Kosten durch Klimaschäden von bis zu einer Billion Euro eingespart werden. Wenn der Umbau des Energiesystems im Jahr 2045 weitgehend abgeschlossen wäre, würden auch die Investitionskosten wieder erheblich sinken.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6275468

Links in diesem Artikel:
[1] https://germanwatch.org/de/21167#Regelbuch
[2] https://www.heise.de/tp/news/Mit-Atomkraft-und-Erdgas-in-eine-gruene-Zukunft-6272997.html
[3] https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/finnland-wird-aufgrund-von-biomasse-gegen-eu-taxonomie-stimmen/
[4] https://www.iwr.de/news.php?id=37693
[5] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/ovg-greifswald-nord-stream-2-erfolglose-klage-der-umwelthilfe
[6] https://taz.de/Koalitionsverhandlungen-vor-Abschluss/!5814097/
[7] https://www.ise.fraunhofer.de/de/veroeffentlichungen/studien/wege-zu-einem-klimaneutralen-energiesystem.html