Nach uns die Sintflut: Missachtet der Bundeskanzler das Verfassungsgericht?

Protestaktion vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Bild: Letzte Generation

Energie und Klima – kompakt: Olaf Scholz findet Klimaproteste der Letzten Generation "bekloppt". Dabei geben Karlsruher Richter dem Anliegen recht. Ist die Ampel noch verfassungsgemäß?

Olaf Scholz mit Presslufthammer am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe? Natürlich nicht. Es war ein verkleidetes Mitglied der "Letzten Generation", das mit dieser symbolischen Aktion auf den aus Sicht der Gruppe fortgesetzten Verfassungsbruch der Bundesregierung und die Missachtung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 aufmerksam machen wollte. Carla Hinrichs, Sprecherin der Gruppe, dazu:

Olaf Scholz ignoriert das Klimaurteil des Verfassungsgerichts vollkommen. Er könnte genauso gut das Verfassungsgericht abschaffen, wenn er sich eh nicht an seine Urteile hält.

Das kann Scholz natürlich nicht ohne Weiteres, dazu wäre schon eine Verfassungsänderung nötig, aber der Verweis auf das Urteil der Karlsruher Richterinnen und Richter ist durchaus berechtigt, die, wie seinerzeit berichtet, einer Klage verschiedener Jugendlicher stattgegeben hatten.

Der erste Senat des Gerichts beschied seinerzeit, dass die Bundesregierung durch ein Verschieben des Klimaschutzes in die Zukunft die Freiheit künftiger Generationen in unzulässiger Weise einschränkt, und daher "den Übergang zur Klimaneutralität rechtzeitig" einleiten muss.

Ausdrücklich nahm das Urteil dabei Bezug auf den ersten Satz des Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes, der da lautet: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit."

Aus der "Schutzpflicht des Staates" folge "die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen." Und weiter:

Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.

Mit anderen Worten: Das Verfassungsgericht hatte der letzten Regierung Merkel ins Stammbuch geschrieben, dass sie sich beim Klimaschutz mehr anstrengen muss. Denn immerhin verbleibt etwa die Hälfte des bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdgas, Benzin und Diesel freigesetzten Kohlendioxids für mehrere Jahrtausende in der Atmosphäre und wird das Klima künftiger Generationen nachhaltig verändern.

Notfallpläne als Papiertiger

Immerhin wurde kurz nach dem Karlsruher Urteil im Sommer 2021 das Klimaschutzgesetz hastig nachgebessert und unter anderem verbindliche Sektorenziele eingeführt. Seitdem sieht das Klimaschutzgesetz für die verschiedenen Bereiche wie Verkehr, Energieversorgung, Industrie und anderes jährliche Minderungsziele für das Absenken der Treibhausgasemissionen vor.

Ziele, die seitdem vom Verkehrssektor regelmäßig gerissen werden, ohne dass Bundeskanzler Scholz vom zuständigen Minister Volker Wissing (FDP) einen Notfallplan verlangt, wie vom Gesetz eigentlich vorgesehen.

Doch einen Klimaschutzplan, der diesen Namen verdiente, gibt es nicht. Weder für den Verkehrssektor, in dem weiter aufs Auto gesetzt und weitere Autobahnen und Straßen durch städtische Wälder gebaut werden, noch für die Energieversorgung. Zwar nimmt der Ausbau der Solarenergie wieder Fahrt auf und auch für die Windkraft gibt es ehrgeizige Ziele.

Doch zugleich wird der Import von Frackinggas aus den USA mit neuen Flüssiggas- oder LNG-Terminals organisiert und dafür gar mehrere Milliarden Euro an Steuergeldern ausgegeben. Damit wird nicht nur der hohe Verbrauch von Erdgas und der Ausstoß von Treibhausgasemissionen, die bei dessen Verbrennung oder der Verwendung in der Chemieindustrie freigesetzt werden, für die nächste Jahrzehnt praktisch festgeschrieben.

Außerdem wird billigend in Kauf genommen, dass bei dessen Förderung mittels Fracking große Mengen Methan freigesetzt werden, wobei Methan ein höchst potentes Treibhausgas ist. Ein Methan-Molekül ist, über einen Zeitraum von 100 Jahren betrachtet, etwas mehr als 20-mal so effektiv wie ein Kohlendioxid-Molekül.

Und was sagt der Bundeskanzler, der erst am Wochenende auf dem G7-Gipfel klargemacht hatte, dass er wirklich langfristig an LNG-Importen und damit am Frackinggas festhalten will, zu den Vorwürfen? Er erzählt Grundschülern im brandenburgischen Kleinmachnow, dass der Protest der "Letzten Generation" "völlig bekloppt" sei und er "eben nicht mit dem Fahrrad nach Japan" komme. So einfach ist das für den Scholz. Nach ihm die Sintflut.

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