Nachrichtenmagazine von ARD und ZDF: Der Drei-Tages-Vergleich – Mehr vom Gleichen?

Christian Bartels

Screenshot heute-journal, 25.03.2025

Liefern sich die öffentlich-rechtlichen Sender publizistische Konkurrenz? Eine Stichprobe mit heute-journal, Tagesthemen und Julia Klöckner auf allen Kanälen. Und das Beste am Ende.

Immer mal wieder wird im Zuge der Diskussionen über öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgeschlagen, dass ARD und ZDF zusammengelegt werden sollten.

"Will Deutschland weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender?" hatte 2022 Tom Buhrow, der damalige ARD-Vorsitzende (der sich erst am Ende seiner Laufbahn um größere Fragen zu kümmern begann) gefragt.

Im Jahr drauf schlug die FDP das nochmals im nordrhein-westfälischen Landtag vor. Im Jahr zuvor hatte die Mittelstandsvereinigung der Union die Frage aufgeworfen – deren damaliger Chef Carsten Linnemann gerade sehr oft bei ARD und ZDF zu sehen ist.

Das Gegenargument

Das Gegenargument lautet stets, ähnlich reflexhaft: publizistischer Wettbewerb.

Der laufe auch zwischen ARD und ZDF und sei "essenziell", hatte ZDF-Intendant Norbert Himmler Buhrow entgegnet. SWR-Intendant Kai Gniffke, der damalige ARD-Vorsitzender, wollte es in einem Interview plastisch machen:

Publizistischer Wettbewerb ist wichtig. Da macht einer den Stuttgarter "Tatort" und der andere die "SOKO Stuttgart" – und jeder wird versuchen, mindestens so gut zu sein wie der Mitbewerber, möglicherweise sogar besser. Davon profitiert das Publikum, weil es Höchstleistungen bekommt.

Wenn Fernsehkrimis wirklich Publizistik wären, dann stünde Deutschland ganz vorn an der Weltspitze.

"Zwei öffentlich-rechtliche Anbieter, die wie ARD und ZDF im publizistischen Wettbewerb miteinander stehen, sind für ein so großes Land ... im Interesse der Vielfalt auch in Zukunft notwendig und angemessen", bekundete der "Zukunftsrat", als er Anfang 2024 seine Empfehlungen gab.

Gibt es solchen Wettbewerb, also jenseits des bewährten Musters, dass, wenn das eine Hauptprogramm linear einen Krimi zeigt, im anderen eine Schmonzette läuft?

Drei Abende Nachrichtenmagazine

Das lässt sich nahezu allabendlich überprüfen, wenn um 22.00 Uhr herum über eine gute Stunde öffentlich-rechtlicher Nachrichtenjournalismus läuft. Im Regelfall folgen "heute-journal" (ZDF, 21.45 Uhr) und "Tagesthemen" (ARD, 22.15 Uhr) unmittelbar aufeinander.

Die Nachrichtenmagazine können als das inzwischen wichtigste Live-Fernsehen gelten – weil sie sichtlich in Echtzeit mit komplexen, nicht selten ungewissen Nachrichtenlagen umgehen müssen, und weil praktisch immer prominente Politiker zugeschaltet sind. Werden da unterschiedliche Themen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet?

Dazu eine Stichprobe vom vergangenen Sonntag bis Dienstag ...

Sonntag

Am Sonntag zeigte RTL ein viel beachtetes Fußball-Länderspiel. Das ZDF startete sein "heute-journal" dennoch zum Start der zweiten Halbzeit.

Die Themenmischung: die Demonstrationen in der Türkei nach der Verhaftung des Istanbuler Oberbürgermeisters Imamoglu, der sich neu formierende Bundestag, die Aktitivitäten der Trump-Regierung.

Dazu zugeschaltet war Ulrike Malmendier, zugleich deutsche "Wirtschaftsweise" und Professorin an der University of California.

Die ARD sendete ihre "Tagesthemen" erst um 23.15 Uhr. Das muss nicht damit zusammenhängen, dass der Live-Spiel dann beendet war, sondern geschieht immer, wenn die ARD statt der Sonntags-Talkshow eine Krimi-Doppelschiene programmiert.

Die nur 20-minütige Sendung begann ebenfalls mit der Türkei. Der Erdogan-kritische Experte Yasar Aydin von der Stiftung Wissenschaft und Politik, im heute-journal-Bericht mit einer Aussage zu hören, war zum Kurzinterview zugeschaltet.

Dann ging es um Demonstrationen in Israel. Aus einem vorläufigen Innenministeriums-Bericht zur Frage, ob Asylverfahren in Drittstaaten möglich sind, den das Hauptstadtstudio vorliegen hatte, machte die Sendung wenig – sei es wegen der Kürze der Zeit, sei es, weil der Bericht der alten Regierung während der Bemühungen, eine neue zu bilden, eher egal ist. Dann hatten die Tagesthemen noch den Kurzbericht zum Fußball.

Montag

Am Montag folgten beide Sendungen direkt aufeinander und brachten dieselben Themen in gleicher Reihenfolge: erst Bundestag und Koalitionsverhandlungen, dann die noch größeren Protestdemos in der Türkei, dann der zehnte Jahrestag des vom Piloten mutwillig herbeigeführten Germanwings-Flugzeugabsturzes mit 150 Toten.

Das muss keinen Vorwurf verdienen, es entsprach der Nachrichtenlage. Die ARD hatte SPD-Parteichef Klingbeil zugeschaltet, der zur politischen Lage das Erwartbarste abspulte, ohne sich von Ingo Zamperoni unterbrechen zu lassen. Dem Moderator gelang immerhin mit einer unerwarteten Frage nach dem deutschen Verhältnis zur Türkei eine Überleitung.

Gleich vier Beiträge widmeten sich diesem Thema; auch um zögerliche deutsche und EU-Reaktionen wegen der geopolitischen Bedeutung der Türkei ging es. Im seit 2020 "Meinung" genannten Kommentar appellierte Murad Bayraktar "an die Deutschtürken", Erdogans Partei AKP kritischer zu sehen. Mal ein gutes Beispiel dafür, dass in die Kamera gesprochene Kommentare nicht immer den erwünschten Konsens erneut formulieren müssen, sondern auch mal spezielle Blickwinkel zeigen können.

Zum heute-journal-Kurzinterview hatte Dunja Hayali einen Mainzer Professor für Flugmedizin als Gast im Studio. Das Gespräch darüber, wie die psychomentale Gesundheit von Piloten untersucht wird, war interessanter als Klingbeils Sprechblasen.

Allerdings wirkte der zuvor gesendete Filmbeitrag des ZDF zum Flugzeugabsturz weniger seriöser als der der ARD, weil die Mainzer sich nicht entblödeten, mitten in der Nachrichtensendung emotionale Untermalungsmusik einzusetzen. Als sei das Geschehen nach zehn Jahren nicht mehr tragisch genug.

Dienstag

Auch am Dienstag liefen beide Sendungen en suite. Das heute-journal wie die Tagesthemen begannen mit dem Bundestag, der erstmals in neuer Besetzung getagt hatte. Mit Gregor Gysis umstrittener Eröffnungsrede hielten sie sich jeweils nicht lange auf.

Beide hatten aufgezeichnete Kurzinterviews mit der zugeschalteten neuen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner.

Immerhin stellten sie andere Fragen. Hayali insinuierte im ZDF, Klöckner mangele es an Besonnenheit und Abgrenzung von der AfD und fragte scharf "Was qualifiziert Sie für das zweithöchste Amt des Staates?", nachdem der Beitrag zuvor die Rheinland-Pfälzerin noch mal wieder als Ex-Weinkönigin vorgestellt hatte.

Screenshot Tagesthemen, 25.03.2025

Zamperoni in der ARD fragte eher von der anderen Seite: "Halten Sie das für demokratisch?", dass alle Parteien im Bundestag außer der AfD einen Vizepräsidenten-Posten bekämen. Diese Frage behandelte dann auch die "Meinungs"-Rubrik, nun in Pro- und Contra-Form.

Radio Bremen-Journalist Ostermann fand es falsch, dass der AfD-Kandidat für den Vize-Posten nicht gewählt worden war, denn: "Die Strategie der Ausgrenzung hat doch nicht funktioniert". BR-Journalistin Girschick fand es richtig. Als Opfer inszeniere sich die AfD ja sowieso. Gutes Beispiel für völlig legitime Meinungsvielfalt, die weder aufgelöst werden kann noch muss.

Im weiteren Verlauf setzten die Sendungen auf unterschiedliche Themen: die ARD auf den Klette-RAF-Prozess in Celle, den Signal-Chatskandal in Trumps Entourage, Boykottaktionen gegen US-Amerikanisches in kanadischen Supermärkten und dann noch, anhand eines Festivals in Landshut, auf mit Hilfe von KI entstandende Kurzfilme. Ein bunter Mix aus Beiträgen, die in ihrer Knappheit kaum mehr vermittelten, als was halbwegs nachrichteninteressierte Menschen ohnehin schon gehört hatten.

Im ZDF führte Hayali noch ein Zuschalt-Interview mit Alexander Stubb, dem Präsidenten Finnlands, das Europas längste Grenze zu Russland besitzt. Man müsse angesichts Putins wie Trumps "cool bleiben", sagte Stubb (auf Englisch und zwischendurch kurz auf Deutsch), die EU solle "den Ball flach halten" und auch selbst mit Putin verhandeln.

"Donald Trump scheint den Ball nicht immer flach zu halten", entgegnete Hayali, offenbar nicht ganz derselben Meinung. Ein Scoop sind Interviews mit zugeschalteten ausländischen Staatsoberhäuptern jedenfalls.

Fazit

Bei den Nachrichtenmagazinen funktioniert der publizistische Wettbewerb zwischen ARD und ZDF zurzeit leidlich, schon wegen der Vielzahl der Krisenherde, die gar nicht alle in halbstündige Formate passen.

Viel Mehrwert bietet es nicht, am selben Abend heute-journal und Tagesthemen anzusehen, aber schlimm ist die Redundanz nicht. Zumindest lassen sich Vergleiche anstellen und die Sendungen komplementär ansehen, wenn Julia Klöckner recht unterschiedliche Fragen gestellt bekommt.

Und noch ein Klöckner-Interview

Allerdings, scharfer Wettbewerb besteht in der dicht besetzten deutschen Medienlandschaft sowieso, weit über die Öffentlich-Rechtlichen hinaus.

Das vielleicht beste, jedenfalls längste Fernsehinterview mit Klöckner hatte am selben Dienstag Pinar Atalay für RTL direkt im Bundestag geführt (was in seiner gut fünfzehnminütigen Langfassung erst nach Mitternacht auf den Sender ging, aber das wichtigste Element der 22.35-Uhr-Ausgabe bildete).

Screenshot rtl-Nachtjournal Spezial

ARD und ZDF wären gut beraten, gerade im Fernsehnachrichten-Journalismus aus ihren Ressourcen mehr zu machen als mehr vom Gleichen, das sich günstigenfalls komplementär ansehen lässt. Zumal, wenn sie immer stärker auf ihre Mediatheken, also auf nichtlineares, zeitsouveränes Ansehen setzen.

Damit verliert das klar wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen heute-journal und Tagesthemen ja nolens volens an Bedeutung: dass die eine Sendung eine halbe Stunde früher als die andere beginnt.

Ausbaufähige Ansätze sind vorhanden. Zum Beispiel Pro-und-Contra-Formate, die jeweils legitime Meinungen aufeinanderprallen lassen, etwa längere Interviews, allerdings lieber mit seltenen Gästen als dem Talkshow-Stammgast Klingbeil.

Das beste Beispiel für längere Studiogespräche, in denen es bei aller formalen Höflichkeit härter zur Sache geht, läuft übrigens zur selben Zeit in noch einem der zahlreichen öffentlich-rechtlichen Kanäle.

Das Beste am Ende

Werktags um 22.00 zeigt 3sat mit der österreichischen "ZiB2" die beste deutschsprachige Nachrichtensendung – und liefert ARD und ZDF tatsächlich öffentlich-rechtlichen publizistischen Wettbewerb.