Nächster GDL-Streik: Warum dürfen die das?

Die Deutsche Bahn setzt darauf, dass das Unverständnis der Kundschaft die Streikenden trifft. Symbolbild: Pixabay Licence

Lokführer lassen erneut die Räder still stehen. Die Empörung ist groß – in FDP-Kreisen wird "Überarbeitung" des Streikrechts gefordert. Vielleicht nach französischem Vorbild?

Die Deutsche Bahn nennt es "verantwortungslos und egoistisch": Der Shitstorm war so sicher wie das Amen in der Kirche, als am späten Mittwochnachmittag bekannt wurde, dass die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) am heutigen Donnerstag wieder in den Warnstreik tritt.

Als "größenwahnsinnig" und als "Bitch" wurde die Gewerkschaft in "Sozialen Netzwerken" bezeichnet; ihr Vorsitzender wird mit heftigen Schimpfworten bedacht, die Forderungen als "absurd und überzogen" abgetan. Obwohl die Berufsgruppe als äußerst männerlastig gilt, tauchte auch die laut Duden einst eher für missliebige Frauen und Mädchen gedachte Bezeichnung "Pissnelken" auf.

Hinzu kamen kühl und sachlich formulierte Verbalattacken auf das Streikrecht; und das im Gegensatz zu den Kraftausdrücken keineswegs anonym.

Gescheitert war eine Einigung zwischen GDL und Bahn-Vorstand nach Angaben der Gewerkschaft vor allem an dessen Weigerung, auf die Kernforderung nach einer Arbeitszeitabsenkung für Schichtarbeiter auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich inklusive der geforderten Erhöhung einzugehen.

"Damit ignorieren die Unternehmen nicht nur die berechtigten Bedürfnisse der eigenen Beschäftigten", befand GDL-Chef Claus Weselsky. "Sie torpedieren zudem die dringend nötigen Maßnahmen zu einer erfolgreichen Personalgewinnung und setzen so fahrlässig die Zukunft des klimafreundlichsten Verkehrsmittels Eisenbahn aufs Spiel".

Bahn beruft sich auf vorgeblich großzügiges Angebot

Die Bahn betont unterdessen, bereits eine elfprozentige Lohnerhöhung angeboten zu haben und empfindet dies als großzügig.

Die Inflationsrate betrug allerdings im vergangenen Jahr 7,9 Prozent und wird in diesem Jahr voraussichtlich rund 6,1 Prozent betragen. Der letzte Tarifvertrag wurde im Herbst 2021 geschlossen. So gesehen ist das Angebot ohne Zugeständnisse bei der Arbeitszeit eher bescheiden.

Während des eintägigen Warnstreiks läuft nun die Urabstimmung der Gewerkschaft über unbefristete Arbeitskampfmaßnahmen weiter. Das Ergebnis soll am 19. Dezember bekanntgegeben werden.

Allerdings hat Weselsky inzwischen versprochen, dass dann erst im neuen Jahr wieder gestreikt wird. Nach dem heute beginnenden Warnstreik, der am Freitagabend endet, wird es demnach bis zum 7. Januar keine weiteren Arbeitskampfmaßnahmen der GDL geben.

Heute müssten Fahrgäste schon vor dem offiziellen Streikbeginn im Personenverkehr um 22 Uhr mit ersten Einschränkungen rechnen, warnt die Bahn und rät ihnen, ihre Reise nach Möglichkeit so zu planen, dass sie am frühen Abend am Zielort sind. Über Fahrgastrechte informiert das Unternehmen auf seiner Homepage.

Der Kommentar eines FDP-Nachwuchspolitikers kam zwar in sachlichem Ton daher, hatte es aber in sich: "Das Streikrecht muss überarbeitet werden", schrieb der Vizechef der "Jungen Liberalen", Tobias Weiskopf, auf der Plattform X.

Generalstreik? – Très bien!

Für sich genommen könnten diesen Satz auch Gewerkschaftslinke unterschreiben: Das Streikrecht überarbeiten? – Très bien! Sehr gerne nach französischem Vorbild. La grève générale, c'est une bonne chose – Zu Deutsch: Generalstreik ist eine gute Sache. Und in anderen EU-Ländern ist er im Gegensatz zu Deutschland nicht illegalisiert.

Beschäftigte verschiedener Branchen haben damit ein effektives Mittel des gewaltfreien Widerstands in der Hand, wenn politische Entscheidungen zum Nachteil der Mehrheit getroffen und Wahlversprechen gebrochen werden.

Wenn verschiedene Berufsgruppen immer wieder gemeinsam davon Gebrauch machen, lassen sie sich auch bei anderen Gelegenheiten nicht so schnell gegeneinander ausspielen.

In Frankreich wird insgesamt viel mehr gestreikt, auch branchenübergreifend für politische und mit Beteiligung von Beamten, was in Deutschland ebenfalls illegal ist. In Frankreich dürfen auch Beamte – mit Ausnahme von Polizei und Militär – streiken.

Aber all das meint der FDP-Nachwuchspolitiker natürlich nicht, im Gegenteil: "In kritischer Infrastruktur mit gerade einmal 24 Stunden Vorlauf das gesamte Land lahmlegen ist nicht verhältnismäßig", so Weiskopf mit Blick auf den geplanten GDL-Streik. "Justiz und Politik müssen handeln."

Streiks, die tatsächlich lästig werden können, dürfen demnach einfach nicht sein. Ihm scheint nicht bewusst zu sein, dass in europäischen Nachbarländern schon die Illegalisierung politischer Streiks als Demokratieproblem gilt – und das nicht nur in ultralinken Kreisen.

Schließlich leben die Generalstreiks in Frankreich, Belgien oder Italien davon, dass die breite Masse der Beschäftigten es völlig normal findet, dabei mitzumachen.

In Italien ist die Mehrheitsgesellschaft sicher nicht links – schließlich wurde dort erst im vergangenen Jahr eine stramm rechte Regierung gewählt. Mit deren Wirtschaftspolitik waren dann aber große Teile der arbeitenden Bevölkerung und die Gewerkschaften so unzufrieden, dass es im Oktober dieses Jahres zum Generalstreik kam.

Das deutsche Elend des "gesunden Volksempfindens"

Der Ausstand betraf dort neben der Bahn und dem öffentlichen Nahverkehr auch Schulen, Krankenhäuser, Autobahnen und Flughäfen. So lief keine einzelne Berufsgruppe Gefahr, als besonders dreist zu gelten, sondern viele zogen an einem Strang, um die Rahmenbedingungen für alle zu verbessern.

Das "gesunde Volksempfinden" – zur Nazizeit ein Rechtsbegriff – ist in Deutschland ein anderes. Als typische Befindlichkeit des autoritätsgläubigen Wutbürgertums war es für Minderheiten immer gefährlich, aber auch für die deutsche Mehrheitsgesellschaft nur kurzfristig "gesund".

Als es noch so genannt wurde und sich noch nicht in digitalen Shitstorms entladen konnte, ließ man sich munter in den Zweiten Weltkrieg treiben, befleckte die eigenen Hände mit Blut und kam nur teilweise mit abgefrorenen Zehen aus Stalingrad zurück.

Die Nazi-Analogie mag auf den ersten Blick weit hergeholt scheinen – sie ist es aber nicht, denn auch die Illegalisierung politischer Streiks in der Bundesrepublik geht auf Juristen mit NS-Vergangenheit und ihr autoritäres Denken zurück.

Der Mitautor des "Arbeitsordnungsgesetzes" von 1934 und spätere Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Hans Carl Nipperdey, hielt in einem Gutachten 1952 nur Streikziele für legal, die durch Tarifverträge regelbar sind.

Diese Rechtsauffassung gilt bis heute, somit wären beispielsweise auch Generalstreiks für eine sozial ausgestaltete Klimapolitik tabu. Im Fall der GDL-Streiks geht es aber "nur" um den Tarifvertrag einer für die Verkehrswende zentral wichtigen Berufsgruppe. Insofern sind sie auch nach deutscher Rechtsprechung legal.

Aber nicht nur manchen "Jungen Liberalen" reichen wohl die Einschränkungen des Streikrechts, mit denen sich Altnazis hier verewigt haben, noch nicht aus.

Laut einer Umfrage, die das Marktforschungsinstitut Insa Anfang März dieses Jahres im Auftrag des Wirtschaftsflügels der CDU erhoben hat, denkt in der Tendenz auch die Mehrheit der Bevölkerung so.

Anhänger der Grünen wollen zu 53 Prozent Streiks in der kritischen Infrastruktur an härtere Bedingungen knüpfen. Anhänger der FDP befürworten das "nur" zu 49 Prozent, die der Unionsparteien zu 45 Prozent und SPD-Anhänger zu 37 Prozent. AfD- und Linke-Wähler liegen hier mit jeweils 42 Prozent gleichauf.

Für ein vollständiges Verbot sind demnach 30 Prozent der Wählerschaft von CDU und CSU, 18 Prozent der SPD-Anhänger und sogar 17 Prozent der Linken-Wähler.

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