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Nächstes "schwarz-grünes" Debakel: Kampf um Fechenheimer Wald geht in heiße Phase

In Frankfurt am Main sollen tausend Bäume für den Bau einer Autobahn weichen. Seit Wochen ist der Wald besetzt, nun verzögert der Eilantrag eines Aktivisten die Räumung.

Während die Republik auf Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier schaut, zeichnet sich in Hessen das nächste umweltpolitische Debakel unter einer "schwarz-grünen" Landesregierung ab. Seit Mittwoch sind rund sieben Hektar des Fechenheimer Waldes gesperrt [1], eine Fläche von zehn Fußballfeldern. Autobahn-Gegner dürfen hier nicht mehr kampieren, Jogger, Spaziergänger und Passanten die Waldwege nicht mehr entlanglaufen.

Zwei jeweils 90 Meter breite Streifen wurden zur "Sicherheitszone" erklärt. In der Nähe der Rodungsarbeiten bestünde "Gefahr für Leib und Leben", hieß es von Seiten des Forstamtes. An dem Waldstück am Frankfurter Teufelsbruch soll ein rund 230 Meter langer Streifen für die geplante Trasse des Riederwaldtunnels für die A66 gerodet werden. Die Vorbereitungen für die geplanten Rodungsarbeiten laufen seit Anfang Dezember. Am Waldrand weist eine martialische Containerburg auf bevorstehende Fällarbeiten hin.

Inzwischen stellte ein Waldbesetzer einen Eilantrag [2] beim Frankfurter Verwaltungsgericht und legte Widerspruch gegen die Sperrung des Waldes ein. Nun will die Polizei mit der Räumung warten, bis das Gericht darüber entschieden hat.

Seit 16 Monaten halten Aktivisten das Waldstück im Frankfurter Osten besetzt [3]. Dutzende Baumhäuser sind durch Seile miteinander verbunden. Überall hängen Transparente und Solarpanele.

Seit den 1970er Jahren wird in Frankfurt der Riederwaldtunnel als Verbindung zwischen zwei Autobahnen geplant. Seit Jahren versuchen Naturschützer, die geplante Rodung von bis zu 40 Meter hohen Bäumen zu verhindern, teilweise mit Erfolg: Immer wieder wurde die Rodung hinausgezögert auf Grund von Gegeninitiativen, Gutachten, Verfügungen, Demonstrationen und Kundgebungen.

Wirklich gestoppt wurden die Pläne nie. Nun steht die Rodung von rund tausend Bäumen [4] im geschützten Grüngürtel unmittelbar bevor. Der rund zwei Kilometer lange Lückenschluss soll 480 Millionen Euro kosten. Einige Anwohner erhoffen sich durch den Tunnel eine Verkehrsentlastung.

Um die Baupläne zu rechtfertigen, gab die Autobahn GmbH ein Gutachten in Auftrag, dessen Inhalt der BUND Kreisverband Frankfurt als "widersprüchlich" und "umweltpolitisch nicht hinnehmbar" bezeichnet.

Er fordert eine Aussetzung der Teilrodung bzw. einen Stopp der Planung des Lückenschlusses zwischen der Autobahn A66 und dem Frankfurter Autobahnring A661. Der geplante Ausbau zum vier- bis sechsspurige Riederwaldtunnel sei überdimensioniert, heisst es in einer Pressemitteilung [5].

Kann der Heldbockkäfer den Wald retten?

Auf dem Käfer, dessen Larven unsichtbar unter der Baumrinde leben und der vor einem Jahr im Wald nachgewiesen wurde, ruhen die Hoffnungen der Umweltschützer. Denn der Heldbockkäfer ist vom Aussterben bedroht und deshalb streng geschützt. Bei 51 Eichen wurde er nachgewiesen. Darüber hinaus gibt es 975 Eichen, die von den Käfern noch besiedelt werden könnten. 23 davon sollten ursprünglich gefällt werden.

Nun hält ein abschließendes Gutachten die Rodung und Artenschutz für vereinbar. Zwar dürfen einige Bäume vorerst nicht gefällt werden. Einen Stopp der geplanten Arbeiten bedeutet das aber nicht. Die "käfergeeigneten" Eichen werde man nicht in der aktuellen Fällperiode roden, teilte die Autobahn GmbH mit. In einem zweiten Schritt sollen auch die restlichen Bäume gefällt werden.

Auf welcher rechtlichen Grundlage das geschehen soll, ist offen. Es seien eine Ausnahmeregelung sowie "weiterführende Artenschutzmaßnahmen" erforderlich, heißt es in einem Gutachten. Bis Ende Februar sollen rund tausend Bäume auf einer Fläche von rund zwei Hektar fallen.

Die Fällarbeiten sollen beendet sein, bevor die Brutzeit der Vögel beginnt, wie es heißt. Das Aktionsbündniss "Unmenschliche Autobahn [6]" beauftragte unterdessen Rechtsanwälte mit Protest-Schreiben an die Autobahn GmbH, das Regierungspräsidium Darmstadt, das hessische Wirtschaftsministerium sowie das Fernstraßen-Bundesamt.

Die Rodung soll so lange ausgesetzt werden, bis unabhängige Gutachter die Population des Eichen-Heldbock-Käfers untersucht hätten und geeignete Schutzmaßnahmen ergriffen würden, fordern sie darin.

Fechenheimer Wald – ein Hot Spot der Artenvielfalt

Bei dem umkämpften Stadtwald handelt sich um einen so genannten Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwald auf feuchtem Aueboden. In ihm dominieren Stieleichen, Hainbuchen, Feld-Ahorn, Esche, Hasel, Pfaffenhütchen und Vogelkirsche. Neben Buschwindröschen blühen Große Sternmiere, Wald-Segge, Zittergras-Segge, Kleine Goldnessel, Wald-Ziest, Wald-Knäuelgras und Erdbeer-Fingerkraut.

Im Alt- und Totholz siedeln Heldbockkäfer, Eremit und Hirschkäfer. Zahlreiche Insektenarten bieten Nahrungsgrundlage für Bechstein- und Nymphenfledermaus sowie für Mittelspecht, Grau- und Schwarzspecht, Hohltauben und viele andere Vogelarten.

Bei einer Kartierung im Jahr 2009/10 wurden 42 Vogelarten nachgewiesen, darunter sechs Spechtarten, 18 Arten waren gefährdet. Neben typischen Stadtbewohnern fanden sich Bewohner von parkartigem Offenland sowie an alte Laubwälder gebundene Arten.

Die Erdkröte ist hier ebenso heimisch wie Grasfrosch, Bergmolch, Blindschleiche und Waldeidechse. Forscher zählten 16 Libellenarten. Besonders häufig wurde die Keilflecklibelle (Anaciaeschna isosceles) beobachtet, die in Hessen vom Aussterben bedroht ist. Wird der Wald zerschnitten, leiden Fledermäuse und viele andere Tierarten darunter.

Alte, artenreiche Wälder sind besonders wertvoll, denn sie reinigen und speichern Wasser, reinigen Luft und erzeugen Sauerstoff und speichern Kohlenstoff sowohl in der oberirdischen und unterirdischen Biomasse (Holz, Laub/Nadeln, Wurzeln) als auch im Boden.

Naturnahe Wälder mit ihren vielfältigen heimischen Baumarten sind widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel als artenarme Forstbestände, weiß Julia Krohmer von der Senckenberg Gesellschaft. Mischwälder wie der Fechenheimer Wald sind besonders resilient [7], also widerstandsfähig gegenüber Witterungsextremen. Dennoch sind sie anfällig gegenüber Trockenheit, vor allem bei sinkdendem Grundwasser.

Die Wasserentnahme aus dem Stadtwald und den umliegenden Entnahmegebieten ist prekär, mahnte Wolf-Rüdiger Hansen vom BUND Kreisverband Frankfurt, auf einer Demo im Mai 2022. Er ist besorgt, dass wegen der gigantischen Baugruben Grundwasserspiegel sinken und der Fechenheimer Wald, Riederwald und Teufelsbruch Schaden nehmen könnten [8]. Wenn die Bäume keine Zugriff aufs Wasser mehr haben, werden die restlichen Bäume um Frankfurt dann sterben? Immerhin sind mehr als 90 Prozent der Bäume in der Stadt infolge der Klimaerwärmung schwer geschädigt.

Der Kampf für eine bessere Klimapolitik geht weiter

Wie kann es sein, dass in einer Zeit des massiven Baumsterbens immer mehr Wald für Autobahnen geopfert wird, weil 50 Jahre alte Baupläne umgesetzt werden müssen? Im 21. Jahrhundert dürfen keine Autobahnen neu gebaut oder ausgebaut werden, erklärt Alexis Passadakis, Aktivist bei Ende Gelände Frankfurt. Das sei weiteres Öl ins Feuer in der Klimakrise.

Um das zu verhindern, besetzen sie den Wald [9]. In Frankfurt protestierten am ersten Januar-Wochenende rund 500 Menschen [10] gegen den Bau des geplanten Riederwaldtunnels. In den nächsten Tagen werden weitere Demonstrationen erwartet.

Sollte der Frankfurter Wald geräumt und gerodet werden, könnten sich ähnliche Szenen abspielen wie vor zwei Jahren im Dannenröder Forst bei Stadtallendorf. Dort sind mittlerweile auf der gerodeten Schneise die Bauarbeiten in vollem Gange. Wenn auch nicht immer störungsfrei: Anfang Juni drangen Unbekannte in das Gelände ein, zerstörten Fahrzeuge, zerschnitten Leitungen, bohrten Öltanks auf und klauten Fahrzeugschlüssel. Die Polizei schätzte den Schaden auf eine sechsstellige Summe [11].

In dem kleinen Ort Dannenrod haben sich unterdessen seit der Räumung rund zwanzig Aktivisten niedergelassen. In einem alten Gasthof veranstalten sie Workshops und planen Protestaktionen. Es fühle sich falsch, nach der Räumung den Ort zu verlassen, nur weil die Bäume weg sind, erklärt eine der Zugezogenen im Interview [12]. Und:

Wir stehen nicht nur für diese Bäume, sondern für eine ganze Wende, letztlich für eine ökologische Revolution.

Das gäst-innenhaus [13] soll ein Ort werden, an dem "eine sozial-ökologische und klimagerechte Transformation erprobt und gelebt werden kann", versprechen die Aktivisten auf ihrer Website. Hier soll politischer Aktivismus gelebt und Wissen geteilt werden.

Dannenröder Forst und Fechenheimer Wald sind nur zwei Beispiele für Wälder und Biotope, die vernichtet wurden oder vernichtet werden sollen, weil sie Straßenbauprojekten im Wege stehen [14].

Gleichzeitig stellen sich immer mehr Menschen quer, installieren Baumhäuser, leisten Widerstand, sind Sand im Getriebe. Kein Geld der Welt, keine neue Straße und kein Wirtschaftswachstum kann uns eine saubere Atemluft, verfügbares Trinkwasser und Biodiversität ersetzen. Das begreift jedes Kind. Nur bei politischen Entscheidungsträgern ist die Botschaft offensichtlich noch nicht angekommen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7456141

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.hessenschau.de/wirtschaft/vor-geplanter-rodung-in-frankfurt-forstamt-sperrt-sicherheitszone-im-fechenheimer-wald-v3,fechenheimer-wald-sicherheitsbereich-100.html
[2] https://www.hessenschau.de/wirtschaft/frankfurt-wohl-keine-raeumung-im-fechenheimer-wald-vor-kommender-woche-v8,fechenheimer-wald-106.html
[3] https://www.hessenschau.de/wirtschaft/gutachten-zum-a66-ausbau-in-frankfurt-fechenheimer-wald-darf-trotz-heldbockkaefer-gerodet-werden-v1,heldbockkaefer-riederwaldunnel-fechenheimer-wald-gutachten-100.html
[4] https://www.hessenschau.de/wirtschaft/zeitplan-fuer-riederwaldtunnel-im-fechenheimer-wald-sperrung-raeumung-rodung-v2,riederwaldtunnel-zeitplan-100.html
[5] https://www.bund-frankfurt.de/service/meldungen/detail/news/pressemitteilung-einzelfallgenehmigungen-fuer-die-zerstoerung-geschuetzter-naturflaechen-muessen-angesichts-der-klima-und-biodiversitaetskrise-drastisch-reduziert-werden/
[6] https://molochautobahn.de/news.php
[7] https://riederwald.org/2022/06/07/fechenheimer-wald-teufelsbruch-wertvoller-wald/
[8] https://riederwald.org/2022/06/07/fechenheimer-wald-teufelsbruch-wertvoller-wald/
[9] https://www.youtube.com/watch?v=EN4lQCu6UnI
[10] https://www.hessenschau.de/wirtschaft/vor-geplanter-rodung-im-fechenheimer-wald-hunderte-demonstrieren-gegen-riederwaldtunnel-in-frankfurt-v2,riederwaldtunnel-fechenheimer-demo-100.html
[11] https://www.hessenschau.de/panorama/hoher-schaden-diebstahl-und-sachbeschaedigung-an-a49-baustelle-,beton-einbruch-100.html
[12] https://www.youtube.com/watch?v=EN4lQCu6UnI
[13] https://gaest-innenhaus.org/#ueber-uns
[14] https://wald-statt-asphalt.net/proteste/