Nahost-Debakel erreicht Pen: Generalsekretärin tritt zurück

Regula Venske. Bild: Informationswiedergutmachung / CC BY-SA 4.0 Deed

Grund sind konträre Positionen zum Israel-Hamas-Krieg. Londoner Pen-Büro in der Kritik. Was steckt hinter dem Streit um Worte?

Das Erste, was in einem Krieg ermordet wird, ist die Wahrheit, und die Ersten, die nach einem Putsch mundtot gemacht werden, sind die Autorinnen und Journalisten. Alle Autokraten, Diktatoren, Mordregime fürchten das Wort.

Regula Venske, Interview, 2020

Die Erschütterungen, die der Krieg in Nahost weltweit auslöst, sorgen auch unter Kulturschaffenden für Zwistigkeiten, jetzt trifft es den Schriftstellerverband Pen. Die Hamburger Autorin Regula Venske tritt von ihrem Amt als Generalsekretärin von Pen International zurück; als Grund nennt sie unterschiedliche Positionen des Autorenverbandes zum Nahostkonflikt.

Die Schriftstellervereinigung Pen (Poets, Essayists, Novelists) wurde 1921 in England gegründet. Im Pen-Zentrum International sind mehr als 150 Vereinigungen zusammengeschlossen, die sich auch als Sprachrohr verfolgter und unterdrückter Kollegen:innen sehen. Laut Grundsätzen der Pen-Charta, wie sie auf der Webseite des Pen-Zentrums Deutschland wiedergegeben werden, treten die Mitglieder "mit äußerster Kraft für die Bekämpfung jedweder Form von Hass und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit" ein.

Venske amtierte von 2017 bis 2021 zunächst als Präsidentin des Pen-Zentrums Deutschland, zuvor (von 2013 bis 2017) als dessen Generalsekretärin. Seit Oktober 2015 gehörte sie dem internationalen Board als Generalsekretärin an. Präsident von Pen International ist der kurdisch-türkische Schriftsteller Burhan Sönmez.

Londoner Statements: "Mangel an Empathie"?

Bereits im Zuge einer gemeinsamen Podiumsdiskussion auf der Frankfurter Buchmesse deutete sich an, dass es in der Auslegung des Nahostkonflikts unterschiedliche Auffassungen gibt. Jetzt tritt die Kluft zwischen dem Pen-Zentrum Deutschland und den Offiziellen von Pen International verschärft zutage.

Insbesondere stieß sich Venske zuletzt offenbar an Statements des Londoner Sekretariats zu den aktuellen Ereignissen im Nahen Osten. Diese Statements, so betonte sie, hätte sie vor der Publikation weder gesehen, noch hätte sie sie gebilligt:

Mit Entsetzen habe ich am Abend des 10. Oktobers die Aussendung seitens des Londoner Sekretariats gelesen, deren Mangel an Empathie für die israelischen Opfer des Hamas-Massakers vom 7. Oktober mich zutiefst schockiert und deprimiert hat.

Regula Venske, Pressemitteilung Pen-Deutschland, 20.11.2023

Im Interview mit dem NDR vom 20.11.2023 schildert Venske, wie sie "gut einen Monat lang versucht" habe, über ihre Haltung speziell zu Nahost sowie zu den von ihr kritisierten Verfahrensabläufen zu diskutieren. Ohne Erfolg, wie es scheint. Venske laut NDR zu den Details ihrer Kritik:

Mich hat zum einen die Wortwahl gestört: Die Hamas wurden als "palästinensische Kämpfer" bezeichnet. "Freiheitskämpfer" stand nicht dabei, aber man assoziiert das dann.

Es wurde von einer "unprecedented operation" geredet - ich würde das "Pogrom" nennen. "Operation" - dass ist Putin-Sprache; wir sind doch Schriftsteller, wir müssen doch nicht so eine bürokratische und euphemistische Sprache benutzen.

Dann war die Rede davon, dass sie israelische "settlements" nahe der Grenze zum Gazastreifen angegriffen hätten. "Settlements" legt die Assoziationen nahe, dass es sich um illegale Siedlungen wie auf der Westbank handelt, aber das betrifft ja das israelische Kernland. (…)

Wer sich ein bisschen auskennt, hat doch sofort begriffen, dass dieser Angriff - wie der 11. September in New York - ein historisches Datum ist, dass das auch ein Einschnitt in der Geschichte ist.

Regula Venske, Interview mit NDR Kultur

Das jüdische Wochenmagazin tachles meldete sich zu den Querelen zu Wort und schreibt am 21.11.:

Die grausame Ermordung israelischer und internationaler Zivilisten durch die Hamas-Kommandos war dem Londoner Pen-Büro (…) keine Silbe wert. Venske schreibt zudem, sie sei zu der Einsicht gekommen, dass sie in den derzeitigen Strukturen von Pen International kaum Einfluss auf Pressemitteilungen habe.

tachles

Pen und das Wording: Wird jetzt taktiert?

Auf den allseits zugänglichen News-Seiten des englischen Pen findet sich eine offizielle Mitteilung vom 25. Oktober , in der von den "abscheulichen Massentötungen" der Hamas an israelischen und ausländischen Staatsangehörigen ebenso die Rede ist wie von den "unweigerlich schweren Schäden", die die israelische Reaktion für den Gazastreifen bedeute (eine "Bedrohung für Zivilisten und zivile Objekte"). Das klingt nicht besonders unausgewogen.

Jedoch gibt es Anzeichen für "Nachbearbeitung", zumindest wenn man die Plattform des Pen International hinzuzieht.

Dort findet sich eine News unter dem Datum des 10. Oktober. Klar und deutlich wird hier der Aspekt der "zunehmenden Gewalt gegen Palästinenser und der alarmierenden (israelischen) Siedlungsexpansion der letzten Jahre" angesprochen. Desgleichen die kritische Situation im Gazastreifen mit Betonung der zusammenbrechenden Wirtschaft und der bedrückenden Einengung der Bevölkerung im "open-air-prison".

Thematisiert findet sich hier auch (Zitat) "der Aufstieg der extremen Rechten in Israel, die im November 2022 mit einer rechtsextremen Koalition an die Macht kam", was ernste Menschenrechtsfragen aufwerfe. Die neue (israelische) Regierung habe "viele höchst umstrittene Rechtsextremisten an die Macht gebracht".

Burhan Sönmez, Präsident von Pen International, lässt sich an der Stelle in Richtung beider Seiten ein:

Die Gewalt der Hamas und der israelischen Regierung sind inakzeptabel. Jahre der Besatzung und des politischen Stillstands haben zu dieser Gewalt geführt, unter der die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten am meisten leidet. Ich spreche allen, die von diesem Blutvergießen betroffen sind, mein Beileid aus.

Burhan Sönmez

Möglicherweise will er die Wogen glätten. Bemerkenswert: Offenkundig wurden Pressemitteilungen zum Thema – auffälligerweise unter dem Datum des 21. November – upgedatet. Hier könnte das deutsche Debakel den Hintergrund abgeben.

Jedenfalls toppen die frischen Updates sowohl die zitierte Mitteilung des Pen International vom 10. Oktober wie auch jene spätere vom 25. Oktober.

In letzterer gibt es, nebenbei bemerkt, auch Medienschelte. Da ist die Rede von den Versuchen der Mainstream-Medien, die "journalistische Berichterstattung über die umfangreichen israelischen Bombardierungen des Gazastreifens zu unterdrücken" (oder zu verzerren).

Das ist doch gut? Denn wie sagte die zurückgetretene Venske: Das Erste, was in einem Krieg ermordet wird, ist die Wahrheit.