Nahost: UN-Ausschuss sieht "Merkmale eines Völkermords" in Gaza

Kinder an der Mauer neben einem zerstörten Haus lang

Nach einem Luftangriff in Rafah im Februar 2024

(Bild: Anas-Mohammed/Shutterstock.com)

UN-Bericht wirft Israel vor, "Hunger als Kriegswaffe" einzusetzen. USA geben neue Waffenlieferungen frei. Bislang keine Reaktion aus Tel Aviv.

Ein Sonderausschuss der Vereinten Nationen hat erklärt, dass die Politik und die Praktiken Israels in Gaza "den Merkmalen eines Völkermords entsprechen".

Anzeichen dafür seien, dass "Hunger als Kriegswaffe" eingesetzt werde und "kollektive Bestrafungspraktiken" zum Einsatz kommen, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht des UN-Gremiums.

Bereits im März hatte die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, "begründete Anhaltspunkte" dafür gesehen, dass Israel in Gaza einen Völkermord begehe.

Laut dem Bericht, der den Zeitraum vom Oktober 2023 bis Juli 2024 abdeckt, haben israelische Offizielle seit Beginn des Krieges "öffentlich Maßnahmen unterstützt, die den Palästinensern lebensnotwendige Nahrungsmittel, Wasser und Treibstoff vorenthalten".

Diese Äußerungen sowie die "systematische und illegale Behinderung humanitärer Hilfe" machten deutlich, dass Israel "lebenswichtige Versorgungsgüter für politische und militärische Ziele instrumentalisieren" wolle.

Der Sonderausschuss wurde im Dezember 1968 von der UN-Vollversammlung eingerichtet, um die Menschenrechtslage in den von Israel besetzten Gebieten zu untersuchen.

Mindestens 43.736 Tote in Gaza seit Oktober 2023

Seit dem 7. Oktober 2023 hat der israelische Krieg im Gazastreifen nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums mindestens 43.736 Palästinenser getötet und 103.370 verletzt. Der Krieg folgte auf einen Angriff der Hamas im Süden Israels, bei dem schätzungsweise 1.139 Menschen getötet und mehr als 200 als Geiseln genommen wurden.

Der UN-Bericht weist darauf hin, dass Israel trotz wiederholter Appelle der Vereinten Nationen, verbindlicher Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) und Resolutionen des UN-Sicherheitsrats weiterhin "Kollektivstrafen" gegen die palästinensische Bevölkerung verhängt.

Die Bombardierungskampagne in Gaza habe "vitale Dienstleistungen dezimiert" und eine "Umweltkatastrophe mit dauerhaften gesundheitlichen Folgen" verursacht, heißt es in dem Dokument weiter. Bis Anfang 2024 seien mehr als 25.000 Tonnen Sprengstoff – das Äquivalent von zwei Atombomben – auf Gaza abgeworfen worden.

Dies habe zu "massiven Zerstörungen und dem Zusammenbruch der Wasser- und Abwassersysteme, zur Verwüstung der Landwirtschaft und zu toxischer Verschmutzung" geführt.

Rund 70 Prozent der Kriegstoten im Gazastreifen seien Frauen und Kinder, teilte das UN-Menschenrechtsbüro vergangene Woche mit.

Der UN-Sonderausschuss wirft Israel außerdem vor, die Medienzensur während des Krieges verschärft zu haben und abweichende Meinungen zu unterdrücken. Die "Angriffe auf Journalisten sind bewusste Bemühungen, den Zugang der Welt zu Informationen über die Geschehnisse in Gaza zu blockieren", heißt es in dem Bericht.

"Diese bewusste Unterdrückung der Berichterstattung, gepaart mit Desinformation und Angriffen auf humanitäre Helfer, ist eine klare Strategie, um die lebenswichtige Arbeit der Vereinten Nationen zu untergraben, die Lebensader der Hilfe, die Gaza noch erreicht, zu kappen und die internationale Rechtsordnung zu demontieren", so der Ausschuss weiter.

Internationaler Gerichtshof untersucht Genozid-Vorwürfe

Der Bericht fordert alle UN-Mitgliedsstaaten auf, ihren rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, Israels Verstöße gegen das Völkerrecht zu beenden und das Land zur Verantwortung zu ziehen.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) prüft derzeit eine Klage Südafrikas, wonach die israelische Militärkampagne in Gaza einen Völkermord darstellt.

Im Januar hatte der IGH Israel aufgefordert, vorläufige Maßnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern. Die israelische Regierung hat bisher nicht auf den neuen UN-Bericht reagiert. In der Vergangenheit hatte sie die Vereinten Nationen als voreingenommen gegenüber Israel dargestellt.

Anfang des Monats teilte die israelische Mission dem Gremium mit, dass die Regierung innerhalb der nächsten drei Monate die Zusammenarbeit mit dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (Unrwa) einstellen werde.

Biden gibt Waffenlieferungen frei

Indes hat US-Präsident Joe Biden grünes Licht für ein 20-Milliarden-Paket an Waffenlieferungen nach Israel gegeben, nachdem eine Frist von 30 Tagen verstrichen war. Die Lieferungen waren an eine signifikante Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen innerhalb dieses Zeitraums geknüpft (Telepolis berichtete).

Wie US-Außenamtssprecher Vedant Patel erklärte, habe Israel einige, aber nicht alle der geforderten Maßnahmen umgesetzt. Dennoch sehen die USA derzeit keinen Verstoß gegen geltendes Recht.

Zuvor hatten am Dienstag mehrere Hilfsorganisationen einen Bericht veröffentlicht, der auf Anfrage der Biden-Regierung erstellt worden war. Er kam zu dem Schluss, dass Israel die meisten der Anforderungen, die von US-Außenminister Blinken als Bedingung für eine Freigabe von Waffenlieferungen formuliert worden waren, nicht erfüllt hatte.

"Israel erfüllte nicht nur nicht die Kriterien der USA, die auf eine Unterstützung der humanitären Hilfe hindeuten würden, sondern ergriff gleichzeitig Maßnahmen, die die Situation vor Ort, insbesondere im Norden des Gazastreifens, dramatisch verschlechterten", heißt es in dem Dokument.