Nahostkrieg mit erschreckenden Szenarios ist längst in Planung
Vertreter europäischer Eliten reagieren verärgert
Kriegspläne gegen Iran und Nordkorea werden in der Bush-Regierung zur Zeit nicht erörtert. Aber gegen das dritte Element in der "axis of evil" (George Bush), gegen den Irak, werden die USA bald massiv vorgehen. Denn in der US-Regierung ist inzwischen Einigkeit über einen Umsturz des Regimes von Saddam Hussein hergestellt (vgl. Irak erneut im Visier).
Dies bestätigte der bislang als vorsichtig und moderat geltende US-Außenminister Colin Powell am Mittwoch vor dem Haushaltsausschuss des Washingtoner Senats. Und Vizepräsident Dick Cheney machte am Wochenende deutlich, dass die Bush-Regierung von der Kritik der engsten USA-Verbündeten wenig hält.
Ein Regimewechsel im Irak sei "im besten Interesse der Region", sagte Powell, der bis vor kurzem als der große Warner und Mahner galt, wenn es in der Vergangenheit um militärische Interventionspläne aus Washington ging. Die USA hätten nichts als Frieden im Sinne, aber angesichts des "Bösen" bleibe dem Weißen Haus nichts anderes übrig, passte sich Powell dem religiös-fundamentalistischen Neusprech der Bush-Administration an. Konkretes wollte Powell nicht verraten. Aber die Botschaft kam an, etwa bei der "New York Times", die mehrere Regierungsbeamte - anonym freilich - über die Umsturzdiskussion in den Washingtoner Führungsetagen befragte. Antwort: Der Irak wird in einem Zeitraum von fünf Monaten oder mehr angegriffen, und beginnen wird das Ganze, indem die USA eine diplomatische Krise provozieren und dazu die UNO verwenden.
Between now and May, Mr. Bush's team plans to create what amounts to an inspection crisis - demanding that Iraq admit into the country the nuclear inspectors it ousted in 1998. Mr. Bush's aides fully expect that Mr. Hussein will refuse outright or feign cooperation in the hope of dragging out the process. Mr. Bush's plan is to use either action as evidence that Iraq is hiding active weapons programs, and use its resistance to justify more forceful action.
So lautet die Schlussfolgerung, die David Sanger in der New York Times aus den Interviews mit den Insidern zieht. Die Phasen: US-Druck im UNO-Sicherheitsrat, die Wirtschaftssanktionen gegen den Irak zu verschärfen; ein Ultimatum der USA und Englands an den Irak, UNO-Waffeninspektoren unbeschränkten Zugang zu gewähren; ein "Nein" Saddam Husseins; die Forcierung einer "internen bewaffneten Rebellion" im Irak und schließlich Angriffe und Bodentruppen der USA.
Der Startschuss soll diesem Plan zufolge im Mai fallen, wenn der UNO-Sicherheitsrat ueber die Erneuerung der Sanktionen zusammentrifft. Der "Iraqi National Congress" (INC), ein weit gefächertes Exil-"Oppositionsbündnis", dessen einziger gemeinsamer Nenner in der Ablehnung der Person Saddam Hussein besteht, dafür aber einen umso heißeren Draht ins Pentagon und ins Weiße Haus hat, stößt offenbar auf immer offenere Türen, seit die USA im Afghanistan-Triumpf schwelgen. Die militärische Ausbildung des INC durch US-Sondereinheiten findet noch nicht statt, aber INC-Funktionäre haben von Bush die Zusicherung erhalten, dass der Sturz Saddam Husseins fester Bestandteil des Programms ist.
Als vorbereitende Maßnahme für einen großen Nahostkrieg wird der Besuch von US-Vizepräsident Dick Cheney im Nahen und Mittleren Osten im kommenden Monat gewertet. Dass Cheney dabei versucht, eine Anti-Irak-Koalition aus dem Boden zu stampfen, ist nicht unwahrscheinlich. Sein Programm umfasst die Nachbarstaaten Iraks und die entscheidenden Länder, deren Zustimmung bzw. Stillhalten Washington erwirken müsste, um den Feldzug wirklich durchzuführen: Saudi-Arabien, Bahrein, Katar, Oman, Vereinigte Arabische Emirate, Jordanien, Ägypten, Türkei, England und Israel. Dass europäische Länder kaum eine Rolle in den Planungen spielen bzw. die USA davon ausgehen, von ihnen trotz Kritik am außenpolitischen Kurs dann doch stillschweigende Unterstützung, auf jeden Fall keinen Gegendruck zu bekommen, denken die Kriegsstrategen laut "New York Times" bereits voraus.
At some point," a senior administration official said, "the Europeans with butterflies in their stomachs - many of whom didn't want us to go into Afghanistan - will see that they have a bipolar choice: they can get with the plan or get off.
Auf das allmählich deutlichere Konturen annehmende Szenario der Stufe drei im "Krieg gegen den Terrorismus" - Stufe eins war Afghanistan, Stufe zwei sind Hetzjagden auf "Terroristen" und Druck auf Regierungen - reagieren die Vertreter europäischer Eliten verärgert. Am Ausführlichsten ging dabei der Vertreter für äußere Angelegenheiten in der "Europäischen Union", Chris Patten, mit dem Unilateralismus der USA ins Gericht. In der "Financial Times", wo er sich äußerte, wird seit längerem das Auseinanderdriften Europas und der USA debattiert. Aus Washington echote es umgehend mit drohenden Untertönen zurück. Die Rolle des Oberlehrers mit dem erhobenen Zeigefinger übernahm Vizepräsident Dick Cheney. Seine außenpolitische message im "Council on Foreign Relations" sei "hart und so gar nicht nach dem Geschmack verbündeter Regierungsbeamter gewesen", befand zurecht die New York Times.
America has friends and allies in this cause, but only we can lead it. Only we can rally the world in a task of this complexity against an enemy so elusive and so resourceful. The United States and only the United States can see this effort though to victory. This responsability did not come to us by chance. We are in a unique position because of our unique assets, because of the character of our people, the strength of our ideals, the might of our military and the enormous economy that supports it.
Auf engste militärische und Geheimdienstzusammenarbeit können die USA jedenfalls bei der Atommacht Israel vertrauen. Laut der liberalen israelischen Zeitschrift Jerusalem Report war das Irak-Szenario ein wichtiger Grund für den Besuch des Hardliners und israelischen Premiers Ariel Scharon im Weißen Haus. Israel habe dabei sogar vorgeschlagen, in den westlichen Irak mit eigenen Truppen einzumarschieren, um den Abschuss von Scud-Raketen auf israelisches Territorium zu unterbinden. Israel habe auch angeboten, West-Irak solange besetzt zu halten, bis US-Truppen das Territorium übernehmen würden.
Ein Nahostkrieg mit erschreckenden Szenarios ist längst in Planung. Dass von der demokratischen "Opposition" in den USA nicht Kritik, sondern volle Unterstützung für die Bush-Regierung zu erwarten ist, scheint dabei zur Gewissheit zu werden. Der ehemalige Vizepräsident Al Gore, der gegen Bush angetreten war und dem nach dem Auszählungschaos in Florida von Obersten Gericht der USA der Wahlsieg abgesprochen worden war, trat diese Woche ebenfalls an die Öffentlichkeit. Vor dem "Council on Foreign Relations" in New York kritisierte er zwar Bushs Bündnispolitik, doch dessen Spruch von der "Achse des Bösen" stimmte er zu. Und einem Krieg gegen den Irak sowieso.