Napoleon im Kino: Ridley Scotts Waterloo

Rüdiger Suchsland

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Nur schlechter Sex und Groteske – Napoleon der Kleine: Der Film über den Kaiser der Franzosen sollte besser "Josephine (und Napoleon)" heißen.

Napoleonische Schlachten sind so schön. Wie riesige, tödliche Ballette ... sie haben alle eine ästhetische Brillanz, für die man keinen militärischen Verstand braucht, um sie zu schätzen.

Stanley Kubrick

Vielleicht sollten Engländer keine Filme über Napoleon Bonaparte machen. Dieser hier ist ein Waterloo des Regisseurs, eine Kapitulation vor der doppelten Aufgabe, einfach einen guten Film zu machen, wie vor der, eine Ahnung von seinem Gegenstand zu geben.

Ein Film, der "Napoleon" heißt, kann diesen in den Himmel loben oder verdammen, kritisieren oder verteidigen, verzaubert zeigen oder entzaubern, aber er sollte von diesem Gegenstand handeln, und etwas ansatzweise Neues über ihn zu erzählen haben. Ridley Scott hat es nicht.

Kein Charisma, keine Psychologie, sondern nur schlechter Sex und Groteske. Keine Antworten und keine Fragen: Warum verliebt Bonaparte sich in Josephine? Warum Josephine in ihn? Was war sein militärisches Genie?

Man muss Napoleon nicht mögen, um das alles wissen zu wollen.

Nichts zum Freiheitsdenken, zum Mythos des Retters, zum Helden der europäischen Nationen, der bis heute in Polen und Ungarn eine Art Nationalheld ist, aber auch nichts dagegen. Keine Idee, keine Bilder, kein irgendwas. Nichts.

Nur Witze für Leute, die keine Ahnung haben. Von der universalen Ästhetik, die Stanley Kubrick im Eingangszitat beschwört, keine Spur.

Aber wegen dieser Ästhetik geht man ins Kino. Nicht um einem gelangweilten 80-jährigen Regisseur dabei zuzusehen, wie ihn sein Gegenstand nicht interessiert.

Napoleon (17 Bilder)

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Die Hoffnung des Anfangs, Tempo und Kraft

Ziemlich früh in diesem Film werden wir Zeuge einer rasanten Kampfszene: Es ist die Belagerung von Toulon, deren Erfolg im Herbst 1793 dem jungen Artillerieoffizier Bonaparte frühen Ruhm und die Beförderung zum General eintrug, und die ihn erstmals der französischen Öffentlichkeit bekannt machte.

Regisseur Ridley Scott zeigt hier die Kampfhandlungen so komplex und chaotisch, wie sie es vermutlich tatsächlich gewesen sind, und doch behält er für uns Zuschauer den Überblick, sodass man immer weiß, was gerade passiert, und worum es geht.

Umso überraschender und im besten Sinn schockierender ist der Moment, in dem das Chaos in die filmische Ordnung einbricht und dem Helden plötzlich mit einer Kanonenkugel der Schimmel unter dem Sattel weggeschossen wird ...

Um ein Haar wäre es hier mit der Karriere des jungen Offiziers vorbei gewesen.

Tatsächlich aber folgte der berühmte Italienfeldzug, den der französische Schriftsteller Stendhal in seiner "Kartause von Parma" verewigte, und der Ägyptenfeldzug, den Napoleon Bonaparte gegen die Briten gewann, bevor er symbolisch und öffentlichkeitswirksam Zwiesprache mit dem 3.000 Jahre alten Reich der Pharaonen hielt und der nicht nur die Orient-Mode der nächsten 100 Jahre, sondern auch die politische Karriere des Offiziers Bonaparte begründete.

Als er zurückkehrte, war ein gemachter Mann und wurde bald als "Erster Konsul" derjenige, der die Revolution beendete und ihre Errungenschaften auf Dauer stellte, in Europa verbreitete und damit das Gesicht Europas für immer veränderte.

Mit 86 Jahren ist Ridley Scott immer noch einer der produktivsten Filmemacher Hollywoods. Tatsächlich war sein neuer Film noch gar nicht herausgekommen, da begann Scott bereits mit dem Dreh zu "Gladiator 2", dessen Produktion wegen des Streiks der Schauspieler unterbrochen wurde und in Kürze wieder aufgenommen wird.

Meister Scott

Seit Scott 1977 seinen ersten Film, "The Duelists" fertigstellte, den gerade viele Franzosen immer noch für den besten Film über das Napoleonische Zeitalter (1795-1815) halten, hat Scott einige große Meisterwerke ("Alien", "Blade Runner", "Thelma & Louise" und "Gladiator") geschaffen, blieb aber auch vor gelegentlichen Fehltritten nicht gefeit: Produktionen, die zwar immer bei Scott visuell glänzen konnten, denen aber das richtige Drehbuch oder die richtige Geschichte fehlte: "1492", "Hannibal" oder "Alien: Prometheus".

Jetzt erzählt er die Geschichte des Kaisers der Franzosen, der ein ganzes Zeitalter prägte, und bei manchen Völkern – Polen, Ungarn, Südwestdeutschen – bis heute als Freiheitsheld beliebt ist, und die im Kino noch nie zufriedenstellend erzählt wurde.

Berühmte Napoleon-Projekte von Charlie Chaplin und Stanley Kubrick erblickten nie das Licht der Welt, und der bisher berühmteste Kinofilm, Abel Gance' auf sechs Teile angelegter, filmisch revolutionärer Stummfilm "Napoleon" wurde nach dem ersten Teil aus finanziellen Gründen eingestellt.

Ridley Scott dagegen vermeidet peinlich alle solche Vergleiche: Zu Gance, zu Bondartschuk, zu Guitry. Seinem zweieinhalbstündigem Werk geht es nun ähnlich wie seiner Hauptfigur im Leben: Die Hoffnungen des Anfangs, das Tempo und die Kraft der filmischen Dynamisierung können im weiteren Verlauf des Films nur selten aufrechterhalten werden.

Die Intensität der Schlacht bei Toulon erreichen die Kampfszenen erst wieder am Ende bei Waterloo, wo paradoxerweise Scotts Napoleon im Film auch seine allererste Rede an die Soldaten hält – eine schwer verständliche Entscheidung der Macher, waren doch Ruhm und politisch-militärischer Erfolg Napoleons nicht zuletzt Folge seiner charismatischen Wirkung und Rednergabe.

Plötzlich aus dem Nichts abgesetzt, dann wieder da

So ist das, was an diesem Film noch halbwegs interessant ist, vor allem das Bild des Privatmanns Bonaparte und hier wieder das seiner ersten Frau, der großen Liebe Josephine. Dieser Film sollte besser "Josephine (und Napoleon)" heißen.

Denn so leidenschaftlich und fesselnd Scott den Mensch hinter der Legende erfolglos zu finden sucht, so sehr konzentriert er sich von Anfang an auf seine Beziehung zu Josephine und die Briefe, die sie sich im Laufe der Jahre geschrieben haben.

Scott erzählt das Leben von Napoleon Bonaparte also als intimes Stationendrama seiner Ehe mit Josephine – das Ergebnis ist ein Film, der alles andere als rund ist, sondern extrem sprunghaft, episodisch und fragmentarisch wirkt.

Erkennbar fehlen zu viele Teile des Puzzles – die Kaiserkrönung 1804 kommt aus dem Nichts, Jena und Goethe und Hegel so wenig vor wie Kutussow, die Königin Luise und Maria Walewska, die Völkerschlacht bei Leipzig nicht, kein Spanienfeldzug, kein Trafalgar, kein Wagram – plötzlich ist er aus dem Nichts abgesetzt, dann wieder da, Josephine stirbt im falschen Jahr, die Generäle gibt es nicht und Talleyrand ist wie Fouche nur Namedropping.

Scott: Fakten interessieren nicht

Schon im Vorfeld des Filmstarts erklärt Ridley Scott nicht nur, dass ihn Fakten nicht interessierten, sondern auch fast entschuldigend, die kommende Streaming- und DVD-Fassung werde "mindestens vier Stunden" umfassen und "besser" sein. Eine zwiespältige Ankündigung. Ist die Kinofassung also nur ein Teaser fürs apple+-Abo?

Dieser vierstündige Director's Cut wird vielleicht etwas mehr Licht auf den Mann werfen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass er die grundlegenden Probleme des Films beseitigt.

Austerlitz

Bemerkenswert für den schludrigen Umgang Scotts mit seinem Gegenstand ist die Darstellung des berühmtesten Siegs Napoleons in der Winter-Schlacht von Austerlitz. Tolstoi hat aus ihr eine Ode an Napoleon gemacht, fast jeder Historiker sieht sie zumindest als taktisches Meisterstück an.

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Scott konzentriert sich auf oberflächliche und irreführende Nebenaspekte, um ein paar spektakuläre Digitaleffekte vorzuführen: Der vereiste See war an einem Randbezirk des Schlachtfelds und keineswegs Ursache der Niederlage der überlegenen Truppen.

Wer nicht weiß, dass die Franzosen die Österreicher mit einer Finte von ihren befestigten Bergstellungen herunterlockten, erfährt es bei Tolstoi, aber nicht bei Scott.

Und die sprichwörtliche "Sonne von Austerlitz" darf bei ihm auch nicht scheinen. In dieser und in vielen anderen Schlachtszenen lässt Scott einen Großteil der Farben weg, und sein Film tendiert durchgehend zu einer Schmutzwäschepalette aus Grau und Braun, Düsternis und Schlamm.

Man muss Napoleon nicht verehren und verklären, um das zu bemängeln.

Zwei Hauptdarsteller mit großem Talent

Wovon die Kinoversion letztlich fast allein lebt, sind seine zwei Hauptdarsteller: Joaquin Phoenix und Vanessa Kirby verkörpern ihre Charaktere mit großem Talent. Phoenix grimassiert und dreht seine Figur immer wieder ins Groteske, ansonsten dominiert eine mürrische sardonische Gereiztheit, als wolle er es mit Rod Steiger aufnehmen.

Das ist zwar amüsant anzusehen, denn Phoenix bleibt am Ende immer Phoenix, untergräbt aber unser Verständnis für alle Aspekte vom Charakter Bonapartes, die offenbar weder Regisseur noch Hauptdarsteller interessiert haben.

Die Chemie zwischen Phoenix und Kirby ist aber unbestreitbar – die ödesten Sexszenen der Kinogeschichte verhindert das jedoch auch nicht.

Aber der Film geht noch weit darüber hinaus, indem er Josephine fast zur Hauptfigur und jedenfalls zur Antriebsquelle eines spröden, undurchschaubaren und wenig charismatischen Napoleon macht, der unter der Fuchtel seiner Gattin und seiner Mutter steht und manchmal zu einem grotesken Zwerg schrumpft.

Das bricht nicht nur mit den Erwartungen des Kinos, es ist auch unhistorisch: Faktenwahrheit interessiere ihn nicht, erklärte Scott dazu - das ändert nichts daran, dass er die Möglichkeiten des Kinos, einer historischen Figur und einer realen Epoche Bild-Gestalt zu geben, verschenkt.

Visuell ok und ein paar Überraschungen

Vieles ist auch stilistisch überaus mangelhaft und geradezu unbeholfen: Übergänge, Zeitsprünge über zwei, drei Jahre ohne Kontexte zwischen den Szenen; Momente, die von einem Schritt zum nächsten übergehen, ohne die Handlung weiterzuentwickeln, ohne dass wir Motivationen oder innere Logik verstehen. Man merkt, dass der Film stark beschnitten wurde, um die immer noch große Länge zu erreichen, die er jetzt hat.

Trotzdem ist Scotts Film visuell noch am ehesten gelungen – ein unheroisches Portrait, das uns eine graue, kühle, regnerische Welt zeigt: ohne "die Sonne von Austerlitz", ohne Pathos und bunte Farben, auch mit sanfter Barockmusik statt den historischen korrekten Klängen des Napoleon-Fans Beethoven.

Wer sich auf all das einlässt, wird immerhin ein paar wenige interessante Überraschungen erleben. Der Rest muss auf das kommende Jahr hoffen: Dann wird Steven Spielberg endlich das berühmte, unverfilmte Drehbuch Stanley Kubricks in Angriff nehmen.