Narendra Modi und die Geister der Vergangenheit
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Indiens Premier wird von den anti-muslimischen Unruhen 2002 eingeholt. Die EU hält eigene Gutachten zu den Verfolgungen zurück. In Brüssel und den europäischen Hauptstädten sollte man genau unter die Lupe nehmen, mit wem man in Zukunft enger kooperiert.
Die blutigen Verfolgungen der muslimischen Minderheit in Gujarat liegen über 20 Jahre zurück, doch bestehen weiter Zweifel, ob Narendra Modi, Indiens Premierminister und damals Ministerpräsident des indischen Bundesstaats wirklich unbeteiligt war oder sein Verhalten etwa doch die Unruhen begünstigten und verlängerten.
Die von der BBC produzierte Dokumentation India: The Modi Question zitiert aus einem Untersuchungsbericht, den die britische Regierung bald nach den Unruhen in Auftrag gegeben hatte und in welchem Narendra Modi beschuldigt wird, mehr getan zu haben, als "nur" wegzusehen.
Stattdessen berichtete die britische Regierung gestützt auf indische Quellen von systematischem Vorgehen des Hindu-Mobs gegen muslimische Opfer. Demnach handelte es sich nicht um einen spontanen Gewaltausbruch als Reaktion auf die Tragödie von Godhra am 27. Februar 2002, bei welcher 57 Hindu-Pilger in einem Zug verbrannten. Dieser tragische Vorfall, so der Vorwurf, diente nur als Vorwand, um einen schon vorher entworfenen Plan zu realisieren.
Die Ausstrahlung der Doku in Indien über die sozialen Medien wurde vor zwei Wochen von der Regierung Modi verboten und Zuschauer illegaler Aufführungen verhaftet.
EU hält Gutachten zurück
Die EU zeigt sich bemerkenswert kooperativ mit den Interessen der indischen Regierung: Laut dem indischen Online-Magazin The Wire versuchte die niederländische NGO Arisa, die zu Rechten in Indien arbeitet, erfolglos, Abschriften von der EU in Auftrag gegebene Gutachten über die Unruhen in Gujarat zu erhalten.
Der EAD (Europäische Auswärtige Dienst) weigert sich, diese vollständig zu veröffentlichen. Das erste Gutachten stammt vom 18. April 2002 (ungefähr sechs Wochen nach den Unruhen) und wurde wenigstens in Teilen bekannt, zum Beispiel wird die Zahl der Todesopfer nicht wie offiziell bei 850 angesetzt, sondern bei über 2.000.
Der EAD begründet seine Weigerung mit Rücksicht auf die europäisch-indischen Beziehungen. Ein zweiter Bericht "Common report on the March/April 2002 events" bleibt komplett unter Verschluss, mit der gleichen Begründung:
"Der Inhalt des Dokumentes behindert die fortlaufende Zusammenarbeit mit Indien, auf der politischen und praktischen ("operational") Ebene."
Modis Dilemma
Narendra Modis Versuch, Innenpolitik und Indiens weltweite Rolle unter einen Hut zu bringen, ähnelt einem Spagat. Seine Partei, die Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei, BJP) ist nicht nur konservativ und pro Hindu, sondern rechtsgerichtet, manche Teilorganisationen sind rechtsextrem.
Ihr widerstrebt der säkulare Geist der Verfassung, welche die Gleichberechtigung aller Kasten, Sprachen, Religionen und Volksgruppen festschreibt und es ist ihr explizites Ziel, die Geschichte, in welcher Indien über 1000 Jahre von Nichthindus regiert wurde (zuerst Muslimen, dann Briten), zum Teil zumindest umzukehren.
Eine vom Obersten Gericht ernannte Kommission sprach Modi 2012 – noch zu Zeiten einer Congress-Regierung – von allen Vorwürfen während der Gujarat-Unruhen frei. Doch es bleibt ein äußerst schaler Nachgeschmack.
Wie bei den Anti-Sikh Unruhen in Delhi, die 1984 auf die Ermordung Indira Gandhis folgten – "Wenn ein großer Baum fällt, zittert die Erde" bemerkte damals lapidar ihr Sohn Rajiv Gandhi, auf die Art "Wer so etwas tut, muss sich nicht wundern".
Dieser Pogrom forderte mindestens doppelt, wenn nicht sogar fünfmal so viele Opfer wie Gujarat und es wurde ebenfalls keiner der Haupttäter zur Verantwortung gezogen. Zu ihnen gehörte Rajiv Gandhi selbst.
Wiederum überzieht Narendra Modi seit seinem Amtsantritt 2014, mal stärker, mal schwächer, Muslime und andere Minderheiten mit einer ununterbrochenen Kampagne von Ausgrenzung und lässt keine Gelegenheit aus, Indien als ein primär hinduistisches Land zu zeigen, in welchem die Gruppen, die nicht dem ethnisch-religiösen Mainstream angehören, in der zweiten Reihe stehen werden.
Die Mehrheit hätte sich lange alles gefallen lassen, nun sei Zeit für positive Diskriminierung. Bewusst setzt er auf vage, dumpfe Drohungen, um Gegner zu verunsichern und einzuschüchtern und wohl wären selbst seine Opfer erleichtert, wenn er endlich rauskäme mit der Sprache, was er eigentlich wirklich mit Muslimen und anderen "fremden" Minderheiten vorhat.
Auf der internationalen Bühne ist Narendra Modi natürlich gezwungen, diese Aspekte seiner politischen Arbeit so weit wie möglich herunterzuspielen und zu verharmlosen.
Da geht es darum, Indien als modernes, innovatives, stabiles Land zu zeigen, das fest in sich und auf Konsens beruht; eine aufstrebende Macht, die sich als wirtschaftlicher – und seit der russischen Ukraine-Invasion und den amerikanisch/europäischen Spannungen mit China – auch strategischer Partner empfiehlt.
Ebenso braucht Indien wegen der eigenen zunehmenden Spannungen mit China, dem es in keiner Hinsicht ebenbürtig ist, eine engere Bindung an den Westen.