Narr oder Nero: Wer ist Donald Trump?

Donald Trump. Bild: Chip Somodevilla / Shutterstock.com
Der US-Präsident vereint zwei gegensätzliche Rollen. Seine Mischung aus Humor und Autorität verunsichert. Niemand weiß: Was ist von ihm zu erwarten?
Im abstrakten Sinne ermöglicht Macht als "symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium" (Niklas Luhmann) Unwahrscheinliches wahrscheinlich zu machen. Sie bewirkt mittels allenfalls latent zu beobachtenden Drohungen, Handlungen im Sinne der Machtausübenden möglich oder sogar erwartbar zu machen.
Dies geschieht unwahrscheinlicherweise entgegen den Vorstellungen und Intentionen von Personen oder Institutionen, gegenüber denen Macht ausgeübt wird. Je größer Macht bzw. allfällige Drohungen in der Beobachtung erscheinen, desto unwahrscheinlicher sind die Handlungen, die sich trotzdem durchsetzen lassen.
Die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation
Auf diesem Abstraktionsniveau kann Macht mit anderen, auf den ersten Blick inkompatibel erscheinenden Phänomenen verglichen werden, etwa mit Geld, Wahrheit oder Liebe. In all diesen Fällen von symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien wird Unwahrscheinliches wahrscheinlich gemacht. Im Falle des Geldes wird die Unwahrscheinlichkeit des Eigentumsübergangs – warum sollte auf Besitz verzichtet werden? – wahrscheinlich gemacht.
Die Wahrheit ermöglicht, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, dass unanschauliche, abstrakte, gar unplausible Erkenntnisse – man denke an die Quantenphysik – gesellschaftlich dennoch Beachtung, Anerkennung und Verwendung finden.
Reduktion der Komplexität
Liebe ermöglicht, dass entgegen aller Wahrscheinlichkeit für all die eigentümlichen charakterlichen Unzulänglichkeiten und Schwächen, die allenfalls absonderliche Vorstellungen, Wünsche und Ziele einer Person – ihre idiosynkratische Persönlichkeit – dennoch Verständnis, Anerkennung und Wertschätzung bei einer anderen Person erfahren werden.1
In diesem fundamentalen Sinne ermöglichen Kommunikationsmedien wie Macht eine "Reduktion der Komplexität" (Niklas Luhmann) sozialer Realität und bewirken, dass Kommunikation entgegen der Wahrscheinlichkeiten – schließlich ist ein "Nein" für jegliche Form von Anliegen immer möglich – in der Gesellschaft eine Vorzugsrichtung bekommen kann. Der Erfolg von Erwartungen kann mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartet werden.
Trumps Beispiel
Am Phänomen des kürzlich wiedergewählten US-amerikanischen Präsidenten lässt sich veranschaulichen, dass Macht bzw. Erwartungssicherheit zwar funktional der Reduktion von Komplexität dient, allerdings eine (absichtliche) Steigerung von Komplexität, also die Erzeugung von Erwartungsunsicherheit – charakteristisch für das erratischen Handeln bzw. Verhalten Trumps – Instrument der Macht sein kann.
Es lässt sich auch sagen, dass die Erwartung von Erwartungsunsicherheit (Unberechenbarkeit) ein (unerträgliches) Maß an Komplexität hervorruft, das in hohem Maße zu einem Handeln im Sinne der Reduktion von Komplexität motiviert; hier also zur Folgsamkeit gegenüber dem Machthaber oder (falls möglich) zur Anwendung von überlegener Gegenmacht aufruft.
Lähmung durch Machtgleichheit
Bei symmetrischen Machtverhältnissen, wie im jahrzehntelang währenden "Kalten Krieg" zu beobachten, kommt es zu einer Steigerung der Wahrscheinlichkeit, dass Handeln gelähmt wird. Und genau dies war funktional als Nichtanwendung eines desaströs wirksamen Atomwaffenpotentials angestrebt.
Persönliche und institutionelle Macht
Ein erstaunlicher Aspekt der Regentschaft Trumps ist die exzessive Ausnutzung des (institutionell beschränkten) persönlichen Instrumentariums an Machtmitteln, etwa Verordnungen oder Personalentscheidungen bei der Besetzung von Ämtern, welche seine Position als amerikanischer Präsident bereithält.
Als erstaunlich kann dies deshalb beobachtet werden, weil die Gesellschaft mittlerweile daran gewöhnt ist, dass Macht in Vorkehrung einer tyrannischen Willkürherrschaft in vielfältiger Weise institutionell eingehegt wird, also kaum persönliche Willkür zulässt.
Unabhängiges Rechtssystem
Dies geschieht zunächst durch ein unabhängiges Rechtssystem, welches auch politische, mittels Macht gefällte Entscheidungen zur Disposition stellt bzw. generell Machtpositionen einem rechtlichen Rahmen unterstellt. Nicht zuletzt etwa die (demokratische) zeitliche Begrenzung der Positionierung von Personen in politischen Institutionen wie einer Präsidentschaft oder einer Kanzlerschaft.
Hinzu kommt ein weitgehend unabhängiges bzw. heute auch durch soziale Medien zumindest schwierig zu kontrollierendes System der Massenmedien, welches beschränkend auf politische Macht wirkt.
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Auch ein faktisch global agierendes Wirtschaftssystem – dies im Gegensatz zu einer weitgehend nationalstaatlich fragmentierten politischen Macht – führt zu einer starken Einschränkung politischer Handlungsmöglichkeiten. So ist die auch von Trump geplante, dem internationalem Wettbewerb unterliegende Steuergesetzgebung, etwa Unternehmenssteuern betreffend, keineswegs Ausdruck politischer Stärke, sondern zeugt davon, dass sich nationalstaatliche Politik wirtschaftlichen Belangen zu beugen hat. Ein zentrales Feld politischen Handelns wird wirtschaftlich dominiert, wenn nicht korrumpiert.
Auch Donald Trump unterliegt den oben beschriebenen institutionellen Einschränkungen politischer Macht ("Checks and Balances"). Die Macht Trumps wird deshalb als inflationär beobachtet, also überschätzt, weil sie stark mit der Beobachtung der eingeschränkten Machtmittel von Positionen des politischen Systems kontrastiert.
Die Macht institutioneller Positionen wird tendenziell als deflationär beobachtet, Möglichkeiten ihrer Machtausübung werden unterschätzt.
Die ohnehin institutionell beschränkten Möglichkeiten persönlicher Machtausübung werden kaum ausgenutzt. Dies zugunsten des erwartbaren, wenig überraschenden Potenzials von Macht, welches politischen Institutionen wie einer Kanzlerschaft ohnehin inhärent ist.
Im Gegensatz zu Trump setzten deutsche Politiker wie Merkel ("Politik der ruhigen Hand") oder Scholz offenkundig eher auf eine Verwaltung politischer Macht. Das institutionelle Potenzial der Machtausübung wird überschätzt, persönliche Möglichkeiten unterschätzt (oder realistisch eingeschätzt?).
Deep State der Flat State?
Die Trägheit der modernen Gesellschaft, ihre Widerständigkeit gegenüber unmittelbaren Veränderungen, die nicht zuletzt durch die Beschränkung von politischer Macht, sei diese nun institutionell oder persönlich zu verorten, bedingt ist, wird oft als Hinweis auf das Vorhandensein eines "Deep State" missverstanden, "dunklen Mächten", die sinnvolle Veränderungen verhindern würden.
Dabei indiziert die Trägheit der modernen Gesellschaft das Gegenteil; nämlich einen "Flat State", bei dem Möglichkeiten der Ausübung von Macht nicht nur durch innerpolitische Strukturen wie Oppositionen beschränkt sind, sondern auch durch die funktionalen Eigendynamiken anderer gesellschaftlicher Sphären, etwa dem Wirtschaftssystem oder dem System der Massenmedien.
Auf diese Weise wird Zeit gewonnen, um allfällige Veränderungen multiperspektivisch in ihren positiven bzw. negativen gesellschaftlichen Konsequenzen zu überprüfen.
Von einem "Deep State" innerhalb der Weltgesellschaft kann eher im Falle der Binnenstrukturen Chinas gesprochen werden. Politisch angestrebte Veränderungen sind, nicht zuletzt durch eine stark politisch kontrollierte Wirtschaft und politisch zensierte Massenmedien, mehr oder minder unmittelbar gesellschaftlich umsetzbar.
Die negativen, gesellschaftsschädigenden Konsequenzen, die Machtmöglichkeiten zeitigen können, die das reflexive, abwägende, multiperspektivische Potenzial der modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft nicht ausschöpfen, waren paradigmatisch während der Corona-Pandemie zu beobachten. Rigorose, nicht endend wollende, insbesondere wirtschaftsschädigende, brutal durchgesetzte Lockdowns wurden viel zu spät, politisch willkürlich und abrupt beendet.
Trump als Hofnarr und Machthaber in einer Person
Interessant an der aktuellen US-amerikanischen Präsidentschaft ist zudem, dass sich in der Person Trumps offenkundig zwei mittelalterliche Institutionen bzw. Positionen vereinen, die traditionell getrennt waren – die Position des Hofnarren und des Machthabers. Wurde einem Machthaber (in feudalen Gesellschaftssystemen) absolute Macht zugesprochen, hatte dies paradoxerweise eine Schwächung dieser Macht zur Folge.
Kritische Einwände und Beurteilungen, Ratschläge, abwägende Beratung konnten zwar die Macht des Herrschers festigen, hatten allerdings gleichzeitig zur Folge, dass die Absolutheit des Machtanspruchs infrage gestellt werden konnte.
Indem Beratung und Kritik externalisiert wurden und humoristisch, also im Modus der Nichternsthaftigkeit erfolgten, konnte der Nimbus absoluter Macht aufrechterhalten werden, ohne dass auf kritische, der Macht dienliche Erkenntnisse verzichtet werden musste. Der inhärente Widerspruch dieser Form von Macht wurde auf diese Weise entparadoxiert.
Charakteristisch für humoristische Kommunikation ist, dass diese Erwartungen nicht gerecht wird, sie diese vielmehr spielerisch durchbricht und damit für Überraschungen sorgt. Mittels Humor werden konventionelle Perspektiven reflektiert und absichtslos infrage gestellt.
Gerade die charakteristische Absichtslosigkeit des Humors, die konventionelle Erwartungen gewissermaßen um der Reflexion willen reflektiert, ist es, die ermöglicht, dass diese Form der Kommunikation für unterschiedlichste Absichten bzw. Interessen instrumentalisiert werden kann.2
Im Sarkasmus etwa wird Humor für Kritik, für moralische Interessen eingespannt. Im Falle der mittelalterlichen Hofnarren wurde die charakteristische Absichts- und Interesselosigkeit, der Modus der Nichternsthaftigkeit des Humors verwendet, um Erkenntnisdefizite von Herrschern absoluter Macht zu kompensieren. Humor ermöglichte es damals, Macht abzusichern, ohne den Nimbus ihrer Absolutheit infrage zu stellen.
Trump instrumentalisiert Humor, also die Form der Kommunikation, die konventionelle Erwartungen infrage stellt, übliche Perspektiven in Zweifel zieht, der es also gelingt, Verunsicherung zu erzeugen, soziale Komplexität zu steigern, dazu, um wie oben beschrieben Machtgewinne zu erzielen.
Dabei kann gefragt werden: Wie ist dieser Habitus Trumps mit der Würde oder Gravität seines Amtes, auch wenn dessen Machtanspruch nicht als "absolut" gesetzt wird, vereinbar? Selten ist Humor Macht zuträglich; allenfalls sind Herrschern konventionelle Formen des Humors zugänglich.
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Zunächst ist festzuhalten, dass der Form humoristischer Kommunikation in der modernen, sich schnell wandelnden Gesellschaft schon deshalb eine positive Reputation zukommt, weil sie in diesem Sinne funktionsnotwendig ermöglicht, konventionelle, allenfalls überkommene Erwartungen infrage zu stellen. Humor ermöglicht es, die Kontingenz von Perspektiven aufzuzeigen.3
Weiter zeigt der Habitus Trumps, dass dieser, jedenfalls aktuell noch, weitaus stärker in demokratischen Verhältnissen verankert ist als oft gemutmaßt wird. Humor dient Trump nicht nur wie oben beschrieben der Erzeugung von Macht dienlicher Verunsicherung, sondern auch dazu, wahlentscheidende Aufmerksamkeit und Popularität zu gewinnen.
Spielen in politischen Organisationen (undemokratische Staaten) Wahlen keine oder nur noch eine untergeordnete Rolle, sehen sich Herrscher eher versucht, sich den majestätischen Habitus von Gravität und Würde ihrer Machtposition zuzulegen.