Nasenspray gegen Fremdenfeindlichkeit?
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Hirnforschung und der "Bessere Mensch"
Wir leben in herausfordernden Zeiten. Täglich erfahren wir aus den Medien etwas über neue Probleme aus allen Teilen der Welt. Da scheint es verlockend, sich die Menschen, die diese Probleme verursachen, genauer anzuschauen.
Ein Forscherteam um den Bonner Psychiatrieprofessor Rene Hurlemann mag sich so etwas gedacht haben, als es dieses Experiment plante: Lassen sich fremdenfeindliche Menschen mit der als "Kuschelhormon" bekannten Substanz Oxytocin toleranter machen? Die Untersuchung erschien Ende August in der namhaften Zeitschrift PNAS.
Kritik am Experiment
Das Experiment lässt sich auf viele Weisen kritisieren: Beispielsweise war die als "fremdenfeindlich" ausgewiesene Gruppe gar nicht besonders fremdenfeindlich, sondern vor allem geizig. Zudem galt der Verhaltenseffekt auf die dank dem Hormon und sozialem Normdruck etwas höheren Spenden nicht spezifisch für Flüchtlinge, sondern auch für deutsche Bedürftige.
Dass die Peer-Reviewer und die Redaktion von PNAS die Studie dennoch unter dem Titel der Xenophobie/Fremdenfeindlichkeit passieren ließen, ist ein inhärentes Problem der wissenschaftlichen Publikationskultur. Diese Zeitschriften sind nämlich von Zitationen und Aufmerksamkeit abhängig, ihre redaktionellen Entscheidungen intransparent und keiner unabhängigen Kontrolle unterworfen. Darüber schrieb ich kürzlich erst (Warum die Wissenschaft nicht frei ist: Der Fluch unseres Publikationswesens). Die aufmerksamkeitsökonomische Rechnung ging jedenfalls auf: Der Artikel ist einer der meistgelesenen der Zeitschrift.
Ethische Probleme
Wegen einer noch zu erscheinenden ausführlicheren Diskussion der Studie will ich diesmal nicht näher auf die experimentellen Details eingehen. Kritikwürdig und für eine breite Öffentlichkeit relevant scheint mir aber dieser wichtige ethische Aspekt: Für die vorliegende Studie haben sich Beamte und Psychiater des Landes Nordrhein-Westfahlen, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, federführend Gedanken darüber gemacht, ob sich die Meinung einer ganzen Bevölkerungsgruppe psychobiologisch manipulieren ließe, eben durch einen hormonellen Eingriff in die Hirnaktivität.
In der Tradition des europäischen Humanismus, auf der auch unsere Demokratie und unser Rechtsstaat fußen, beruht politische Meinungsbildung aber nicht auf Propaganda, Drohungen, Zwang oder gar direkten Eingriffen ins Gehirn; sie geschieht ausschließlich durch Überzeugungsversuche mit Argumenten und Gründen.
Toleranz für andere Meinungen
Wenn jemand am Ende eines solchen Diskussionsprozesses immer noch anderer Meinung ist, dann gebietet es der Respekt vor unserem kulturellen Erbe, dem Menschen diese Meinung zu lassen - darum sind Gewissens- und Meinungsfreiheit als unveränderlicher Kern unseres Grundgesetzes und unserer Gesellschaft sogar von einer Ewigkeitsklausel geschützt (Artikel 79, Absatz 3).
Daher halte ich es für sehr problematisch, wenn Beamte und Psychiater sich nicht nur Gedanken darüber machen, sondern sogar in Experimenten untersuchen, ob sich die Meinung von Bürgerinnen und Bürgern psychobiologisch beeinflussen lässt - eben durch die Gabe von Oxytocin in Kombination mit sozialem Normdruck (konkret ging es um die Information, dass die Mitglieder einer anderen Gruppe spendenwilliger waren). Das Ganze wird jedoch aberwitzig, wenn man es mit dem Gestus tut, der Demokratie einen Gefallen tun zu wollen.
Gesellschaftlicher Bärendienst
Das Gegenteil ist nämlich der Fall: In einer Zeit, in der Menschen den Medien und dem Staat immer mehr misstrauen, gießen die Forscherinnen und Forscher bloß Öl ins Feuer. So liefern Rene Hurlemann und Kollegen den misstrauischen Bürgerinnen und Bürgern einen Präzedenzfall dafür, dass ihre Sorgen berechtigt sind.
Man hat auch gerade erst gesehen, dass die unbeholfenen Ausgrenzungsversuche des Establishments und voreilige Nazivergleiche Wasser auf die Mühlen der "Alternative für Deutschland" waren, die jetzt mit über 10% der Stimmen drittstärkste Fraktion im Deutschen Bundestag geworden ist. Auch hier ging der Versuch, mit psychologischem Druck zu arbeiten, nach hinten los.
Selbst wenn es manchen nicht passt: Freiheit ist immer auch Freiheit der Andersdenkenden. Wer versucht, die Demokratie durch Meinungsmanipulation zu retten, beschädigt sie vielmehr. Auch im US-Wahlkampf schadeten Hillary Clinton, von vielen als ehrlichere Alternative zu Trump hochgehalten, der unehrliche Umgang mit parteiinterner Konkurrenz sowie moralisch zweifelhafte Spendenverbindungen. Und auch wenn man Fremdenfeindlichkeit aus guten Gründen ablehnen mag, ist diese Gesinnung keine Straftat.
Wir haben einen Rechtsstaat zur Verfolgung von Gewalt- und Terrorakten und nicht von Meinungen, die uns nicht gefallen. Daher werden wir nicht darum herumkommen, uns demokratisch mit Fremdenfeindlichkeit auseinanderzusetzen. Wie gut das den privilegierten Damen und Herren mit ihrer Vorbildfunktion im 19. Bundestag gelingen wird, werden wir in den kommenden Jahren sehen.