Nato-Hauptquartier oder nationale Einrichtung? Streit um Marine-Posten in Rostock
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Russlands Proteste werfen Fragen zum 2+4-Vertrag auf. Verletzen Deutschland und die Nato historische Vereinbarungen? AufklĂ€rung ĂŒber HintergrĂŒnde.
Am 1. Oktober 2024 wurde in Rostock ein neues Marine-Hauptquartier eröffnet. Zahlreiche Medien sprachen davon, dass es sich um ein Nato-Hauptquartier handele. Beispielsweise der NDR [1], Deutschlandfunk [2] und die Zeit [3].
Nachdem Verteidigungsminister Boris Pistorius am 21. Oktober das neue Hauptquartier eingeweiht hat, wurde der deutsche Botschafter in Russland Alexander Graf Lambsdorff von der russischen Regierung einbestellt, um gegen die Eröffnung des neuen Marine-Hauptquartiers in Rostock offiziell zu protestieren.
Die Bundeswehr betonte, dass es sich um ein "nationales Hauptquartier mit multinationaler Beteiligung [4]" handele. In der Pressemitteilung des Bundesverteidigungsministeriums [5] wird unterstrichen, dass Deutschland im Hauptquartier die FĂŒhrungsrolle ĂŒbernimmt:
CTF Baltic ist ein nationales Hauptquartier mit multinationaler Beteiligung. Es wird durch einen deutschen Admiral gefĂŒhrt. Die Position seines Stellvertreters wird zunĂ€chst mit einem polnischen Admiral besetzt, die des Chefs des Stabes mit einem schwedischen Stabsoffizier. Auch nachgeordnete FĂŒhrungspositionen sind multinational besetzt.
Daher betonen nun Medienvertreter, dass es eben nicht um ein neues Nato-Quartier handelt und beispielsweise korrigiert Spiegel.de [6] entsprechend seine Berichterstattung.
In einer frĂŒheren Version wurde der Marineposten in Rostock als Nato-Hauptquartier bezeichnet. TatsĂ€chlich handelt es sich um ein nationales Hauptquartier, das im Austausch mit Nato-Partnern den Ostseeraum ĂŒberwachen soll. Wir haben die entsprechenden Passagen korrigiert.
Spiegel.de [7]
Nichtsdestotrotz sprechen einige Medienberichte weiterhin von einem Nato-Hauptquartier, was aber ein Bruch des 2+4-Vertrages wÀre.
2+4-Vertrag
Moskau forderte auch von Deutschland eine sofortige ErklÀrung, denn es sieht in der Einrichtung des Marine-Hauptquartiers einen Verstoà gegen den 2+4-Vertrag, der 1990 die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht hatte.
Dieser hat die Stationierung von "StreitkrĂ€ften anderer Staaten" auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ausdrĂŒcklich untersagt [8].
Der entscheidende Satz im 2+4-Vertrag findet sich unter § 5.3 [9]:
AuslÀndische StreitkrÀfte und Atomwaffen oder deren TrÀger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.
Zudem ist eine Vereinbarte Protokollnotiz zu berĂŒcksichtigen:
Alle Fragen in Bezug auf die Anwendung des Wortes "verlegt", wie es im letzten Satz von Artikel 5 Abs. 3 gebraucht wird, werden von der Regierung des vereinten Deutschland in einer vernĂŒnftigen und verantwortungsbewussten Weise entschieden, wobei sie die Sicherheitsinteressen jeder Vertragspartei, wie dies in der PrĂ€ambel niedergelegt ist, berĂŒcksichtigen wird.
StreitkrÀfte-Frage
TatsĂ€chlich sind neben Deutschland noch elf weitere Nato-LĂ€nder personell an CTF Baltic beteiligt: DĂ€nemark, Estland, Finnland, Frankreich, GroĂbritannien, Italien, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen und Schweden. Das Bundesverteidigungsministerium schreibt:
Soldatinnen und Soldaten aus diesen und weiteren PartnerlÀndern können 60 multinationale Dienstposten von 180 im CTF Baltic bereits in Friedenszeiten besetzen. Im Krisen- und Konfliktfall kann der Stab auf bis zu 240 Dienstposten aufwachsen.
Bundesverteidigungsministerium [10]
Der Politikwissenschaftler Frank Sauer [11] von der UniversitÀt der Bundeswehr betont:
Es werden dort also neben den deutschen auch ein paar Stabsoffiziere aus Nato-LÀndern Dienst tun. Das ist keine Stationierung von StreitkrÀften.
Bereits im Jahr 2017 kam der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags [12] zum Schluss, dass Stabspersonal und die Errichtung einer Kommandozentrale nicht als "Stationierung von StreitkrÀften" im Sinne des Zwei-plus-vier-Vertrags verstanden werden könnten.
Juristisch erscheint daher die Eröffnung des deutschen Marine-Hauptquartiers dem 2+4-Vertrags nicht zu widersprechen.
Blick in die Geschichte
Es lohnt sich an dieser Stelle ein Blick zurĂŒck, da der 2+4-Vertrag und sein Entstehen nicht nur im Zentrum der Wiedervereinigung Deutschlands, sondern auch der Nato-Osterweiterung steht, die zum Kern des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine gehört [13] und nun einen scharfen Protest Moskaus auslösen.
In einer Mitteilung des russischen AuĂenministeriums [14] heiĂt es:
Washington, BrĂŒssel und Berlin mĂŒssen sich darĂŒber im Klaren sein, dass die Ausweitung der militĂ€rischen Infrastruktur der Nato auf das Gebiet der ehemaligen DDR die negativsten Konsequenzen haben wird.
Stellvertretend fĂŒr die Ă€uĂerst komplizierten Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung, die im Zusammenhang mit der hochkomplexen Frage nach der Nato-Osterweiterung manchmal etwas holzschnittartig dargestellt werden, sollen nur zwei Situationen hier skizziert werden, die sich in den SchlĂŒsselmomenten der sowjetisch-deutschen Verhandlungen ereignet haben, die selbstverstĂ€ndlich nicht juristisch bindend sind â im Gegensatz zum 2+4-Vertrag â, aber etwas vom Geist der Verhandlungen vermitteln.
Am 10. Februar weilte die deutsche Delegation einen Tag in Moskau. Im GesprĂ€ch mit dem sowjetischen GeneralsekretĂ€r Michail Gorbatschow versicherte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl [15], nachdem er bekrĂ€ftigt hatte, er wolle "die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion berĂŒcksichtigen, sowohl die tatsĂ€chlichen als auch die, die im Psychologischen lagen":
"Wir sind der Meinung, dass die Nato ihren Geltungsbereich nicht erweitern sollte." Im deutschen GesprĂ€chsprotokoll heiĂt es zudem: "NatĂŒrlich kann die Nato ihr Gebiet nicht auf das heutige Gebiet der DDR ausdehnen."
Mitte Juli 1990 findet dann das zweite und letzte Treffen zwischen der sowjetischen und der deutschen Delegation statt. Die wirtschaftliche Lage in der UdSSR hatte sich derweil massiv verschlechtert und der deutschen Seite war bekannt, dass die deutsche Finanzhilfe von fĂŒnf Milliarden DM bereits verbraucht war.
Da das deutsche GesprÀchsprotokoll nur in in direkter Rede ist, folgt der Artikel hier der Originalquelle aus dem Bundesarchiv [16]:
PrĂ€sident Gorbatschow fĂ€hrt fort, dass mit der Herstellung der vollen SouverĂ€nitĂ€t Deutschlands einige Hauptprinzipien festgestellt werden mĂŒssten, nĂ€mlich auch die Nichtausdehnung der militĂ€rischen Strukturen der Nato auf das Gebiet der heutigen DDR. BM Genscher bemerkt, in dem abschlieĂenden Dokument mĂŒsse festgestellt werden, dass Deutschland das Recht habe, sich einem BĂŒndnis seiner Wahl anzuschlieĂen. Es sei klar, daĂ dies die Nato sein werde.
SpÀter folgt dann Gorbatschows Kompromissvorschlag:
PrÀsident Gorbatschow wirft ein, wenn in der bilateralen Vereinbarung gesagt werde, nach dem Abzug der sowjetischen Truppen werde nichts unternommen, was die Sicherheit der Sowjetunion beeintrÀchtige, so stelle dies keine EinschrÀnkung der SouverÀnitÀt Deutschlands dar.
Nach KlĂ€rung der hieraus sich ergebenden praktischen Fragen ĂŒber den Abzug der sowjetischen Soldaten sowie die Stationierung deutscher, betont Gorbatschow:
Die Sowjetunion wolle nicht nur abziehen, sondern sie wolle auch keine Erstreckung des Nato-Territoriums. BM Genscher wirft ein, wir hĂ€tten immer die Auffassung vertreten, daĂ keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit entstehen dĂŒrften. Dies mĂŒsse auch fĂŒr das Gebiet der heutigen DDR gelten. PrĂ€sident Gorbatschow bemerkt, das sei das souverĂ€ne Recht Deutschlands. Aber man spreche jetzt davon, daĂ keine Nato-Strukturen dort hinzukommen. AM Genscher fĂ€hrt fort, die Garantie der Nato fĂŒr Deutschland gelte fĂŒr das vereinigte Deutschland unabhĂ€ngig von der Stationierung der Nato-Truppen. PrĂ€sident Gorbatschow stimmt zu.
Letzte Minute
In der UdSSR spitzte sich anschlieĂend die wirtschaftliche Notlage weiterhin zu. Anfang September 1990 forderte Gorbatschow von Deutschland 18,5 Milliarden DM.
Die deutschen Vorstellungen beliefen sich auf weniger als ein Drittel. Am 10. September ging Kohl dann ĂŒber die intern gezogene Ă€uĂerste Verhandlungslinie von 11 Milliarden hinaus und bot 12 Milliarden sowie einen zinslosen Kredit in Höhe von drei Milliarden DM. Gorbatschow nahm an.
Nur zwei Tage spĂ€ter unterschrieben die vier BesatzungsmĂ€chte sowie die BRD und die DDR den sogenannten 2+4-Vertrag. Im letzten Moment platzte die Unterzeichnung fast, weil die britische Seite ein grundsĂ€tzliches Verbot fĂŒr Nato-Truppen auf dem DDR-Gebiet nicht akzeptieren mochte.
Sprichwörtlich in letzter Minute wurde sich auf obige Protokollnotiz geeinigt, die feststellte, dass kĂŒnftige militĂ€rische Nato-AktivitĂ€ten auslĂ€ndischer Nato-Truppen auf DDR-Boden nicht kategorisch verboten werden sollten.
Der Unterschied ist fundamental. Wie Philip Zelikow, ein Berater Bakers, spÀter offenbarte, dachte er hierbei besonders an Polen. In gewisser Weise ist dies der erste Schritt einer Expansion der Nato nach Osten.
Geist des Vertrages
Juristisch ist der 2+4-Vertrag recht eindeutig. Aufgrund des hochsensiblen Themas und der komplexen und schwierigen Verhandlungen, spielt fĂŒr die russische Seite seit jeher aber auch eine andere Dimension des Vertrages eine Rolle.
Der erste russische PrÀsident Boris Jelzin hatte bereits im September 1993, als die ersten konkreteren Andeutungen einer möglichen Nato-Osterweiterung aufkamen, in einem Brief an den US-amerikanischen PrÀsidenten Bill Clinton betont, dass nicht nur die juristische Seite des 2+4-Vertrages relevant sei [17]:
Der Geist des Vertrages ĂŒber die endgĂŒltige Regelung ... schlieĂt die Option einer Ausweitung der Nato-Zone nach Osten aus.
Eine Meinung, die sein jahrelanger Gegner Michail Gorbatschow in seinem letzten Buch explizit geteilt hat: "Russland hatte das volle Recht zu verlangen, dass die Gegenseite nicht nur getreu den Buchstaben, sondern im Geiste der damaligen Vereinbarungen und Verpflichtungen handelt."
Vom Autor gibt es zum Thema ein dreiteiliges Feature im Deutschlandradio. Teil 1: Wurzeln des Misstrauens [18]
Teil 2: Samen des Misstrauens [19]
Teil 3: Von Kooperation zum Krieg [20].
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Rostock-Taktisches-Hauptquartier-fuer-die-NATO-eingeweiht,natohauptquartier100.html
[2] https://www.deutschlandfunk.de/marine-hauptquartier-der-nato-wird-in-rostock-eroeffnet-100.html
[3] https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-10/russland-botschafter-einbestellung-nato-maritimes-hauptquartier-rostock
[4] https://www.rnd.de/politik/neues-nato-hauptquartier-in-rostock-verstoss-gegen-2-4-vertrag-3A3PHAZOGBBOFFKCTLHDQO5AV4.html
[5] https://www.bmvg.de/de/presse/pistorius-weiht-maritimes-hauptquartier-fuer-nato-ein-5848000
[6] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ostsee-hauptquartier-in-rostock-russland-bestellt-deutschen-botschafter-ein-a-5dbfe87c-d0b2-48d9-9390-acce13ee7823
[7] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ostsee-hauptquartier-in-rostock-russland-bestellt-deutschen-botschafter-ein-a-5dbfe87c-d0b2-48d9-9390-acce13ee7823
[8] https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-10/russland-botschafter-einbestellung-nato-maritimes-hauptquartier-rostock
[9] https://www.auswaertiges-amt.de/blob/243466/2851e102b97772a5772e9fdb8a978663/vertragstextoriginal-data.pdf
[10] https://www.bmvg.de/de/presse/pistorius-weiht-maritimes-hauptquartier-fuer-nato-ein-5848000
[11] https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Gefahrgut-auf-Usedom-geborgen-Strassensperrungen-aufgehoben,munitionsfund184.html
[12] https://www.bundestag.de/resource/blob/543070/65919f2e9d7da3236eb7b2e940336b02/WD-2-107-17-pdf.pdf
[13] https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Krieg-Ist-die-Nato-Osterweiterung-der-Kern-des-Konflikts-9792398.html?seite=all
[14] https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-10/russland-botschafter-einbestellung-nato-maritimes-hauptquartier-rostock
[15] https://nsarchive.gwu.edu/document/16120-document-09-memorandum-conversation-between
[16] https://wiedervereinigung.bundesarchiv.de/sites/default/files/353_vermerk_ueber_gespraech_bk_kohl_mit_p_gorbatschow_1990-07-16.pdf
[17] https://nsarchive.gwu.edu/document/16376-document-04-retranslation-yeltsin-letter
[18] https://www.hoerspielundfeature.de/russland-und-die-deutsche-einheit-1990-die-wurzeln-des-102.html
[19] https://www.hoerspielundfeature.de/russland-und-der-westen-waehrend-jelzin-und-clinton-die-100.html
[20] https://www.hoerspielundfeature.de/von-kooperation-zum-krieg-100.html
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