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"Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus"

Interview mit Ian Johnson über westliche Geheimdienste, die Muslimbruderschaft und eine Moschee am Rande Münchens

In seinem im Januar erschienene Buch "Die vierte Moschee" [1] beschreibt der Pulitzer-Preisträger Ian Johnson [2] den Versuch der Nazis und später der westdeutschen und amerikanischen Geheimdienste, Muslime für die Propaganda gegen die Sowjetunion einzusetzen.

Herr Johnson, Sie haben in London in einer islamischen Buchhandlung eine Landkarte entdeckt, auf der neben den Moscheen in Mekka, Jerusalem und Istanbul auch die des Islamischen Zentrums in München-Freimann aufgezeichnet war. Wie kam das eher unbekannte Bauwerk am Rande von München zu der Ehre, auf dieser Landkarte abgebildet worden zu sein?
Ian Johnson: Der Grund dafür liegt darin, dass die Karte die Welt aus dem islamistischen Blickwinkel zeigt. Alle Länder waren zum Beispiel je nach islamischer Bevölkerungsdichte unterschiedlich koloriert. Am Kartenrand waren verschiedene Moscheen abgebildet, aber nicht wegen ihrer religiösen Bedeutung, sondern aufgrund ihrer politischen Wichtigkeit. Das Islamische Zentrum in München wurde genau aus diesem Grund ausgewählt: Es ist ein Eckpfeiler der internationalen islamistischen Bewegung.
. Sie schreiben in ihrem Buch, dass der Islam eine Religion sei, die dem Kommunismus diametral entgegengesetzt sei. Woher gründet sich diese These? Und wie kamen die Nationalsozialisten darauf, Muslime aus der UdSSR anzuwerben?
Ian Johnson: Sowohl die Nazis als auch später die Amerikaner hatten begriffen, dass der Islam von seinen Gläubigen im Alltag gelebt werden muss. Das trifft für andere Religionen in einem viel geringerem Maß zu. Ein guter Muslim zu sein erfordert Alltag und religiöse Praktiken verbinden zu können. Das war aber unter einem atheistische Regime wie dem der UdSSR extrem schwierig.
Besonders in den 30er bis 50er Jahren wurde das Ausleben von Religion - freilich nicht nur für die Muslime - stark behindert und so existierte hier eine beträchtliche Abneigung. Weiter waren die Muslime als Türken, Tataren et cetera anderer ethnischer Zugehörigkeit als die russischen Herrscher und so stellten sie einen potentiell wirkungsmächtigen Partner dar, um den Einfluss der Sowjetunion zu konterkarieren. So war jedenfalls das Kalkül.
Welche Rolle spielt die Muslimbruderschaft bei den Plänen zur Destabilisierung der Sowjetunion während des Kalten Krieges [3]?
Ian Johnson: Die Bruderschaft wurde weniger dazu eingesetzt um die Sowjetunion direkt zu destabilisieren als dem kommunistischen Einfluss in den neuen blockunabhängigen Schwellenländern der Nachkriegszeit einzudämmen. Vergessen wir nicht, dass dies eine Ära war, in der viele ehemaligen Kolonien zum ersten Mal frei wurden und als Partner des amerikanischen oder sowjetischen Lagers gefragt waren. Viele versuchten dann einen dritten Weg in der Bewegung der Blockfreien Staaten und sowohl die Amerikaner als auch die Sowjets waren darauf aus, sie auf ihre Seite zu ziehen. Viele dieser Länder waren muslimisch oder hatten eine große muslimische Bevölkerung wie Indonesien, Pakistan, Indien und natürlich die arabische Welt.
Waren anderweitige Dissidentenbewegungen hinter dem Eisernen Vorhang gleichfalls die Produkte westlicher Geheimdienste?
Ian Johnson: Ich glaube nicht, dass es möglich ist, dies auf andere Dissidentenbewegungen zu beziehen. Ich würde zum Beispiel bezweifeln, dass das Neue Forum in der DDR ein Erzeugnis der CIA war. Es sieht eher so aus, als wäre das CIA vom Fall der DDR, die stets als stabilster Satellit in der kommunistischen Hemisphäre galt, total überrascht worden.
Warum entspann sich bei der Instrumentalisierung des Islamismus eine Konkurrenz zwischen dem deutschen und amerikanischen Geheimdienst und was hat das mit der Moschee in München zu tun?
Ian Johnson: Sowohl Amerikaner als auch West-Deutsche waren am "talent pool" dieser Leute in München interessiert. Beide brauchten diese Muslime für ihre verdeckten Propaganda-Missionen im Ausland und versuchten, sie auf ihre Seite zu ziehen. Die Amerikaner gewannen schließlich diesen Wettstreit, weil ihre von der CIA geführte Tarnorganisation, die "Amcolimb" über ein ausgezeichnetes Budget verfügte: 30 Millionen Dollar waren in den 50er Jahren kein Pappenstil.
Das westdeutsche Pendant "Forschungsdienst Europa" verfügte vielleicht über ein Zehntel dieser Gelder. Das führte dazu, dass die Moschee, die ursprünglich als ein Geschenk für die ehemaligen Wehrmachtssoldaten und Mitglieder der Waffen SS unter den in und um München lebenden Muslimen gedacht war, eine Plattform der von den USA unterstützten Muslimbruderschaft in Europa wurde.
Welche religiöse und politische Vision verfolgt die Muslimbruderschaft heutzutage in Europa, wie mächtig ist sie innerhalb der hiesigen muslimischen Gemeinschaften und wie schlägt sich dieser Einfluss nieder?
Ian Johnson: Die Bruderschaft versucht eine fundamentalistische Vision des Islam durch die legalen Kanäle in westlichen Ländern zu etablieren. Dieser ist eine anpassungsfähige Ideologie und verfolgt seine Ziele mit den jeweiligen Mitteln über die er verfügt. Das bedeutet im Westen, sich als verfolgte Minderheit zu positionieren, die nach Gleichheit mit der Mehrheitsgesellschaft strebt.
Natürlich werden im Westen Muslime diskriminiert, aber es gibt keinen Grund die Bruderschaft als deren Vertreter zu akzeptieren. Tatsächlich repräsentiert die Bruderschaft nur eine kleine Minderheit der Muslime. Aber durch ihren bemerkenswerten Organisationsgrad und ihre beharrliche Positionierung besitzen sie einen größeren Einfluss als ihre Mitgliederzahl eigentlich vermuten lässt.

"Wir müssen uns mit der Realität auseinandersetzen und nicht damit, wie wir uns die Welt wünschen"

Nach ihrem Buch wollte der Westen den Islam für seine eigenen politischen Zwecke benutzen, wurde dabei aber unter der Hand selbst instrumentalisiert. Das Vorhaben, über die Moschee in München Einfluss auf die hiesigen Muslime zu gewinnen, um sie dann für den Kampf gegen die Sowjetunion einzusetzen, bescherte der ägyptischen Muslimbruderschaft eine unerhoffte Machtbasis in Europa. Wie kam denn das Zustande?
Ian Johnson: Als die USA begann, die Bruderschaft zu umwerben, war diese an ihrem Tiefpunkt angelangt, sie war verbannt worden und verfügte über keinerlei Stützpunkte mehr. Mit den USA bekam einer ihrer zentralen Führungskräfte, Said Ramadan, einen starken Bündnispartner. Er traf den US-Präsidenten und bereiste die muslimische Welt als Kopf der "Moscheebaukommission", der legalen Vorgängerinstiution der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands.
Das war natürlich viel Antrieb für die Muslimbruderschaft in dieser schwierigen Zeit. Vergessen wir nicht, dass dies alles vor der Masseneinwanderung sogenannter "Gastarbeiter" nach Deutschland in den 60er und 70er Jahren geschah und als viele Muslime einwanderten war die Muslimbruderschaft bereits - dank der CIA - eine gut etablierte Institution. Dies half natürlich die politischen Strukturen des europäischen Islam aufzubauen, wie wir ihn heute kennen.
Sie schreiben dass die Aktionen gegen Amerika bedeutend mehr von europäischen denn von amerikanischen Muslimen ausgehen. Warum?
Ian Johnson: Beziehen sie sich gerade auf 9/11? Ich denke, der Grund liegt darin, dass die europäischen Muslime einfach mehr radikalisiert sind als die in Amerika. Hierfür gibt es wiederum viele Gründe, zum Beispiel die verschiedenen Einwanderungsmuster. Die muslimischen Einwanderer in die USA waren besser ausgebildet als die nach Europa.
Das brachte in Europa mit sich, dass die dort von der Gesellschaft isolierten Muslime empfänglicher für die Rhetorik der Muslimbruderschaft waren. Aber vielleicht hat in den USA ein wenig auch das Glück eine Rolle gespielt. Die Muslimbruderschaft besitzt nämlich auch in den USA lang zurückreichende Wurzeln und es möglich dass deren Einfluss von den Muslimen in den USA selbst eingedämmt wurden.
Hätte man aus diesem gescheiterten Versuch nicht schon beizeiten lernen können, dass die Unterstützung radikalislamischer Gruppen (wie später der Taliban) für den Westen selbst gefährlich werden könnte?
Ian Johnson: Ja, wir hätten viel aus diesem Kapitel der Geschichte lernen können, aber typischerweise haben wir es nicht. Demokratien verfügen anscheinend nur über kein sehr gutes Langzeitgedächtnis und sind leicht abzulenken. Die Amerikaner waren bald in Vietnam zugange und West-Deutschland wurde von der RAF erschüttert. Was vorher war, geriet in Vergessenheit.
Sind islamistische Gruppen ihrer Ansicht nach immer noch Instrumentalisierungsversuchen der CIA ausgesetzt?
Ian Johnson: Ja, ich denke schon und nicht nur von Seiten der CIA. Denn wir können die ganze Zeit über Politiker beobachten, die sich an islamistische Gruppen wenden, damit diese für sie alle möglichen Probleme wie Jugendkriminalität, Arbeitslosigkeit, geringe Bildung in den migrantischen Communities et cetera lösen.
Viele dieser Probleme sind nicht religiös verursacht, aber wir wenden uns zu deren Lösung an die Religion und suchen hier den Dialog mit religiösen Gruppen. Dabei übernehmen wir die Rhetorik von Islamisten wie der Muslimbruderschaft: Denn wir akzeptieren, dass der Islam die Lösung ist.
Welche Rolle spielt die Muslimbruderschaft [4] in den Aufständen in den arabischen Ländern? Wie sollte der Westen auch angesichts der jüngsten Ereignisse in Nordafrika mit dem Muslimbrüdern umgehen?
Ian Johnson: Die Muslimbruderschaft ist von der Entwicklung sicherlich überrascht worden. Sie ging immer noch von dem Grundsatz aus, als oppositionelle Gruppe in autoritären Gesellschaften zu operieren, was bedeutet, ihre Mitglieder mussten achtsam agieren und vorsichtig organisieren und die Bereitschaft mitbringen in Gefängnissen eine Leidenszeit auf sich zu nehmen. Das sind zwar heroische Taktiken aber in bisschen langsam im Vergleich zu den Umstürzen, die Nord-Afrika gerade erlebt.
Andererseits gibt es die Muslimbrüderschaft seit 83 Jahren. Es ist die bestorganisierte Gruppe in Ägypten, die kadermäßig aufgebaut und in der Lage ist eine Wahlkampagne durchzuführen. Es ist eine herausragende Kraft in Ägypten. Der Westen wird sich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Denn wir müssen uns mit der Realität auseinandersetzen und nicht damit, wie wir uns die Welt wünschen. Aber wir sollten uns nicht einbilden, es dabei mit Freunden oder Partnern zu tun zu haben. Im besten Falle werden sie schwierige und unangenehme Nachbarn in einer problembeladenen Zone der Welt sein.

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3388799

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.klett-cotta.de/buch/Gesellschaft_/_Politik/Die_vierte_Moschee/14007
[2] http://www.ian-johnson.com/
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/politischer-islam-moschee-in-muenchen-im-kampf-gegen-den-kommunismus-war-alles-erlaubt-1.1050755
[4] http://www.nybooks.com/blogs/nyrblog/2011/feb/05/washingtons-secret-history-muslim-brotherhood/