Nazis und Narzissten: Über die um sich greifenden Attacken auf Politiker

Dresden, 2021. Bild: 1take1shot, Shutterstock.com

Sächsischer CDU-Innenminister druckst nach Gewalttat von Dresden herum. Dabei ist die Wahrheit so einfach wie brutal. Gegenkonzepte fehlen. Ein Kommentar.

Der Angriff auf den sächsischen SPD-Politiker Matthias Ecke, der beim nächtlichen Plakate-Aufhängen in Dresden verletzt wurde, zeugt von einer neuen Stufe der Faschisierung.

Am selben Abend und vermutlich von denselben Tätern hat es noch weitere Angriffe auf Wahlkämpfer der Grünen gegeben, die für die Opfer glücklicherweise glimpflicher ausgingen.

Die Rechten schrecken vor massiven körperlichen Verletzungen der Gegner nicht zurück und nehmen offenbar auch tödliche Ausgänge in Kauf. Das wissen wir seit den Schüssen auf Walter Lübcke im Jahr 2019.

Es ist im Prinzip also nichts Neues, aber die Zahl der Attacken nimmt doch auf eine erschreckende Weise zu und lehrt einen das Fürchten. Vieles erinnert an die Spätphase der Weimarer Republik und den Aufstieg der NSDAP.

Mangelnde Gegenwehr der Demokraten

Auch die im Ganzen mangelnde Gegenwehr der demokratischen Kräfte, die auf die Gewalt mit einer gewissen Hilflosigkeit reagieren. Einer der Angreifer auf Matthias Ecke hat sich inzwischen bei der Polizei gestellt und seine Tatbeteiligung eingestanden. Es handelt sich um einen 17-jährigen jungen Mann.

Die Behörden ließen ihn nach Hause gehen, während Matthias Ecke wegen seiner Kopfverletzungen operiert werden musste. So läuft das in Sachsen und in Deutschland. Auch das ein fatales und für die Rechtsradikalen eher ermutigendes Signal.

Ich sah am Montag den sächsischen Innenminister Armin Schuster (CDU), wie er mitteilte, es sei gelungen, vier Tatverdächtige auszumachen. Bei einem von ihnen gebe es Hinweise auf eine "rechtsextreme Gesinnung".

Der Innenminister von Sachsen druckst herum

Und bei den drei anderen? Was soll bei denen das Motiv sein? Warum greifen Jungnazis in ihren Augen "links-rot-grün versiffte" Politiker an?

Wie er herumdruckste, der Minister! Vier deutsche junge Männer im Alter von siebzehn beziehungsweise achtzehn Jahren seien der Tat verdächtig; man forsche bei dreien von ihnen noch nach den Motiven.

Warum tut der Minister sich so schwer zu sagen: Der Tat verdächtig sind vier junge Nazis, die hier in Sachsen wachsen und gedeihen wie Pilze nach einem warmen Sommerregen?

Schlips und Stiefel

Weil er dann nicht umhinkäme, sich mit den Gründen auseinanderzusetzen. Die vier jungen Männer sind immer noch auf freiem Fuß, weil laut Polizei keine Haftgründe vorliegen.

Wie schrieb Bodo Morshäuser bereits Anfang der 1990er-Jahre: "Wenn der Schlips vor Scheinwerfern ‚Ausländerbegrenzung‘ fordert, löst der Stiefel sie in der Dunkelheit ein.

Dass aus Worten Taten geworden sind, will der Schlips danach nicht mit sich selbst in Zusammenhang gebracht wissen."

Die Zitate der AfD

Der Schlips ist im Fall der "links-rot-grün versifften" Politiker Jörg Meuthen, der ehemalige Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, der diesen Begriff auf dem Bundesparteitag der AfD im April 2016 prägte.

Diese Worte lösten auf dem Parteitag damals stehende Ovationen aus: Endlich sagt es mal einer!

Auch Alexander Gaulands an Frau Merkel und die etablierte politische Klasse gerichtete Ankündigung "Wir werden Sie jagen!" bekommt im Rückblick eine nicht nur rhetorische Bedeutung. Sie ist buchstäblich wahr geworden.

Die Saat ist aufgegangen

Jahre später, als die Saat aufgegangen und ein "links-rot-grün versiffter Politiker" krankenhausreif geprügelt worden ist, wollen Meuthen, Gauland und die AfD nichts damit zu tun haben.

Jurek Becker hat einmal gesagt, es mache einen Unterschied, ob einem etwas peinlich oder zuwider sei. Peinlich ist einem etwas, an dem man teilhat und wenn diese verschwiegene Teilhabe ans Licht kommt. Der rechte Terror ist Leuten wie Armin Schuster (und anderen) peinlich, weil sie verstrickt und stille Teilhaber sind.

Wenige Tage nach den Angriffen in Dresden wurde Franziska Giffey in Berlin attackiert und leicht verletzt. Die Publizität, die den Dresdner Tätern zuteilgeworden ist, ruft nun möglicherweise auch Nachahmer auf den Plan, die nach Aufmerksamkeit dürsten.

Gewalt und Anerkennung

Mangel an Anerkennung ist für das Selbst, was Hunger für den Magen ist. Die chronischen Anerkennungsdefizite des "Lumpenproletariats der Aufmerksamkeitsökonomie", das Georg Franck zufolge im "mentalen Kapitalismus" entsteht, machen anfällig für Nachahmungstaten und Trittbrettfahrerei.

Auch die Zukurzgekommenen und aus dem Markt Herausgefallenen wollen heraustreten aus dem Schatten der Nichtbeachtung und verweigerten Anerkennung und sich im Glanz des Kamera-Auges sonnen.

Wer über solche Attacken berichtet, macht immer auch Werbung für diese Delikte. Andererseits muss natürlich der Informationspflicht Genüge getan und über solche Taten berichtet werden.

Der mediale Narzissmus

Ein Dilemma und schwieriger Balanceakt für seriöse Medien und Medienschaffende. Zu den politischen Motiven der rechtsradikalen Täter treten jetzt auch Motive, die vom medialen Narzissmus gespeist werden.

Angriffe auf Politiker erweisen sich als probates Mittel, den Hunger nach Anerkennung und Grandiositätsgefühlen zu stillen.

Wir bekommen es mit einer unappetitlichen und fatalen Melange aus Nazitum und zeitgenössischem Narzissmus zu tun. Gegen beides haben wir keine adäquate Gegenstrategie, die wir dringend benötigen, wenn wir politisch und menschlich überleben wollen.