Netanjahu will die Hamas vernichten – und was will die Hamas?
- Netanjahu will die Hamas vernichten – und was will die Hamas?
- Widerspruch zwischen Politik und Geschichtsinterpretation
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Israel setzt auf volle Kontrolle über Gaza, um die Hamas auszulöschen. Denn die wolle Israel vernichten. Aber stimmt das überhaupt? Einordnung.
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und die israelische Führung haben immer wieder klargemacht, dass das Kriegsziel Nummer eins ist, die Hamas zu vernichten. Denn sie sei eine terroristische Vereinigung, die Israel zerstören will.
Der Angriff der Hamas vom 7. Oktober war brutal und ein Massaker. Dafür sollten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, mit rechtsstaatlichen Mitteln. Das gilt ebenso für israelische Kriegsverbrecher, die Massaker anrichten.
Hamas vernichten bedeutet Gaza vernichten
Es ist von Anfang klar gewesen, dass das Ziel, die Hamas auszulöschen, bedeuten würde, den Gazastreifen dem Erdboden gleichzumachen. Und das ist es, was vor unseren Augen geschieht, mit verheerenden Konsequenzen für die Gaza-Bewohner:innen, während die Region immer mehr destabilisiert wird und in Gewalt versinkt.
Aber selbst wenn es der Netanjahu-Regierung gelingen sollte, die Hamas zu vertreiben und die Organisation aufzulösen (was eher unwahrscheinlich ist), wird etwas anderes, wahrscheinlich radikaleres an ihre Stelle treten – angesichts des Unheils, der Zerstörungen und der nun noch verschärften Besatzungspolitik Israels gegen die Palästinenser.
Die Gewalt wird also nicht gestoppt, sondern forciert. Chaos und Konflikt werden verschärft.
Aber abgesehen davon, ob Netanjahus Plan durchsetzbar ist und welche Folgen er zeitigen würde, sollte man sich fragen, ob die israelische Rechtfertigung des Gaza-Kriegs mit dem Ziel, die Hamas auszulöschen, überhaupt auf glaubwürdigen Annahmen beruht, die eine Alternative zu "Hamas vernichten" nicht zulassen.
Hamas will Israel zerstören: Stimmt das?
So wird durchgängig von Israel behauptet – und in westlichen Medien und von politisch Verantwortlichen wird das übernommen –, dass die Hamas beabsichtige, Israel auszulöschen. Der Angriff vom 7. Oktober habe am Ende gezeigt, dass sie es ernst damit meint.
Aber stimmt das?
Dabei wird auf Aussagen der Hamas rekurriert, dass man das Recht des Staates Israels nicht anerkennt, große Teile Palästinas für sich zu beanspruchen. Was allerdings dabei weggelassen wird, ist, dass die Hamas-Führung seit ihrer Gründung – abseits der eher internen Rhetorik – eine pragmatische Haltung vertritt.
Die Organisation hat immer wieder deutlich gemacht, dass sie die international vereinbarte Zweistaatenlösung akzeptiert. Schon kurz nach ihrer Wahl im Gazastreifen, im Jahr 2006, erklärte die Hamas, dass man dazu bereit ist.
Ausgeblendet: Hamas akzeptiert Zweistaatenlösung
Ein frühes und wichtiges Dokument ist das sogenannte "Prisoners‘ Document", auf das sich alle politisch relevanten Gruppen (inklusive der Hamas), die die Palästinenser repräsentieren, am 27. Juni 2006 einigten. Darin wird die internationale Lösung gefordert.
Die Position der Hamas ist seitdem in zahlreichen öffentlichen Äußerungen bestärkt worden. 2008 schilderte ein israelischer Blog zum Beispiel den Pragmatismus der Hamas-Führung hinsichtlich einer Vereinbarung mit zwei Staaten in Palästina.
Im Jahr 2014 berichtete die Times of Israel über eine Einigkeit in Bezug auf die Zweistaatenlösung zwischen Fatah und Hamas. Und in der neuen Charta der Hamas von 2017 wird die zustimmende Position der Hamas gegenüber zwei gleichberechtigten Staaten in Palästina, wie von der UN-Staatengemeinschaft verlangt, erneuert.
In einem PBS-Interview mit Charlie Rose in den USA im Jahr 2014, also während des damaligen Gaza-Kriegs, forderte der Vorsitzende des politischen Arms des Hamas-Büros, Khaled Meshaal, dass die israelische Besatzung als kollektive Bestrafung aufhören müsse, um das Blutvergießen zu stoppen. Das Ziel der Hamas sei es, …
ohne Besatzung zu leben, einen Staat für uns zu erreichen. Netanjahu hat unsere Hoffnung oder unseren Traum vernichtet, und er hat die amerikanische Initiative [eine Vermittlungsbemühung von John Kerry] abgewürgt.
Pragmatische Haltung seit Gründung
Der Kenner des Israel-Palästina-Konflikts Noam Chomsky sagte dazu auf Democracy Now:
Er wiederholte im Grunde das, was Meshaal selbst, Ismail Haniyeh und andere Hamas-Sprecher schon seit Langem sagen. Es ist tatsächlich so: Wenn man bis ins Jahr 1988 zurückgeht, als die Hamas gegründet wurde, noch bevor sie eine funktionierende Organisation wurde, hat ihre Führung, Scheich Jassin – der von Israel ermordet wurde – und andere, Einigungsvorschläge gemacht, die abgelehnt wurden. Und daran hat sich nichts geändert. Inzwischen ist es ziemlich offenkundig. Man muss sich schon anstrengen, um es nicht zu sehen.
Die Hamas hat also von ihren Anfängen an den internationalen Konsens über eine Zweistaatenlösung, entlang der international anerkannten Grenze, akzeptiert und ihre Zustimmung für diese Einigung öffentlich erklärt.
Aber richtig ist auch: Es wurde dabei angefügt, dass man Israel nicht anerkennen werde.