Netanyahus gefährliches Spiel: Auf Autopilot ins Chaos

Zu sehen ist ein Mann, der vor den Trümmern eines zerbombten Gebäudes in Gaza steht

Die jüngsten israelischen Attentate haben die Gefahr eines Flächenbrands in Nahost erhöht

(Bild: Anas-Mohammed/Shutterstock.com)

Israels Attentate gefährden die Stabilität in der Region. Will Netanyahu die USA in einen Krieg mit dem Iran hineinziehen? Unser Gastautor beleuchtet die aktuelle Situation in Nahost.

Die Ermordung des politischen Anführers der Hamas, Ismail Haniyeh, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Israel oder in israelischem Auftrag durchgeführt wurde, wird keine positiven Folgen haben – auch nicht für die Sicherheit Israels selbst.

Iran wird sich zu Reaktion gezwungen sehen

Stattdessen wird sie das ohnehin schon hohe Potenzial für weitere Kriege, Tod und Zerstörung im Nahen Osten zusätzlich erhöhen.

Das iranische Regime wird sich zu einer Reaktion gezwungen sehen, auch wenn das Opfer des Attentats kein Iraner war. Das Attentat fand im Herzen des Iran statt. Für Teheran kommt die Ermordung eines ausländischen Besuchers, der sich zur Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten in der Hauptstadt aufhielt, einer schweren Demütigung gleich.

"Ping-Pong-Spiel" droht außer Kontrolle zu geraten

Iranische Entscheidungsträger werden jetzt unterschiedliche, teils widersprüchliche Überlegungen für eine Reaktion abwägen. Irans Reaktion auf den israelischen Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus im April ist ein Hinweis auf ihre Denkweise: Der iranische Vergeltungsschlag bestand in einem Raketen- und Drohnenangriff auf Israel, der zwar groß angelegt war, aber gleichzeitig darauf abzielte, den Schaden zu minimieren und damit Israel jeden Grund für eine weitere Eskalation zu nehmen.

Unser Gastautor Paul R. Pillar
(Bild: Commons)

Die iranische Antwort auf den jüngsten Anschlag wird nicht notwendigerweise die gleiche sein, aber das Regime könnte erneut nach Wegen suchen, eine starke Botschaft zu senden und gleichzeitig das Risiko einer Eskalation zu begrenzen.

Es ist für Israel zur Standardpraxis geworden, jede bewaffnete Aktion gegen Israel als unprovozierte Aggression zu behandeln, anstatt als Vergeltung für israelische Handlungen. Daher ist zu erwarten, dass Israel, unabhängig davon, wie der Iran diesmal reagiert, mit weiteren gewaltsamen Aktionen antworten wird. Trotz der Bemühungen von einer oder beiden Seiten, die Eskalation zu begrenzen, droht dieses "Ping-Pong-Spiel" außer Kontrolle zu geraten.

Die Geschichte israelischer Attentate im Iran

Die lange Geschichte israelischer Attentate und anderer Sabotageakte im Iran konzentrierte sich in der Vergangenheit auf iranische Nuklearwissenschaftler. Im Gegensatz zu diplomatischen Maßnahmen haben diese Anschläge nicht dazu beigetragen, die Fortschritte des iranischen Nuklearprogramm zu bremsen. Heute steht der Iran kurz davor, über genügend spaltbares Material für den Bau einer Atombombe zu verfügen.

Ebenso wenig wird die Ermordung Haniyehs dazu beitragen, die Gewalt der Hamas gegen Israelis im Gazastreifen oder anderswo einzudämmen. Haniyeh war eine politische Figur, die in den letzten Jahren im Exil lebte und anscheinend wenig oder gar keinen Einfluss auf die militärischen Aktivitäten der Hamas im Gazastreifen hatte.

Die wichtigste unmittelbare Auswirkung des Attentats wird darin bestehen, die Verhandlungen über einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln zu behindern – auch aufgrund von Haniyehs persönlicher Rolle in den Verhandlungen.

Dieses jüngste Kapitel in der langen Geschichte verdeckter und offener israelischer Anschläge scheint in letzter Zeit in einen makabren Autopilot-Modus übergegangen zu sein, in dem Anschlagsziele ohne Rücksicht auf die Folgen für die Sicherheit nicht nur von Ausländern, sondern auch von Israelis angegriffen werden. Dies galt insbesondere für Hamas-Ziele – aber angesichts der zunehmenden Spannungen entlang der israelisch-libanesischen Grenze auch für Ziele aus den Reihen der Hisbollah.

Israels Schnellschüsse

Die Nervosität am israelischen Abzug wurde erst vor wenigen Tagen erneut deutlich, als eine Rakete beim Einschlag auf ein Fußballfeld zwölf Menschen tötete – keine Israelis in dem Gebiet, das die Welt als Israel anerkennt, sondern Drusen in einem Dorf auf den besetzten syrischen Golanhöhen. Die nachdrücklichen Dementis der Hisbollah sind glaubwürdig, wenn man bedenkt, dass es schwer vorstellbar ist, welches Motiv die Hisbollah haben könnte, Drusen im besetzten Syrien anzugreifen.

Die meisten Drusen auf den Golanhöhen sind trotz der jahrelangen israelischen Besatzung syrische Staatsbürger. Statt eines gezielten Angriffs der Hisbollah könnte es sich bei der tödlichen Rakete entweder um fehlgeleitete Hisbollah-Munition oder, was wahrscheinlicher ist, um einen israelischen Iron-Dome-Abfangjäger gehandelt haben, der sein Luftziel verfehlte.

Trotz all dieser Zweifel war Israels Reaktion automatisch, ein weiteres Mitglied der Hisbollah zu töten. Diesmal mit einem Luftangriff auf ein dicht besiedeltes Viertel von Beirut, bei dem auch drei Zivilisten getötet und mehrere Dutzend verletzt wurden.

Wie die Attentatsoperationen gegen die Hamas wird auch diese Tötung weder die Fähigkeit noch die Bereitschaft der Hisbollah verringern, Israelis zu schaden. Sie wird lediglich die Erschwerung der diplomatischen Bemühungen bei der Stabilisierung der israelisch-libanesische Grenze und der Verhinderung eines Flächenbrands zur Folge haben.

Berechnendes Element?

Der fast automatische Rückgriff Israels auf ineffektive Attentate spiegelt zum Teil eine Art nationalen Zorns wider, der sich in den letzten neun Monaten immer wieder in Massakern und massivem Leid im Gazastreifen manifestiert hat.

Aber es könnte auch ein berechnendes Element im Spiel sein, vor allem im Fall von Premierminister Benjamin Netanyahu, der ein persönliches Interesse daran hat, irgendeine Art von Krieg am Laufen zu halten, um seinen politischen und juristischen Problemen zu entgehen – unabhängig davon, ob jemals ein Waffenstillstand in Gaza erreicht wird.

Trotz früherer Anzeichen auf Israels Neigung, nicht direkt in einen umfassenden Krieg mit der Hisbollah oder dem Iran zu eskalieren, ist es wahrscheinlich, dass Netanyahu darauf abzielt, die Vereinigten Staaten in einen Krieg mit dem Iran zu verwickeln.

Dies würde all den vielfältigen Zwecken dienen, denen die anhaltende israelische Förderung der Feindseligkeit gegenüber dem Iran schon immer gedient hat – einschließlich der Ablenkung von Israels eigenen Aktionen im Gazastreifen und anderswo –, während die USA die schwere militärische Last und alle damit verbundenen Kosten und Risiken tragen würden.

Unabhängig davon, ob Netanyahu dieses Ziel erreicht oder nicht, festigt Israels jüngste Aktion seinen Status als einer der aktivsten Staatsterroristen im Nahen Osten (denn die Ermordung des Hamas-Führers Haniyeh war nach offizieller US-Definition ein Akt des internationalen Terrorismus) und als Hauptursache für die regionale Instabilität.

Paul R. Pillar ist Senior Fellow am Zentrum für Sicherheitsstudien der Georgetown University und Fellow am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Er ist darüber hinaus Associate Fellow am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik.

Dieser Text erschien zuerst bei unserem Partnerportal Responsible Statecraft auf Englisch.