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Netz-Journalismus wird anders - oder er wird nicht sein

Grafik: TP

Die Wechselwirkung zwischen Datennetz, Inhalt und Wirtschaftsform bleibt eine Zwickmühle

Was wir gerade nicht wissen: ob einmal ein Wunder geschieht. Worauf sollten Journalisten sonst gegenwärtig hoffen? Halten wir vorerst die zentralen Punkte fest:

Ich möchte hier einige Zusammenhänge und Perspektiven skizzieren, die von diesen Faktoren ausgehen.

Das Programm-Angebot

Ein Hauptunterschied, den ich zwischen Internet-Publizistik für ein größeres Publikum und sog. "Etablierten" ausmachen kann, besteht in ihrer Stimmung. Ich beziehe mich dabei zunächst wesentlich auf politische und wirtschaftliche Websites und Blogs. Das Internet zeichnet sich durch Pessimismus und Untergangs-Prognosen aus. Das kann politisch rechts- oder linksgerichtet argumentiert sein.

Dann hätten wir noch das Feuilleton. Wenn es sich politisch äußert, tendiert es zu linksliberalen Positionen. Es hat generell einen etwas freundlicheren Zugang zu seinen Gegenständen, denn ein Rezensent liest prinzipiell gerne Romane, schaut Filme etc. Hinzu kommt, dass schon im Print-Bereich Abhängigkeiten existieren.

Gefälligkeits-Rezensionen sind für Kritiker, die im Geschäft mit den Presse-Abteilungen der Medienproduzenten bleiben wollen, eher die Regel als die Ausnahme. Ein Kritiker, der vieles schlecht findet, entzieht sich selbst die Geschäftsgrundlage (Rezensionsexemplare, Presse-Einladungen). Paradoxerweise muss man also seinen beruflichen Status als Kritiker in der Tendenz aufgeben, wenn man kritisiert. Manipulatives Product Placement, das wissen wir, ist im Internet noch schlimmer als im Print-Bereich.

Und es bleibt vorerst so, dass das Internet-Publikum jüngeren Alters ist. Die nahezu konkurrenzlose Plattform YouTube als "neues Fernsehen" ist in ihrem Programm-Bukett für Nutzer nicht zu überblicken. Formen eines Programmführers stecken allenfalls in den Kinderschuhen. Das Einrichten und Durchgehen von Abonnements "überfordert" Konsumenten sehr schnell.

Am Ende stehen wenige individuelle Lieblings-Kanäle, die gewohnheitsmäßig angesurft werden. Sie bieten meist in schneller Folge Neues - einmal oder mehrmals die Woche. Und damit leiden alle Einzelangebote, die eine geringere Frequenz haben.

Bei den Jüngeren finden darüber hinaus kaum Angebote Anklang, die einen gewissen Grad von Komplexität und Anspruch behaupten können. Die Hits für Jugendliche und junge Erwachsene auf YouTube sind ein Mix aus flachster und obszöner Blödelei, Erziehung zum Konsumtrottel und grenzenloser Verspieltheit immer neuer, meist konzeptuell gleichförmiger Videogames.

Abwärts-Spiralen

Die "Erosion der Geschäftsmodelle" im Journalismus ist eine Binsenweisheit geworden. Sollte eine bisherige Vorstellung von Gesellschaft und Öffentlichkeit aufrechterhalten werden, darf ihre Diskussion jedoch nicht abreißen. Die Entwicklung ist dramatisch und dabei schleichend. Wieviele Journalisten schon wieder im Hotel Mama leben und sich schämen, davon zu berichten, ist ungewiss. Wer es vermeiden will, macht Schleichwerbung oder gleich Werbetexte oder scheitert dabei abermals gegen die wachsende Konkurrenz.

Es ist eine Traumwelt für Kapital- und Konzernbesitzer. Auch hier die Marxsche "Reservearmee" von billigen Arbeitskräften, die gegenseitig ihren Lohn drücken. Und für das meiste, was im Internet zu finden ist, gibt es gar keine Bezahlung. Nicht wenige zahlen und arbeiten noch zusätzlich für das eigene Web-Hosting, die eigene Internet-Adresse.

In jedem Fachgespräch dazu kommt es an dieser Stelle zum Thema eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) - auf das ich hier nicht näher eingehen kann. Es ist dies einer von mehreren Funktionsbereichen, in denen ein solches Alimentierungsmodell immer unausweichlicher wird - wenn man nicht zusätzlich Jobcenter-Mitarbeiter dafür bezahlen will, Unbezahlte zu einer Stellensuche zu zwingen, die weitgehend aussichtslos ist. Die größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Deutschlands ist das Jobcenter selbst.

Neben der ökonomischen sind dann noch zwei weitere Abwärts-Spiralen zu nennen.

Die erste betrifft handwerkliche Qualität und Niveau. Schon die Schrumpfung von Redaktions-Etats reduziert Budgets für Recherche und Expertise. Während die letzten Festangestellten versuchen, ihre Produkte als "Qualitätsjournalismus" auszuzeichnen, verschwimmen solche Standards. Und wo eine solche Qualität auch bei sog. Etablierten Fragezeichen aufweist, wird sie im barrierefreien Netz umso prekärer.

Es gibt Schlechtes, das als schlecht erkennbar ist. Es gibt Laien, die gut und schlecht nicht (oder nicht sofort) unterscheiden können. Es gibt gegenseitige Vorwürfe, die "Qualitätsjournalismus", teilweise zu Recht, radikal kritisieren. Und es gibt die Hochnäsigkeit noch bezahlter Redakteure, die nicht immer unberechtigt ist, aber vielfach wohl zweierlei nicht wahrnimmt: dass es Autoren gibt, die genauso Gutes und Interessantes im Netz umsonst anbieten; dass deshalb die Akzeptanz eines Prädikats "Qualitätsjournalismus" recht unaufhaltsam schwindet.

Wie noch in jeder effektiven Feudalgesellschaft, wie das öffentlich-rechtliche Gebührensystem es ist, bemerken die meisten Vorteilsnehmer zu spät, dass ihre Köpfe rollen werden. Ihre Eitelkeit stirbt immer zuletzt.

Die letzte zu nennende Abwärts-Spirale ist das, was die Etablierten teilweise zu Recht beklagen: Radikalisierung und Boulevardisierung des Diskurses. Auch hier muss man vorerst sagen, dass es schlichtweg keinen Ausweg gibt. Internet-Inhalte sind global und meist kostenlos zugänglich. Der Wettbewerb ist keineswegs frei - und selbst, wenn Google nicht manipuliert und die eigene Seite für Suchmaschinen optimiert und gut findbar ist, wird sie ab Ergebnis-Seite 2, 3 oder höher von fast niemandem mehr gesehen.

So lesen am Ende nur noch selbst professionelle Rechercheure die verfeinerten Angebote, die meist nicht auf Google-Seite 1 landen, wenn jemand den Begriff sucht. So kämpfen Seitenbetreiber über die Suchmaschinen-Optimierung hinaus dann nur noch mit zwei verbleibenden Instrumenten um die Aufmerksamkeit: einer Radikalisierung von Sprache sowie des Inhalts.

Nur die marktschreierische Überschrift wird von größeren Zahlen von Nutzern angeklickt. Mit einem unabhängigen, praktisch und/oder inhaltlich randständigen Angebot jenseits von www.spiegel.de & Co. wahrgenommen zu werden, erfordert ungewöhnliche Inhalte. Da Subtilität ein absolutes Nischenprodukt ist, bleiben dann vielfach nur noch der Skandal und die Attacke ad hominem. Es gibt nicht wenige zweifelhafte System-Gewinnler, die Letzteres auch verdienen. Aber als Grundlage einer pluralistischen und friedlichen Kommunikationskultur ist und bleibt es riskant.

Wer die Kultur der Fakes und Verleumdungen nach permissivem US-amerikanischem Presserecht kennt, ahnt auch die hiesige Zukunft. Die Zeichen stehen auf Polarisierung und mehr sprachliche Gewalt. Es ist kein gegenläufiger Trend erkennbar oder bisher auch nur denkbar.

Teil-Müdigkeit, Vernetzungsmuffel

Leider unterhält der Autor dieser Zeilen keinen eigenen Think Tank mit angeschlossener Statistik-Abteilung. Was Medien-Mogule und Marketing-Abteilungen wissen, aber ihren Lesern nie sagen würden: wie es wirklich mit ihren Interessen und Gewohnheiten steht.

Wohl nur relativ wenige sammeln und ordnen großflächig Browser-Lesezeichen für interessante Websites abseits des Mainstreams - und gehen diese dann ständig aufs Neue durch. RSS-Feed-Reader fristen seit ihrer Erfindung eine Randexistenz. Mail-Abonnements neuer Blog-Beiträge werden wg. Informationsflut eher gemieden. Man hat eh schon genug Spam im Posteingang.

Was eigentlich gefragt ist, sind offensichtlich grafisch attraktive Übersichten mit ständig neuen Inhalten, wie nur große Plattformen sie bieten. Und dann sind da noch Facebook und Twitter - in Deutschland weitaus mehr das Produkt aus dem Hause Zuckerberg. Auf Facebook hängen die Inhalte ab von den eigenen "Freunden", die Beiträge auf der Startseite teilen ("Filterblase"). Es gibt außerdem Gruppen - doch jene zu politischen Themen beschränken sich im Höchstfall meist auf wenige Tausend Mitglieder, die überdies mehrheitlich Karteileichen sind. Sie schauen relativ selten proaktiv auf die Gruppenseite und bekommen das meiste nicht mit.

Und dann ist da noch dieses Political-Correctness- und Überwachungs-Ding. Das Internet fördert zwar den Pluralismus, die Opposition bis zur Radikalität. Doch zumal in Zeiten der verstärkten Beobachtung bis Zensur von Facebook & Co. beginnt dieses zarte Pflänzchen schon wieder zu darben. Viele Beruftstätige scheuen sich, unter Klarnamen "politisch verdächtige" Internet-Seiten auch nur zu teilen, d.h. einen Link an ihre Freunde und Follower zu übermitteln und ggf. selbst zu kommentieren.

Selbst das, was in den dezidiert medienkritischen Gruppen auf Facebook geteilt wird, stammt dann nicht selten wieder aus Mainstream-Quellen. Das ist oft inhaltlich auch nicht verkehrt - bestätigt doch auch ein kleinerer Teil der großen Menge von Neuigkeiten aus großen Redaktionen das, was man nur noch schärfer zu akzentuieren und zu kommentieren braucht, um daraus eine gegenkulturelle, oppositionelle Äußerung zu machen. Und man kann sich dann überdies auf eine angeblich ‚vertrauenswürdige‘, jedenfalls allgemein akzeptierte Quelle berufen.

Der Effekt ist, dass zwar viele eine ganze Bandbreite unabhängiger Seiten schonmal besucht haben. Zur selbstständigen Weiterverbreitung fühlen sie sich jedoch kaum verpflichtet. Sie schimpfen auf die real exisitierende Lügenpresse - aber eine Graswurzel-Revolution ist mit ihnen bisher nicht zu machen. Mit einem Hut in der Fußgängerzone ist mehr Geld zu verdienen als mit einem Spenden-Button neben aufwändig erstellten unabhängigen Website-Inhalten.

Noch schlimmer verhält es sich mit der Asymmetrie von Verlinkungen in Beiträgen: Neben jenen, die eine Netzkultur mit flachen Hierarchien ernstnehmen und nicht zuletzt Quellen ihrer eigenen Texte durch direkte Verlinkung sichtbar machen, vermeiden die etablierten großen Seiten dies weitgehend - obwohl sie meist selbst ungenannt auf den Äußerungen anderer aufbauen.

Schon Leser-Kommentare mit Links zu anderen Seiten werden mehrheitlich erst gar nicht freigeschaltet. (Hinzu kommt für die Spezialisten noch das Thema link juice, also schlechtere Google-Position bei vielen Links im Beitrag.) - Was große Pressehäuser hier praktizieren, ist ebenso das feudale Gebaren derer, die nehmen, aber nicht geben - das Internet als unerschöpfliche Quelle der kostenlosen Themenfindung, die eigene Seite als scheinbar nur auf eigenem Mist gewachsenes angebliches Edel-Produkt, das gleichwohl von gut gemachten Blogs etc. immer ununterscheidbarer wird und diese klammheimlich als Ideen-Steinbruch und Hintergrund-Information nutzen kann.

An Zynismus gewöhnte Medienmacher skandieren beim Lesen dieses Artikels schon seit Minuten: "Heul doch!" Dass ihre Bastionen schon bröckeln, wissen sie allerdings meistens selbst. Die Kritiker von Rundfunk-Gebühren etwa werden sie wohl so schnell nicht wieder los.

Doch nicht zuletzt die bodenlose Gratis-Kultur des Internets zeigt, dass mit einer Abschaffung von Gebühren allein die wesentlichen Probleme noch nicht gelöst sind. Es gäbe v.a. noch mehr Arbeitslose und Einschränkungen geordneter und solider Arbeitsformen. Die Marktführerschaft übernähme endgültig ein privater Anbieter, der es sich leisten kann, auf breiter Basis defizitär zu wirtschaften.

Eine der wenigen Gegenmaßnahmen wäre die Bildung größerer unabhängiger Portale. Eine Initiative wie Net-News-Express [1] ist eine der wenigen langlebigen wichtigen Alternativen (leider mit proportional zu vielen Links der großen Nachrichten-Seiten). Doch je geringer die ökonomische Basis, desto kleiner der Zusammenhalt und auch die praktische Umsetzbarkeit gemeinschaftlicher Projekte, die anspruchsvolle Organisation, Wartung und Aufmerksamkeit erfordern sowie im Impressum einen Verantwortlichen aufführen. Man müsste ihn erstmal dafür bezahlen, dass er diese Verantwortung übernimmt.

Nenne es niemand "Verschwörung"

Was wird also als nächstes geschehen? Eher unfreiwillig komisch ist es, wenn "Bild" oder "Spiegel" mit dem Etikett "Plus" dieselben weichgespülten Kommentare oder billig parfümierte Promi-News als angebliche Premium-Inhalte mit einer Bezahlschranke versehen. Wer’s glaubt, dürfte dennoch kaum reich damit werden.

Ich möchte sie einmal Mystiker der Kontingenz nennen, die behaupten, es sei eben zufällig dieses Internet erfunden und dann vom militärischen Bereich aus für den zivilen freigeschaltet worden, um schließlich überrascht festzustellen, dass jeder weltweit Live-Berichte senden kann, wenn er will. Das geht schon mit einem sog. Smartphone.

Was journalistische, wissenschaftliche und künstlerische Inhalte betrifft, hat das Internet bereits großflächig Wertschöpfungsketten zerstört und keine vergleichbaren neu aufgebaut. Was bleiben wird, sind Großkonzerne, die in einer Mischkalkulation einige solcher Inhalte weiterhin vergüten werden. Dass damit die Abhängigkeit von Angestellten und freien Mitarbeitern schon jetzt enorm verstärkt ist, muss ich kaum erwähnen.

Es werden also weitere Redaktionen schließen. Es werden Gratis-Inhalte von bezahlten Redaktionen weiter eingeschränkt werden. Man wird versuchen, die Unabhängigen weiter zu diffamieren zugunsten einer Marke namens "Qualitätsjournalismus".

Gibt es überhaupt finanziell erfolgreiche Internet-Publizisten? Wo es sie gibt - waren sie zuvor nicht Auftragnehmer großer Redaktionen und Gäste im konventionellen Fernsehen?

Ein Autor wie Albrecht Müller hat mit den Nachdenkseiten [2] allen Ernstes Tausende von zahlenden Förderern geworben - als Empfänger einer sicherlich üppigen staatlichen Pension und Autor von Buch-Bestsellern. Dasselbe versucht der frühere Chefredakteur der "Wirtschaftswoche" Roland Tichy [3] - mit Autoren, die in mehreren Fällen schonmal FDP-Bundesgeschäftsführer oder stellvertretender Chefredakteur des "Focus" waren.

Als entlassener RBB-Mitarbeiter startete auch der nun crowdgefundete KenFM [4] mit einer gewissen fan base. Einer wie Stefan Niggemeier baute seine Karriere über eine FAZ-Kolumne und das damals innovative "Bildblog" auf, um nach kurzer "Spiegel"-Anstellung nun auf Übermedien [5] um ebenfalls zahlende Abonnenten zu werben - mit einer Frequenz neuer Artikel, die von manchen Non-Profit- und/oder Ein-Mann-Projekten schon übertroffen wird.

Ein ähnlicher Eindruck kann bei Krautreporter [6] entstehen: Was ist hier nun so besonders qualitätvoll und wieviel Neues davon gibt es? - Ich benenne damit nicht schon ein abschließendes Urteil, aber einen sicher nicht seltenen, teils unbewussten Eindruck von Internet-Surfern, die in Sekundenschnelle wieder eine andere Seite öffnen.

Zuvor sind damit einmal vier Beispiele genannt, von denen Übermedien und Krautreporter über eine gut organisierte Pressearbeit in etablierten Organen angeschoben wurden. Tichy sitzt noch heute in TV-Talkshows, Albrecht Müller ist durch seine relativ kritischen Bestseller eine Vaterfigur für SPD-nahe "linke Kritik". Der Rest ist eine Sorge etwa von Lousypennies [7].

Im Falle Müllers schrammt das sogar nur knapp an dem vorbei, was irgendwann "Verschwörungstheorie" genannt wird [8]. Es wird aber wenig diskutiert (außer von meiner Wenigkeit [9]), was für Aussparungen drängender Fragen bei einem Albrecht Müller selbst bei näherem Hinsehen feststellbar sind.

Das Letztgenannte ist dann nur noch eine weitere Volte in einer Internet-Kultur, in der erstens die sichtbar Erfolgreichsten mehr oder minder Gewächse des bisherigen Systems sind und zweitens auch der dezidierte Impuls von "Kritik" i.w.S. wiederum als Maske erkennbar werden kann. Die alten Kräfte werden das Neue kaum bringen. Ihre Arbeit finanzieren werden erwartungsgemäß allerdings nur sie können - durch spielend selbst geleistete Anschubfinanzierung, entsprechende Klickzahlen, so geworbene Spender, durch Vertrauensvorschuss und sogar Empfehlung aus einem System, vor dem ihre eigenen Leser - teils eben gemeinsam mit den wenigen echten und falschen Renegaten - mittlerweile geflohen sind.

Diese Entwicklung war in allen genannten Aspekten in einem gewissen Maße erwartbar - als globalisiertes Datennetz mit Text- und audiovisuellen Inhalten, folgend der seit Jahrzehnten sichtbaren exponentiellen Steigerungen von Speicher- und Rechenkapazitäten.

Das bisherige Resultat ist, dass gerade kritische Autoren immer weniger bezahlte Arbeitsmöglichkeiten haben, während sie über die Such- und Überwachungsfunktionen des Netzes sogar in ihrer privaten Kommunikation leicht auszuforschen sind. Übrig bleiben reduzierte, relativ gleichgeschaltete und ökonomisch extrem von Konzernen abhängige Redaktionen. Wo schon in großen Zeitungen manche Beiträge nur wenige Hundert oder Tausend Leser finden mochten, starrt nun jeder Pfleger von Nischen-Themen und anspruchsvollen Projekten auf niedrige Zählerstände seiner Website-Statistik. (Zu alternativen Arbeitsmöglichkeiten an staatlichen oder privaten Akademien muss ich an anderer Stelle argumentieren.)

Währenddessen hat eine infantilisierte YouTube-Generation kaum die Eierschale von "Pokémon", Digitalkamera-Unboxing und endlosen "Beauty Tips" durchbrochen, um in der Hoffnung auf einen Platz am Pool "was mit Medien" studieren zu wollen.

Das Ende vieler Lieder

Von einem Erich Kästner kann man in seiner Biografie nachlesen, dass er sich mit journalistischer Arbeit ein Studium finanzierte. Derlei dürfte eine immer seltener werdende Ausnahme sein. Für eine geistige Kultur kann dies kaum ohne Folgen bleiben; ebensowenig für Bürgerrechte und selbstbestimmte Information.

Vielleicht ist das Zeitfenster für Besinnung und Selbstorganisation nur noch sehr klein. Vielleicht ist es auch vorgesehen, über Not- und Ausnahmezustände alle noch bestehenden echten Optionen zugunsten offen und versteckt gesteuerter Varianten zu überspielen. Wer von der Geschichte der Markteroberungen und -bereinigungen, offenen und versteckten Monopolisierungen und Oligarchisierungen weiß, kann demgegenüber kaum optimistisch sein.

Wo der neue Platz geistiger Güter als Konsumartikel unter Nahrungsmitteln, Autos, Elektronik, Möbeln und Kosmetik neu eingerichtet wird, ist also noch nicht ausgemacht. Außer einigen panischen Nachrichten aus Expertenrunden habe ich dazu bisher wenig gehört. An Digitalisierung und Vernetzung scheitert bisher fast alles Wissen von Betriebswirtschaft und Marketing.

Die Frage nach ökonomischer Tragfähigkeit zieht deshalb auch noch grundlegendere zu Medienwirtschaft, Kultur, Wissenssoziologie und Techniktheorie nach sich. Genau mit dem, was an erster Stelle erforderlich wäre, ließ sich leider noch nie an "freien Märkten" Kasse machen. Vielleicht fragt sich dieser Kollektivkörper so erstmals wieder ernsthaft nach seinem Kopf. Wenn er Schlimmeres verhindern wollte.


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https://www.heise.de/-3307484

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.net-news-express.de/
[2] http://www.nachdenkseiten.de/
[3] http://www.tichyseinblick.de/
[4] https://kenfm.de/
[5] http://www.uebermedien.de/
[6] http://www.krautreporter.de/
[7] http://www.lousypennies.de/
[8] http://www.taz.de/!5242175/
[9] http://filmdenken.de/?s=albrecht+müller