zurück zum Artikel

Netzentwicklungsplan: Bedenkliche Überschätzung des Gasbedarfs

Das schwimmende LNG-Terminal Höegh Esperanza in Wilhelmshaven. Bild: Ein Dahmer / CC-BY-SA-4.0

Energie und Klima – kompakt: Kritik von Klimaschützern an Planungen für Gaswirtschaft. Angenommener Bedarf sei zu hoch, geplante Infrastruktur überdimensioniert. Umsetzung würde erhebliche Probleme schaffen.

Im Dezember 2022 wurde das erste schwimmende LNG-Terminal im niedersächsischen Wilhelmshaven von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) persönlich eröffnet. Der Kanzler lobte dabei besonders das Tempo, mit dem das Projekt realisiert worden war. Ermöglicht wurde dies durch das LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG), das Ende Mai 2022 verabschiedet worden war.

Das LNGG gilt als Vorbild für die Beschleunigung weiterer Planungsverfahren, über die wir an dieser Stelle berichtet haben [1]. Der Preis für das Rekordtempo sind Einschränkungen bei der öffentlichen Beteiligung sowie bei der Umweltverträglichkeitsprüfung.

Zudem haben Klagen bei keine aufschiebende Wirkung. Umweltverbände hatten bereits vor dem Kriegsbeginn geplante LNG-Terminals zu verhindern versucht, und auch bei der neuen schwimmenden Infrastruktur bestehen weiterhin Umweltbedenken.

Das betrifft konkrete Umweltgefahren wie das Einleiten von Bioziden aus LNG-Schiffen ins Meer, aber auch die Schaffung neuer Überkapazitäten für fossiles Erdgas, wodurch fossile Abhängigkeiten zementiert werden und das Erreichen der Klimaziele in immer weitere Ferne rückt.

In einer aktuellen Stellungnahme [2] kritisiert der Thinktank Agora Energiewende, dass auch im Entwurf des Netzentwicklungsplans (NEP) Gas 2022 – 2032 der Gasbedarf in Deutschland zu hoch veranschlagt würde, wodurch dann letztendlich Überkapazitäten geschaffen würden.

Der NEP wird von den Fernleitungsnetzbetreibern (FNB) erstellt. Diese hätten laut Agora Energiewende für das Wirtschaftsjahr 2021/22 einen Gasbedarf von 991 TWh veranschlagt, der bis 2032 um 20 Prozent auf 793 TWh sinken würde. Der Thinktank geht stattdessen von einem Erdgasbedarf von maximal 620 TWh im Jahr 2030 aus. Laut NEP Gas hingegen bleibe der Gesamtbedarf bis 2030 nahezu gleich, es würde lediglich ein Teil des Erdgases durch Wasserstoff ersetzt.

"Eine Fehlannahme, die Fehlinvestitionen und stranded assets verursachen dürfte, wenn die Grundlagen im NEP Gas 2022 -2032 nicht zeitnah angepasst werden", meinen die Autor:innen von Agora Energiewende. Sie gehen stattdessen davon aus, dass der Gesamtbedarf an Gas sinken wird, da die Elektrifizierung weiterer Sektoren voranschreiten würde. Hinzu käme:

Wasserstoff wird auch in Zukunft knapp und teuer bleiben, weswegen ein einfacher Wechsel von Erdgas zu Wasserstoff, wie von den FNB vorausgesetzt, keine Option ist und auch ökonomisch nicht sinnvoll ist.

Planungen nur mit neuen LNG-Terminals

Selbst aus dem NEP lasse sich nicht der derzeit anvisierte Ausbau der deutschen LNG-Importkapazitäten ableiten. Würden alle geplanten Projekte realisiert, würde dies zu einer Überkapazität um den Faktor zwei führen. Unverständlich sei außerdem die Annahme, dass Gasimporte aus den Nachbarländern über Land um mehr als 50 Prozent sinken sollten.

LNG-Terminals und -Tanker (11 Bilder) [3]

[4]
LNG-Terminal Ras Laffan in Katar. Bild: Matthew Smith / CC-BY-2.0 [5]

Offenbar wurde eine Variante von Gasimporten ohne neue LNG-Terminals gar nicht erst in Betracht gezogen. "Es ist nicht nachvollziehbar, wieso keine LNG-Variante modelliert wurde, die mit konstanten Importen über bestehende Wege rechnet (exklusive Niederlande)", heißt es in dem Papier. Die Niederlande wurden hier ausgenommen, da sie die Gasförderung aus ihrem größten Gasfeld wegen der dadurch zugenommenen Gefahr von Erdbeben noch in diesem Jahr einstellen wollen.

Fazit der Agora-Energiewende-Autor:innen ist, dass den Zielmarken aus dem Klimaschutzgesetz und dem jetzt schon rückläufigen Gasbedarf im NEP Rechnung getragen werden müsse, "um Fehlinvestitionen in Milliardenhöhe zu vermeiden".

Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat sich den NEP Gas angeschaut [6] und sieht enorme Überkapazitäten bei der geplanten LNG-Infrastruktur, aber auch geplanten Gasleitungen. Das sei nicht nur klimapolitisch fragwürdig, sondern sei auch für die Gaskunden inakzeptabel, "die diese Leitungen mit den Netzentgelten bezahlen".

Der Geschäftsführer der DUH, Sascha Müller-Kraenner sieht hier die Lobby am Werk:

Der Netzentwicklungsplan Gas steckt völlig in der Vergangenheit fest. Noch immer diktiert die fossile Gas-Lobby den Gasnetzausbau. Dabei fordert das Energiewirtschaftsgesetz treibhausgasneutrale Infrastrukturen. Diese Vorgabe wird von den Gasnetzbetreibern bisher ignoriert.

Auch einige neue Gasleitungen sollen nach Angaben der DUH unter den Vorgaben des LNG-Beschleunigungsgesetzes gebaut werden. Damit würde auch bei diesen ein öffentlicher Beteiligungsprozess weitgehend ausgeschlossen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7477874

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Schienennetz-oder-auch-Autobahnen-schneller-ausbauen-7477790.html
[2] https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/stellungnahme-nep-gas-2022-2032-fernleitungsnetzbetreiber/
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6528323.html?back=7477874
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6528323.html?back=7477874
[5] http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en
[6] https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/gasnetzplanung-immer-noch-ohne-klimaschutz-deutsche-umwelthilfe-fordert-gesetzliche-vorgaben-zum-a/