Netzkunst französisch buchstabiert

Interview mit Frédéric Madre, Herausgeber des Net-zines Pleine-Peau

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Waum hast Du die Mailingliste Oktober gestartet?

Frédéric Madre: Tatsächlich sind Mailinglisten doch das Interessanteste am Internet, interessant, um zu verstehen, was passiert, und wer was macht. Und man kann so leicht mit den Menschen in Kontakt kommen - und sie dann auch real treffen, was durch reines Browsen nicht gelingen wird, welches dazu äußerst langweilig ist. Ich habe Oktober gestartet, weil ich auf einer anderen Liste, CHUG eingeschrieben war. Das war eine "geheime" Liste über Independent Musik, auf der der Administrator sehr strikt und es unmöglich war, über irgendetwas anderes als Musik zu sprechen. Ich wollte aber über Kunstausstellungen schreiben, also begann ich, darüber an ein paar Leute privat zu posten, etwa 5 am Anfang. Die schienen Vergnügen daran zu haben, denn plötzlich waren es 15. Also bemühte ich mich, einen Platz zu finden, an dem ich die Postings als Mailingliste hosten konnte, und so wurde sie das, was sie jetzt ist; im Oktober 95. Zu Beginn kannte ich noch jeden auf der Lsite, mittlerweile gibt es etwa 75 Subscriber. Es ist eine sehr vertrauliche Liste geblieben und eigentlich passiert gar nicht viel darauf...

Dann rege ich mich manchmal auf und schreibe Mails, um die Leute zum Reden zu bringen. Aber immer wenn ich dies tue, werden die Leute noch schüchterner und geben sich verängstigt. Manchmal erbarmt sich aber doch jemand, und das ist dann wunderbar.

Urspünglich startete die Liste mit dem Topic "Diskussion über zeitgenössische Kunst", womit aber keine theoretischen Debatten gemeint waren. Vielmehr ist es so gedacht: Man geht zu einer Ausstellung und schreibt dann darüber, was man möchte. Das ist auch der Grund, warum das einzige verbotene Thema die Frage "Was ist Kunst?" ist. Dies ist nämlich die langweiligste Frage, die man stellen kann, wobei es gleichzeitig diejenige ist, die die Leute am meisten in Rage bringt. Früher einmal war ich auf einer Mailingliste namens "Photoart" eingeschrieben; dort wurde alle zwei Monate die Frage gestelt "Was ist Kunst?" In den anderen Monaten wurde gefragt "Was ist Photographie?"...

Die Rolle des Administrators macht bei allem Spaß, weil man merkwürdige Dinge mitbekommt, und man irgendwie auch eine Machtposition zugeschrieben bekommt. Da gibt es Leute, die mich auffordern, andere Leute am Äußern bestimmter Meinungen zu hindern - aber genau das mache ich natürlich nicht. Schließlich geht es darum, daß man ja sagen kann, was man will - ausgenommen der Beantwortung der Frage, was Kunst ist, natürlich...

...aber es gibt noch ein anderes Thema, worüber man nicht schreiben darf: Ereignisse, die vor 1917 passierten. Aber darüber schreibt sowieso niemand.

Könntest Du bitte etwas zu Deinem net-zine Pleine-Peau (http://www.pleine-peau.com) sagen?

Frédéric Madre: Anfangs wollte ich etwas Gedrucktes herausgeben, wobei ich das Wort "peau" schon immer sehr mochte. Dann merkte ich aber, daß es irgendwie unmöglich für mich wäre, etwas Gedrucktes veröffentlichen zu können, vor allem, weil ich wußte, daß es dann in einem dieser kleinen Läden enden würde, die wir alle so sehr lieben, in denen es so viele Fanzines gibt, daß sie niemand kauft und wo man sie über die Jahre verstauben sieht. Also beschloß ich, daß es interessanter wäre, etwas im Netz zu veröffentlichen, ohne jemanden fragen zu müssen, ohne Vertriebssorgen. Ich nahm die Sache dann mit ein paar Freunden in Angriff. Am Anfang drehte sich Pleine-Peau eher um Literatur, später arbeiteten wir immer mehr mit Hyperliteratur. Anfangs wollten wir die ganze Site auch in Französisch belassen, aber weil die meisten meiner Freunde im Netz nicht französisch sprechen, waren die einzigen Kommentare "Ja, es sieht gut aus"...

Gleichzeitig sah ich auch aus den Logfiles, daß in Frankreich niemand die Site besuchte, also versuchten wir es mit einer Mischung aus Französisch und Englisch, ein bißchen Italienisch ist auch dabei. Im Verlauf der Zeit interessierte ich mich dann immer mehr für net.art und begann, damit auf der Site zu spielen. Die Idee, daß ich dennoch gleichzeitig Geschriebenes auf der Site haben möchte, ist dabei sehr französisch, glaube ich.

Zur Zeit sprich alle Welt von einem French Touch in der französischen Musik. Gibt es so etwas wie einen French Touch in net.art?

Frédéric Madre: Ich kenne nicht viele Leute in Frankreich, die sich in net.art versuchen. Es gibt eine Site, die ich sehr mag, d2b, aber ich sehe nichts typisch französisches, weder in dem, was dort gemacht wird, noch in dem, was wir mit Pleine-Peau machen. Nein, ich glaube, es gibt da keinen French Touch, was auch damit zusammenhängt, daß Frankreich in Sachen Internet etwas zurück ist. Es gab einige Sites, die vor ein paar Monaten entstanden sind, aber das war es dann auch. Und was gerade diskutiert wird, sind Themen, die in den USA schon vor 2 oder 4 Jahren aktuell waren. Kürzlich gab es beispielsweise den Fall einer französischen Site, die vom Netz genommen werden mußte. Der Provider war in Konflikt mit dem Gesetz geraten, weil irgendjemand auf einer Site Nacktbilder von Prominenten veröffentlicht hatte. Aber dies sind alles Themen, die in den USA schon längst diskutiert wurden. Die französische Debatte über die Verteidigung von Free Speech im Internet trägt mich zurück in die Vergangenheit, deswegen bin ich hier nicht sonderlich daran interessiert. Außerdem sehe ich Free Speech als ein amerikanisches Thema, nicht als ein französisches. Ich habe ein großes Unbehagen dabei, wenn Leute diese Diskussion in einer Weise adaptieren, als könnten sie nur bei McDonalds über Free Speech reden...

Um sich auf Oktober einzuschreiben, genügt es, eine Mail mit den Worten "subscribe oktober" an majordome@mail.smu.edu zu schicken.