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Neue Hoffnung für die deutsche Solarbranche

Die Solarfolie der Firma Heliatek kann auf Fensterflächen angebracht werden. Bild: Heliatek

Anfang Mai starten zwei neue Modulwerke in Deutschland, zugleich soll die Serien-Produktion von organischen Solarzellen beginnen. Die Erwartungen sind enorm, denn die deutsche Solarwirtschaft steckt tief in der Krise

"Solarenergie neu denken." So lautet der Werbespruch der Meyer Burger Technology AG" [1]. Einst war der Schweizer Konzern darauf spezialisiert, Maschinen für die Produktion von Solarzellen zu bauen. Weil es in Europa aber kaum noch Modulfertigungen gibt, entschied das Management im vergangenen Jahr, selbst in die Herstellung von Sonnenkraftwerken einzusteigen.

"Wir sind optimistisch, schnell einen signifikanten Marktanteil im Premium-Dachsegment zu gewinnen", erklärte der zuständige Manager Moritz Borgmann. Dafür haben die Schweizer die Reste insolventer deutscher Hersteller aufgekauft. Im Mai sollen zwei Werke mit der Produktion beginnen, eines in Freiberg (Sachsen), wo einst der damalige Vorreiter Solarworld mehr als tausend Menschen beschäftigte, das andere in Thalheim (Sachsen-Anhalt), wo bis 2011 rund um den Branchenprimus Q-Cells 3.500 Jobs entstanden. Aktuell stellt Meyer Burger Arbeitskräfte ein, die – wie es Manager Borgmann ausdrückt – "Aufbruchsstimmung verbreiten und an der Renaissance der europäischen Solarindustrie mitwirken wollen."

Auf dem Schild an der A9 kurz vor der Abfahrt Bitterfeld steht immer noch "Solar Valley": Vor zehn Jahren glaubten sie hier, das solare Pendant [2] zur US-amerikanischen Hightech-Schmiede "Silicon Valley" zu sein. Die Hälfte aller Solarzellen auf der Welt war damals "Made in Germany", der Standort in Sachsen-Anhalt der zweitgrößte Europas - nach dem in Frankfurt/Oder mit dort 5.000 Beschäftigten.

Aber dann kürzten die Bundesminister Peter Altmaier (Umwelt, CDU) und Philipp Rösler (Wirtschaft, FDP) gemeinsam die Solartarife so stark, dass die gesamte Branche zusammenbrach.

"Von der Solarwirtschaft ist in Deutschland nicht mehr viel übrig", urteilt Norbert Allnoch, Chef des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR). Waren im Jahr 2011 laut Bundeswirtschaftsministerium noch 156.700 Menschen in der Solarbranche beschäftigt, so gab sie Anfang 2019 gerade noch 45.700 Lohn und Brot. "Fast die gesamte industrielle Wertschöpfung ist verloren gegangen", sagt Allnoch. Von den 350 Solarzellenproduzenten, die es vor zehn Jahren in Deutschland noch gab, sind kaum ein paar Dutzend übrig.

Ob Jinko Solar, JA Solar oder Trina Solar: Acht der zehn größten Solarkonzerne der Welt kommen heute aus China, einer aus Südkorea. "Die Zellen und damit der werthaltigste Anteil dieser Wirtschaft kommen damit aus Asien", so Allnoch. Übernommen haben die Investoren aus China, Südkorea oder Taiwan nicht nur die deutschen Marktanteile, sondern mit dem Kauf der insolventen Firmen auch deren Patente, das Know-how der Solarwirtschaft. Immerhin gebe es aber in Deutschland noch die "Wertschöpfung in der Solarnutzung". Damit meint Allnoch Anlagenbetreiber und Handwerksbetriebe, die neue Solaranlagen aufbauen.

Solar-Dachziegel aus Brandenburg

Aber vielleicht ändert sich die Tristesse gerade, der Schweizer Konzern Meyer Burger ist nicht der einzige Hoffnungsschimmer am deutschen Solarhimmel. Im vergangenen Jahr wurden hierzulande erstmals wieder Solarkraftwerke mit knapp 5.000 Megawatt Leistung [3] ans Netz geschaltet, viermal mehr als Mitte des letzten Jahrzehnts. Im brandenburgischen Prenzlau fertigen sie jetzt Solar-Dachziegel [4], bis zu 70 Prozent des Strombedarfs eines Einfamilienhauses lassen sich mit diesen decken.

Erstmals seit 2013 machte der hessische Solarspezialist SMA 2020 wieder mehr als eine Milliarde Euro Umsatz [5]. Und jetzt kommt eine ganz neue Technologie "Made in Germany" auf den Markt: organische Solarzellen.

90 Prozent aller bislang hergestellten Module nutzen Silizium zur Umwandlung der Sonnenenergie, die restlichen machen sich kristalline Verbindungen wie Galliumarsenid zunutze. "Wir hingegen verwenden organische Materialien", sagt Martin Hermenau, Leiter der Produktentwicklung bei der Firma Heliatek [6].

Der Strom wird von Kohlenwasserstoff-Verbindungen erzeugt, "ganz ohne Silizium, ohne Blei und anderen Schadstoffen". Deshalb sei der ökologische Fußabdruck der Dresdner Zelle sehr viel kleiner als bei herkömmlichen Fotovoltaik-Modulen, und Materialengpässe, wie beispielsweise bei den Seltenen Erden, ausgeschlossen.

15 Jahre hat das Dresdner Start-up an der Entwicklung der "organischen Solarzelle" gearbeitet, jetzt soll der Durchbruch gelingen, die Massenproduktion die Kosten senken. Derzeit würden die Maschinen eingefahren und Personal eingestellt. Hermenau ist jedenfalls bereit, die Solarwirtschaft zu revolutionieren. Denn es sind andere Vorteile der Dresdner Zelle, die ins Gewicht fallen: "Wir stellen Solarfolien her, die leicht, dünn und sehr flexibel sind und dazu noch einfach zu installieren", sagt Stephan Kube, bei Heliatek für Marketing zuständig.

Überall dort, wo "normale" Module zu schwer sind oder zu unflexibel, könnte die Dresdner Klebefolie [7] aufgebracht werden. In Spanien wurden der Turm eines Windrades beklebt, in Frankreich das Leichtbaudach einer Mittelschule, in Donauwörth die Fassade eines Getreidesilos, in Berlin die Waben einer Traglufthalle.

Tatsächlich bietet die neue Technologie enorme Vorteile. "Im Vergleich zu den herkömmlichen Solarzellen sind die organischen tausendmal dünner", sagt Birger Zimmermann vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE [8].

Dadurch sei wesentlich weniger Materialaufwand notwendig, um zum gleichen Ziel zu kommen: "Zudem sind organische Solarzellen extrem anpassbar an die verschiedenen Anwendungsbereiche", sagt der "Teamleiter Produktionstechnologie für organische Solarzellen" am ISE. Beispielsweise können die neuen Zellen nur bestimmte Bandbreiten des Lichts in Strom umwandeln, etwa jene, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. "Man kann so Fensterscheiben zu Sonnenkraftwerken umfunktionieren", sagt Zimmermann, etwa in Gewächshäusern.

Weltmarktanteil deutscher Hersteller auf weniger als ein Prozent geschätzt

Es ist die Molekülstruktur, die den Strom erzeugt, was Zimmermann als "Fluch und Segen zugleich" bezeichnet: Einerseits sind durch neue Moleküle immer neue Anwendungen möglich. Anders als bei den siliziumbasierten Solarzellen lässt sich andererseits die Lebensdauer der neuen Sonnenkraftwerke nicht mit Gewissheit vorhersagen. Zimmermann: "Die ist für jedes neue Material neu zu prüfen". Der Freiburger Forscher sieht die Dresdner Firma aber gut aufgestellt, "Heliatek hat schon sehr stabile Zellen demonstriert".

Könnten Innovationen, wie die organische Fotovoltaik aus Dresden, der deutschen Solar-Branche einen Impuls geben? Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, ist skeptisch: "Der Weltmarkt wächst jährlich um 20 bis 30 Prozent", um konkurrenzfähig zu bleiben, hätten deutsche Solarbranche mitwachsen müssen. Nur so könne man konkurrenzfähige Preise aushandeln, etwa beim Grundstoff Silizium.

"In dem Moment, wo der Heimatmarkt weggebrochen ist, hatten die Deutschen keine Chance mehr, mitzuwachsen", sagt Quaschning, der den Weltmarktanteil deutscher Hersteller auf weniger als ein Prozent schätzt. Zudem: "Die Politik unternimmt nichts, um dem Markt Vertrauen zurückzugeben."

Das sieht auch Birger Zimmermann so. Wer der Branche einen Wachstumsschub geben wolle, der "müsste dafür ein entsprechendes Wirtschaftsumfeld schaffen, so wie es die rot-grüne Bundesregierung einst mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz gemacht hat." Derlei sei derzeit nicht in Sicht. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme hat in einer Studie [9] untersucht, wie die deutschen Klimaziele erreicht werden können. Ergebnis: Das geht nur mit einem massiven Ausbau der Fotovoltaik. "Von allein wird dieser massive Ausbau nicht passieren", sagt Zimmermann, "wir brauchen einen zeitgemäßen und ambitionierten Plan mit wirksamen Instrumenten."

Deshalb erscheint der Schritt des Schweizer Konzerns Meyer Burger auf den zweiten Blick auch weniger revolutionär, als er zunächst erscheint: Finanziert wird der Neustart des Solargeschäfts durch eine Kapitalerhöhung um 155 Millionen Euro - die vierte in rund zehn Jahren. Im gleichen Zeitraum haben die Aktien des Unternehmens 97 Prozent an Wert verloren. Das Land Sachsen-Anhalt gibt 22,5 Millionen Euro Starthilfe hinzu, 300 Leute werden zunächst eingestellt, weit über tausend sollen sich beworben haben.

Die Neue Züricher Zeitung bewertet den Neustart in Deutschland als Verzweiflungstat [10], mit der sich der Schweizer Konzern zu retten versucht. Anfangs soll sich die Produktionskapazität beider Werke in Freiberg und Thalheim auf 400 Megawatt belaufen.

Zum Vergleich: Allein die "Solar Factory III" fertigte am Standort Freiberg 600 Megawatt im Jahr. Aber vielleicht geht der Plan ja auf. Der Schweizer Bundesrat beschloss gerade eine Erhöhung der Solarförderung für kleine Fotovoltaik-Dachanlagen, exakt solche, die Meyer Burger anbieten will.

Stimmt die Nachfrage, soll die Fertigung bis 2022 auf 1.400 Megawatt hochgefahren werden. Das wäre dann wirklich eine "Renaissance der europäischen Solarindustrie".


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6031261

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.meyerburger.com/de/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Solar_Valley
[3] https://www.solarwirtschaft.de/2021/02/02/solarboom-auf-privaten-daechern/
[4] https://www.autarq.com
[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/438367/umfrage/umsatz-der-sma-technology-ag/
[6] https://www.heliatek.com
[7] https://www.heliatek.com/de/referenzen/
[8] https://www.ise.fraunhofer.de/de/geschaeftsfelder/photovoltaik/perowskit-und-organische-photovoltaik/organische-solarzellen-und-module.html
[9] https://www.ise.fraunhofer.de/de/veroeffentlichungen/studien/wege-zu-einem-klimaneutralen-energiesystem.html
[10] https://www.nzz.ch/wirtschaft/meyer-burger-der-solarausruester-bettelt-um-eine-letzte-chance-ld.1565300