Neue Nakba droht: Spanische Ministerin will Netanjahu vor Strafgerichtshof bringen
Seite 2: Zwangsumsiedlung, Säuberung – und dann?
- Neue Nakba droht: Spanische Ministerin will Netanjahu vor Strafgerichtshof bringen
- Zwangsumsiedlung, Säuberung – und dann?
- Auf einer Seite lesen
Nach dem tödlichen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober begann die Netanjahu-Regierung mit einer Militäroffensive, die von internationalen Menschenrechtsgruppen und Rechtsexperten als kollektive Bestrafungsaktion verurteilt wird, bei der der dicht besiedelte Gazastreifen bombardiert, die zivile Infrastruktur zerstört und die Versorgung der Enklave mit Lebensmitteln, Strom, Treibstoff und anderen wichtigen Gütern untersagt worden ist.
Israelische Beamte haben zugegeben, dass der Angriff auf den Gazastreifen in erster Linie darauf abzielt, massiven Schaden anzurichten, und nicht darauf, die Hamas gezielt anzugreifen.
Seit Beginn der israelischen Bombardierung sind in Gaza mehr als 2.600 Menschen getötet und mehr als eine Million Menschen vertrieben worden. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) warnte, dass die israelischen Luftangriffe und die Blockade "eine noch nie dagewesene humanitäre Katastrophe" auslösen werden, da das Gesundheitssystem des Gazastreifens kurz vor dem völligen Zusammenbruch steht. Krankenhäuser im Gazastreifen erhalten nun "einen Patienten pro Minute", während die Energieversorgung nicht mehr aufrechterhalten werden kann.
Am Freitag ordnete die israelische Regierung an, die gesamte Bevölkerung des nördlichen Gazastreifens – mehr als eine Million Menschen – vor einer erwarteten Bodeninvasion zu evakuieren, eine Forderung, die weltweit Empörung hervorrief.
Menschenrechtsgruppen erklärten, die Anordnung könne als Kriegsverbrechen im Sinn der Zwangsumsiedlung gelten, da den Menschen im Gazastreifen weder eine sichere Durchreise noch eine klare Zusicherung gegeben wurde, dass sie in ihre Häuser zurückkehren können.
Der ehemalige Direktor von Human Rights Watch, Kenneth Roth, sieht Israel kurz davor, eine "neue Runde der ethnischen Säuberungen" durchzuführen. Selbst wenn die Gaza-Bewohner die Chance hätten, nach Ägypten zu fliehen – was angesichts der Wirtschaftskrise dort unwahrscheinlich ist –, machten sie sich verständlicherweise Sorgen, dass der Rafah-Übergang nach Ägypten "nur in eine Richtung funktioniert – dass ihre Flucht eine Wiederholung der Nakba oder übersetzt 'Katastrophe' von 1948 darstellt".
Dabei wurden 700.000 Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben. Die Gebiete zählen heute zu Israel. Die Palästinenser durften nie wieder zurückkehren.
Die große Mehrheit der Bewohner des Gazastreifens sind Nachkommen dieser Nakba-Flüchtlinge. Roth verweist angesichts der drohenden Vertreibung auf eine Reihe von Aussagen von israelischen Regierungsmitgliedern:
Der israelische Minister Gideon Sa'ar sagte am Samstag in einem Interview mit dem israelischen Nachrichtensender Channel 12 News, dass der Gazastreifen "am Ende des Krieges kleiner sein muss ... Wer einen Krieg gegen Israel beginnt, muss Territorium verlieren". Yoav Gallant, Verteidigungsminister, sagte: "Der Gazastreifen wird nicht wieder so werden, wie er vorher war. Wir werden alles beseitigen." Sie scheinen eine Massenvertreibung aus zumindest einem Teil des Gebietes vorzuschlagen. Aber diese kollektive Bestrafung – dieses Kriegsverbrechen – ist eine völlig unangemessene Reaktion auf die Gräueltaten der Hamas. Sie wird noch verschärft, wenn sie zur Zwangsdeportation nach Ägypten wird – demselben Verbrechen, das der Internationale Strafgerichtshof bereits gegen Offiziere des Militärs von Myanmar untersucht, weil sie 2017 Rohingya gewaltsam nach Bangladesch vertrieben haben.
Der ehemalige Finanzminister Griechenlands und Mitbegründer der paneuropäischen Bewegung Diem25, Yanis Varoufakis, listet in einem Artikel diverse Kriegsverbrechen Israels seit dem 7. Oktober 2023 auf, die nach seiner Ansicht den Tatbestand des Genozids erfüllen.
Dazu zählt Varoufakis die humanitäre Totalblockade des Gazastreifens (Strategie des Aushungern), die Anstiftung zum Völkermord ("Wir bekämpfen menschliche Tiere"), gezielte Tötungen von Zivilisten, unrechtmäßige Deportationen, die psychische Folterung der Bevölkerung durch Blockade und permanente Luftschläge auf Wohnhäuser, die Bewaffnung von israelischen Siedlern, der Einsatz der international geächteten weißen Phosphorbomben und die Zerstörung ziviler Einrichtungen.
Die spanische Sozialministerin Belarra prangerte in ihrem Statement gestern auch die Komplizenschaft der europäischen Regierungen und der Vereinigten Staaten – Israels wichtigstem Waffenlieferanten – bei dem verheerenden Angriff auf Gaza an und forderte die EU auf, den USA "nicht länger blindlings zu folgen".
"Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union schauen nicht weg oder verhalten sich neutral, sondern unterstützen den Staat Israel in seiner Apartheid- und Besatzungspolitik, die eine schwere Verletzung der Menschenrechte darstellt", so Belarra. "Die Hamas als Vorwand für die Ermordung Tausender palästinensischer Zivilisten, darunter auch Kinder, zu benutzen, ist eine unsägliche Heuchelei sowohl vonseiten Israels als auch vonseiten der Länder, die diese Politik rechtfertigen."