Neue Realo-Sprache: "Augsburg können wir noch verteidigen, München und Berlin nicht mehr"
Vom Pazifismus zum Realismus: Deutschlands neuer militärischer Diskurs. Frank Haun, Chef des Leopard-Herstellers KNDS, zur deutschen Verteidigungsbereitschaft.
In der medialen Öffentlichkeit wird der Aufruf zu mehr Anstrengungen, um kriegstüchtig zu sein, allmählich zur Pflichtmelodie. Unüberhörbar.
"In Europa wird gerade rhetorisch aufgerüstet. Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit sind die Schlagworte der Stunde", beschrieb kürzlich die Schweizer NZZ die Lage.
"Dringend notwendiger Realismus"
Das Vokabular würde Pazifisten erschauern lassen und Entsetzen in der europäischen Wohlfahrtszone auslösen, aber das Kriegsvokabular sei aus den deutschen Polit-Talkshows nicht mehr wegzudenken und "gleichsam in den Grundwortschatz aufgenommen worden". Und, so kommentiert die Zeitung, das gehöre auch "zu einem dringend notwendigen Realismus".
Der "neue Realismus" hat seine ersten Eroberungen im öffentlichen Diskurs also schon gemacht. Das sei auch dringlich geboten, weil die "Unberechenbarkeit des Kreml-Herrn erhebliches Eskalationspotenzial birgt", argumentiert die Zeitung.
Eine rhetorische Dramatik nach innen und außen sei die Folge. Mit Botschaften der Abschreckung nach außen. Nach innen brauche es das Signal, dass mehr Geld für die militärische Vorsorge investiert werden muss.
Den politischen Willen zum Sprung verhelfen: Der neue Ton
Mit dem neuen Realismus ist die Stunde für die Rüstungswirtschaft gekommen. Dort beherzigt man, wie es der CEO des Leopard-2-Herstellers KNDS, Frank Haun, anschaulich vorführt, die rhetorische Dramatik.
In einem Interview mit der FAZ kritisiert Haun die mangelnden Investitionen der Bundesregierung in die Bundeswehr und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands.
Es fehle an einem deutlichen Willen zur Stärkung der Bundeswehr, sagt Haun, der nicht nur als Chef des Rüstungsunternehmens tätig ist, sondern auch als Mitglied des Beirats der Commerzbank, des Board of Directors des Atlantic Council sowie des Beirats der Münchner Sicherheitskonferenz. Eine Stimme also mit Einfluss und Resonanzraum.
Den weitete er jetzt mit einer klingenden Aussage an die Öffentlichkeit aus. Er sagte der FAZ zum Stand der Verteidigungsbereitschaft angesichts eines Bestands von rund 300 einsatzbereiten Kampfpanzern.
Augsburg können wir damit noch verteidigen, München und Berlin dagegen nicht mehr.
Kritik an fehlenden Prioritäten
Im weiteren Verlauf des Interviews äußert sich Haun auch kritisch über die Bürokratie im Beschaffungsamt der Bundeswehr und die mangelnde Unterstützung der Politik für sichere Lieferketten in der Rüstungsindustrie. Er kritisiert zudem die fehlenden Prioritäten der Politik und die mangelnde finanzielle Unterstützung der Bundeswehr.
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Haun ist CEO von KNDS, einem deutsch-französischen Joint Venture, das Rüstungsgüter herstellt. KNDS ist aus der Fusion der Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann und Nexter hervorgegangen. Gegenüber der bürgerlich-konservativen Zeitung betonte Haun die Notwendigkeit multinationaler Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie. Nötig sei mehr, um die Kampfkraft und damit die Abschreckung zu erhöhen.
Er appelliert an die Industrie, die ersten Schritte zu machen, internationale Zusammenarbeit sei das Gebot der Stunde. Man müsse multinational vorgehen, ungeachtet denkbarer Schwierigkeiten, sagt er zum Panzerbau, der Horizont, den er vor Augen hat, ist umfassender.
Je mehr Interoperabilität, desto mehr Kampfkraft, je mehr Kampfkraft, desto mehr Abschreckung. Darum geht es doch: Kriegsverhinderung. Das ist der Gedanke, der KNDS zugrunde liegt: Die Industrie macht den ersten Schritt und tut sich zusammen, denn auf die Politik können wir lange warten. Je europäischer wir uns organisieren, desto mehr können wir standardisieren und für gleiche Plattformen sorgen.
Frank Haun, FAZ
Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage und der Herausforderungen, vor denen die Bundeswehr steht, macht Haun deutlich, dass für ihn eine stärkere Investition in die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands notwendig ist.
Er betont, dass KNDS bereit und in der Lage ist, eine erhöhte Produktion zu steigern und neue Großbestellungen abzuarbeiten, sollte die Bundesregierung sich entscheiden, mehr in die Bundeswehr zu investieren.