Neue Regeln sollen Anschluss von Balkon-Kraftwerken und PV-Anlagen beschleunigen
Die neuen Anschlussregeln erleichtern den Netzanschluss von Millionen PV-Anlagen und Speichern. Bürokratie wird abgebaut. Doch werden die Probleme auch gelöst?
Statt wenigen zentralen fossilen Großkraftwerken müssen infolge der Energiewende eine Vielzahl neuer CO2-freier Erzeugungsanlagen sicher und zuverlässig in den Verteilnetzen angeschlossen werden. Zudem wächst der Bedarf an Speichern, damit die volatilen Energiequellen ausgeglichen werden können. Dadurch steigt der Aufwand für Koordination und Berechnungen. Die traditionelle Technik ist damit sichtbar überfordert.
Der Druck, die Energiewende zügig voranzubringen und dafür Millionen neue Anlagen ans Netz zu bringen, ist gewaltig und gleichzeitig bleiben an vielen Stellen Fragen offen, wie sie im Detail umgesetzt werden kann.
Das Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (VDE FNN) reagiert auf diese Nachfrage und überarbeitet derzeit die Technischen Anschlussregeln (TAR) für Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen sowie Speicher mit Fokus auf die Niederspannung und will so für Flexibilität und Sicherheit in der Energieversorgung sorgen.
Anträge für Netzanschlüsse sollen künftig auf der Grundlage standardisierter Informationen zügiger und vor allem auch digital bearbeitet werden können. Bundesweit gibt es rund 900 Verteilnetzbetreiber, die die Netzanschlussbegehren und Netzanschlüsse in ihrem Gebiet organisieren.
Ab 1. Januar 2025 sollen Anschlussbegehren bundesweit vereinheitlicht und digitalisiert werden. VDE FNN stellt dafür ein standardisiertes Daten-Set zur Verfügung, das die für die Antragstellung notwendigen Daten, etwa zu Verbrauchs- und Erzeugungsanlagen, beschreibt. Dieses Set ist Grundlage für alle Verteilnetzbetreiber zum Aufbau ihrer Webportale. Auf Basis standardisierter Informationen lassen sich so künftig Anträge zügiger und digital bearbeiten.
Die Technischen Anschlussregeln zählen zum Handwerkszeug der Verteilnetzbetreiber
Die kostenpflichtigen Technischen Anwendungsregeln (TAR) für den Anschluss von Kundenanlagen an das Niederspannungsnetz und deren Betrieb (TAR Niederspannung) gelten für alle Kundenanlagen, die an das Netz der allgemeinen Versorgung (öffentliches Netz) angeschlossen sind/werden. Die Rechtsform des Anschlussnehmers, also des Eigentümers der Kundenanlage, ist dabei unerheblich.
Die TAR des VDE FNN beschreiben die allgemeinen technischen Mindestanforderungen gemäß § 19 EnWG, die über die Technischen Anschlussbedingungen (TAB) des Verteilnetzbetreibers in den Netzanschlussvertrag einbezogen werden. Anforderungen in die TAB, die im Widerspruch zu den TAR stehen, sind unwirksam. Auch Ergänzungen zu den TAR sind nur zulässig, wenn sie notwendig sind oder sonstige Rechtsvorschriften diese gebieten. Während die TAR hinter einer Bezahlschranke liegen, sind die TAB als Muster auf der Seite des BDEW veröffentlicht.
Turbo für die Energiewende
Joachim Kabs, Vorstandsvorsitzender VDE FNN und Mitglied in der Geschäftsführung der Bayernwerk Netz GmbH, stellte in einer Presskonferenz am 17. Juni fest:
Die Energiewende führt auf allen Netzebenen zu großen Veränderungen. Besonders in den Verteilnetzen, wo bei Endkunden Millionen dezentrale Erzeuger, Speicher und durch Elektrifizierung bei der Wärme- und Mobilitätswende neue Verbraucher zu integrieren sind, brauchen wir mehr Klarheit – zum Netzanschluss wie auch zu der künftigen Rolle und den steuerbaren Fähigkeiten der Kundenanlagen, um die Systemstabilität aufrechtzuerhalten.
Deshalb sind die TAR von VDE FNN so entscheidend für den Erfolg der Energiewende und die Versorgungssicherheit. Wir sind bereits mitten in der Veränderung. Damit wir sicher und zügig am Ziel ankommen, müssen wir auf allen Ebenen anpacken.
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Weniger Bürokratie: Anlagen bis 500 kW ohne Zertifikat ans Netz bringen
Erzeugungsanlagen und Speicher zwischen 135 kW und 500 kW installierter Leistung werden sowohl in der Niederspannung als auch in der Mittelspannung angeschlossen. Derartige Anlagen können mit der Novellierung der NELEV (Elektrotechnische-Eigenschaften-Nachweis-Verordnung) im Rahmen des Solarpaket I seit Mitte Mai nach einem vereinfachten Nachweisverfahren ans Netz angeschlossen werden.
Es orientiert sich am heute üblichen Nachweisverfahren für kleine Anlagen (″Balkonkraftwerke″) in der Niederspannung. Damit entfällt das Anlagenzertifikat und der Konformitätsnachweis. Das Nachweisverfahren soll die neue VDE-Anwendungsregel Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz konkretisieren.
Bislang mussten für diese Erzeugungsanlagen, egal auf welcher Spannungsebene sie angeschlossen werden sollten, die elektrotechnischen Eigenschaften nach der TAR Mittelspannung nachgewiesen werden.
Schneller anschließen – auch bei nicht ausreichender Netzkapazität
Bislang musste eine anzuschließende PV-Anlage den Großteil ihrer Erzeugungsleistung in das Netz einspeisen können. Mit der Novellierung der VDE-Anwendungsregel Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz will VDE FNN jetzt den Spielraum für Kunden vergrößern. Künftig könne dank der vorgesehenen Einspeiseüberwachung auch Anlagen angeschlossen werden, wenn sie aufgrund fehlender Kapazitäten temporär oder dauerhaft nur einen geringen Teil oder gar nicht ins Netz einspeisen.
Erzeugt eine PV-Anlage mehr Leistung als eingespeist werden kann, wird diese für den Eigenbedarf genutzt oder entsprechend gedimmt. Zudem steigt dann das Interesse an einem eigenen PV-Speicher. Diese privaten PV-Speicher übertreffen inzwischen das Potenzial der Pumpspeicherkraftwerke der öffentlichen Elektrizitätsversorgung in Deutschland.