"Neue Wahrnehmung, wie dreckig es einigen Menschen in Deutschland geht"
Findet Klimageld gut: Ulrich Schneider. Bild: Martin Heinlein, CC BY 2.0
Ulrich Schneider über das Klimageld, den eigentlich notwendigen Hartz-IV-Satz und Unterschiede zwischen Ampel und Großer Koalition
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, hat den Vorschlag von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die Einführung eines Klimageldes begrüßt, zugleich aber Forderungen mit Blick auf den Hartz-IV-Satz gestellt. Die Position der FDP, die sich alternativ für eine Steuerreform ausspricht, lehnte Schneider im Gespräch mit Telepolis ab. Dies sei derzeit nicht zu finanzieren.
Nach Ansicht Schneiders stehen die Chancen dafür in der SPD-geführten Bundesregierung besser als zu Zeiten der Großen Koalition.
Damals hätten auf dem Höhepunkt der Coronakrise Bezieher von Sozialhilfe und Grundsicherung ein Jahr lang warten müssen, bevor sie Atemschutzmasken kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen haben, so Schneider im Interview mit Telepolis Inzwischen habe das Bewusstsein für soziale Probleme in der Gesellschaft zugenommen, so Schneider.
Herr Schneider, Sie unterstützen Bundessozialminister Hubertus Heil in dessen Forderung nach der Einführung eines sogenannten sozialen Klimageldes. Nun sind die Parameter, die konkrete Ausgestaltung, noch gar nicht klar. Kann man eine solche Maßnahme auf dieser Basis überhaupt schon seriös unterstützen?
Ulrich Schneider: Letztlich kommt es auf die Höhe an, das ist klar, damit für die Menschen dabei etwas rauskommt und damit etwas passiert. Aber wenn man sich da jetzt nicht dran macht, an die Ausgestaltung der Parameter, dann wird man auch nie zu diesem Ziel gelangen. Und deswegen hat Hubertus Heil völlig recht, wenn er sagt, zum 1.1.2023 muss das eigentlich stehen. Und das unterstützen wir sehr. Wir dürfen das nicht die lange Bank schieben.
Reden wir doch über die Parameter. Sie schreiben nachvollziehbar, von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen, die vor allem ärmere Haushalte in Bedrängnis bringen, sogar "an den Rand der Verzweiflung", wie es bei Ihnen heißt. Was sind denn ärmere Haushalte, Herr Schneider?
Ulrich Schneider: Arme Haushalte sind für uns erst mal alle Haushalte, die in Grundsicherung sind. Arme Haushalte sind für uns auch alle Haushalte, die Bafög beziehen, und letztlich auch alle Haushalte, die Wohngeld erhalten. Überdies haben wir einen Bereich von Einkommen, der immer knapp über dem Ganzen liegt, aber unterhalb der Armutsgrenze. Um diese Haushalte zielgenau zu erreichen, muss man in der Tat parallel die Regelungen bei Bafög und Wohngeld überarbeiten. Die Einkommensgrenzen müssen also großzügiger gestaltet werden.
Sie haben in Ihrer Pressemitteilung zum geplanten "sozialen Klimageld" auch geschrieben, dass diese Transferleitung die Erhöhung anderer staatlicher Gelder nicht ersetzen könne. Ein Grundproblem bleibt aber doch: Wenn durch die Erhöhung anderer Leistungen eine bestimmte Grenze überschritten wird, könnte auch der Anspruch auf das soziale Klimageld verfallen.
Ulrich Schneider: Um solche Entwicklungen zu vermeiden, muss der unzureichende Regelsatz in Hartz IV angehoben werden, nach unserer Ansicht um weit mehr als 200 Euro im Monat. Nach unseren Berechnungen muss der Hartz-IV-Regelsatz, um Armut zu verhindern, mindestens 678 Euro für einen alleinstehenden Erwachsenen betragen. Das wären mehr als 50 Prozent mehr als die derzeit gewährten Leistungen in der Grundsicherung.
Was nun nicht passieren darf, ist, dass durch eine allgemeine Diskussion um ein Klimageld und um einen Ausgleich von Kosten genau dieses Ziel aus dem Blick gerät. Das geht nicht.
Wenn Hubertus Heil also sagt, wir brauchen das Klimageld und auch gleichzeitig von einer Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um 40 oder 50 Euro spricht, dann sagen wir: Nein, so nicht. Wir brauchen – gerade in der aktuellen Situation – nach wie vor eine Erhöhung im Hartz IV auf 678 Euro für einen Single. Auf der Basis kann man dann auch weiter über Klimageld reden.
"Deswegen lehnen wir Christian Lindners Vorstoß ab"
Damit nennen Sie ja zumindest konkrete Zahlen, das haben Sie dem Bundessozialminister voraus. Die FDP übrigens fordert stattdessen eine Steuerreform. Wären Sie dafür zu haben, wäre das für Sie ein gangbarer Weg?
Ulrich Schneider: Im Moment nicht. Dieser Vorschlag entspricht dem, was die FDP stets vorzugsweise ins Auge fasst: Dass man den sogenannten Mittelstandsbauch abbaut, die kalte Progression bekämpft. Und das ist sicherlich auch nachvollziehbar.
Denn der Hintergrund ist, dass gerade bei steigender Inflation jede Lohnerhöhung, die die Gewerkschaften erkämpft haben, von der Progression zum Teil wieder aufgefressen wird. Und wenn dann die Inflation noch steigt, hat man trotzdem weniger Kaufkraft als vorher. Das ist das, was Lindner angehen will. Grundsätzlich habe ich dafür Verständnis.
Folgt nun ein Aber?
Ulrich Schneider: Ja, denn es ist der falsche Zeitpunkt. Im Moment ist schlechterdings durch die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie, durch die Entlastungspakete und auch angesichts der allgemeinen Preissteigerung einfach nicht der finanzielle Spielraum vorhanden, hier diese Steuererleichterungen vorzunehmen. Deswegen lehnen wir Christian Lindners Vorstoß ab.
Letzte Frage, Herr Schneider, wenn wir das Ganze nun mal ein wenig distanziert betrachten: Wir kommen von der einen Krise, der Pandemie, in die nächste Krisensituation mit erheblichen geo- und energiepolitischen Verwerfungen.
Von den letzten Transferleistungen, die von einer Bundesregierung in der Coronakrise veranlasst worden sind, haben in der Coronakrise maßgeblich große Konzerne profitiert, die Lufthansa etwa, während viele Pflegekräfte nach wie vor auf Zahlungen warten. Was lässt Sie hoffen, dass das nun anders läuft?
Ulrich Schneider: Wir haben eine andere Regierung. Sagen wir mal so: Während der GroKo und in der Coronakrise mussten Bezieher von Sozialhilfe und Grundsicherung ein geschlagenes Jahr lang waren, bevor sie überhaupt mal zehn Atemschutzmasken bekommen haben.
Das muss man sich mal vorstellen. Die haben bis zum Januar 2021 gewartet, bevor sie diese Schutzmittel zur Verfügung gestellt bekommen haben. Bei dem großen Konjunkturentlastungspaket im Sommer 2020 sind Grundsicherungsbezieher mit keinem einzigen Euro bedacht worden.
Nun muss man sehen: Wir haben es in der Ampel-Koalition insbesondere durch die Grünen offensichtlich auch eine stärkere Lobby für Menschen, die Grundsicherung beziehen. Das merkt man schon. Und das macht auch Hoffnung, dass sich einiges verändert.
Wir haben durch die Coronakrise und auch angesichts der Preissteigerungen in der Öffentlichkeit plötzlich eine neue Wahrnehmung, wie dreckig es einigen Menschen in Deutschland geht. Diese öffentliche Wahrnehmung kann dazu beitragen, dass die Politik da einfach zielgenauer wird und arme Menschen nicht so systematisch von Entlastungen ausnimmt, wie das in der Großen Koalition der Fall war.