Neuer Wirt, neue Art
Biologen haben eine neue Fruchtfliegenart entdeckt, die durch Hybridisierung entstanden ist
Die Frage, wie neue Arten entstehen, gehört zu den großen Fragen der Biologie. Bei Tieren stellt man sich diesen Vorgang meist so vor, dass sich aus einer Art durch Abspaltung eine zweite entwickelt. Zwei Arten können sich aber auch kreuzen und eine dritte Art hervorbringen. Das nennt man Artbildung durch Hybridisierung. Sie ist besonders in der Pflanzenzucht verbreitet, bei Tieren hielt man Hybridbildung lange für eine Sackgasse. Prägend war hier das Beispiel von Maulesel und Maultier, beides Kreuzungen von Esel und Pferd, die keine neue Art bilden können, weil sie unfruchtbar sind. Wahrscheinlich jedoch trägt die Hybridisierung auch bei Tieren sehr viel häufiger zur Artbildung (Speziation) bei als geglaubt. In der aktuellen Ausgabe der Nature berichten Biologen von einer neuen Fruchtfliegenart, die durch Kreuzung entstanden ist, und zwar vor nicht allzu langer Zeit.
Neben der Frage, welches Ereignis einer Speziation zugrunde liegt, ist auch der ihr zugrunde liegende ökologische Mechanismus von Interesse. Denn die neue Art muss sich von ihren „Eltern“ abgrenzen. Dazu braucht sie eine eigene ökologische Nische und einen Mechanismus, mit dem sie sich reproduktiv isoliert. Ein ständiger Genfluss durch die Eltern würde dazu führen, dass die Arten wieder miteinander verschmelzen, die entstandenen Kreuzungen assimiliert werden.
Der Biologe Dietmar Schwarz und sein Team vom Department of Entomology der Pennsylvania State University dokumentieren nun erstmals einen Fall, bei dem eine neue Tierart durch Hybridisierung entstanden ist, und sie liefern dazu auch noch den zugrundeliegenden ökologischen Mechanismus mit: Die Lonicera-Fruchtfliege wechselte vermutlich mit ihrer „Geburt“ auf eine neue Wirtspflanze; ein Ereignis, das ziemlich sicher in den vergangenen 250 Jahren stattfand.
Diese Datierung fiel den Biologen insofern leicht, als auch Nordamerika Probleme mit eingeschleppten Arten hat. Eine von ihnen ist Lonicera, die Heckenkirsche, die in den vergangenen 250 Jahren aus Asien eingeschleppt wurde und dort wie Unkraut wuchert. Auf ihren Beeren nisten sich bevorzugt Fruchtfliegen ein. Mehr durch Zufall besah sich Schwarz die Beeren der Heckenkirsche auf dem Universitätscampus des State College, Pennsylvania, genauer. Bei einer genetischen Untersuchung stellten er und seine Forschungsgruppe dann fest, dass sie Fruchtfliegen vor sich hatten, deren Genom durch die Kreuzung von zwei anderen Arten entstanden sein musste.
„Die genetische Identifizierung der neuen Art fiel uns insofern leicht, als das Erbgut der Elternarten, der Blaubeer-Fruchtfliege (Rhagoletis mendax) und der Schneebeeren-Fruchtfliege (Rhagoletis zephyria), von der Forschung intensiv untersucht wurde. Wir konnten unsere Schlussfolgerung rasch treffen, weil es recht unwahrscheinlich ist, dass diese spezielle Kombination von Genen, die wir gefunden haben, bei den Eltern übersehen wurde“, erklärt Schwarz im Gespräch mit Telepolis. „Das ist ein ungewöhnlicher Fall, denn nur wenige Tierarten sind so gut untersucht, dass man diese Folgerung ziehen könnte. Es zeigt aber auch, dass man sehr genau hinsehen muss. Das Genom der meisten Lebewesen ist noch nicht sequenziert. Es werden immer nur einzelne Marker betrachtet. Doch man muss mehrere Marker vergleichen, um solche Hybride zu finden.“
Neuer Wirt schafft die Gelegenheit
In einem Punkt bleibt Schwarz allerdings vorsichtig. Es ist noch nicht hundertprozentig erwiesen, dass Lonicera tatsächlich eine eigenständige neue Art ist. Die Biologen konnten bislang nicht völlig ausschließen, dass es noch einen genetischen Austausch mit einer der Elternarten, der Schneebeeren-Fruchtfliege, gibt: „Wir sind sicher, dass Lonicera-Fruchtfliege durch Hybridisierung entstanden ist und wir sind uns auch ziemlich sicher, dass sie eine eigenständige Art ist, doch ein Rest Zweifel bleibt. Bislang haben wir zwar keine tatsächlichen Hybriden der 1. Generation in der Population gefunden. Es scheint also so, als verpaaren sich die Arten weitgehend mit sich selbst und es findet keine ständige Immigration der Elternarten statt. Signifikanterweise haben wir Individuen in der Population, die einer Elternart besonders ähnlich sehen. Die Frage ist also, ob es eingewanderte Eltern sind. Andererseits: Wenn sich das genetische Material zufällig vermischt hat, dann muss man damit rechnen, dass es eine bestimmte Anzahl von Individuen gibt, die so aussehen, wie einer der Eltern, selbst wenn sie total isoliert voneinander lebten.“
Offen ist auch noch die Frage, was sich zuerst vollzog: Hybridisierung oder Wirtswechsel. Die Ergebnisse bislang unveröffentlichter Verhaltensstudien des Biologenteams weisen darauf hin, dass die neue Wirtspflanze den Elternarten die Möglichkeit eröffnete, sich dort zu treffen und zu verpaaren.
Mit seinen Ergebnissen steht für Schwarz nun fest, dass Artbildung durch Hybridisierung bei Tieren öfter stattfindet als vermutet:
In vielen Fällen wird sie übersehen, weil Arten wie die wirtspezifischen Insekten sich äußerlich sehr ähnlich sind. Solche Lebewesen machen aber wahrscheinlich 50 Prozent aller Tierarten aus. Lange Zeit hat man Hybridisierung bei Tieren als eine Sackgasse interpretiert. Doch man erkennt zunehmend, dass auch durch Kreuzung neue genetische Variationen in Populationen eingespeist werden können, die sich an eine neue Umwelt anpassen. Bei unserer Art könnte das auch so sein, weil in unserem Fall die Hybridisierung mit einem Wechsel des Wirts einhergeht.