Neues Schmerzmittel: Anfang vom Ende der Opioid-Ära?

Philipp Hahnenberg

FDA genehmigt Mittel gegen Schmerzen. Das Mittel wirkt anders als Opioide und macht nicht süchtig. Kann es der Befreiungsschlag gegen die Opioidkrise sein?

Für Millionen von Schmerzpatienten weltweit könnte bald eine neue Ära anbrechen. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat das Medikament Journavx zur Behandlung von mittelschweren bis starken Schmerzen bei Erwachsenen zugelassen.

Das Besondere daran: Im Gegensatz zu herkömmlichen Opioiden birgt Journavx weniger bis kein Suchtrisiko, wie Studien nahelegen.

Gezielter Angriff auf Schmerzrezeptoren

Journavx gehört zu einer neuen Klasse von Schmerzmitteln, die seit Jahrzehnten erstmals zugelassen wurde. Es nimmt gezielt einen Teil des schmerzleitenden Systems ins Visier: einen speziellen Natriumkanal namens Nav1.8 auf Nervenzellen, die Schmerzen wahrnehmen.

Durch die Blockade dieses Kanals wird das Schmerzsignal bereits in der Peripherie gedämpft und erreicht das Gehirn gar nicht erst.

Spürbare Wirkung

Laut Herstellerangaben hat Journavx in klinischen Studien die Schmerzen nach Bauch- und Fußoperationen im Vergleich zu Placebo reduziert. Zu den Nebenwirkungen zählen etwa Juckreiz und Muskelkrämpfe.

Journavx soll kurzfristige Schmerzen lindern, etwa nach Verletzungen oder OPs. Für die Langzeitanwendung bei chronischen Schmerzen ist es nicht vorgesehen.

Mainzer Forscher setzen auf Naturstoffe

Einen anderen Ansatz verfolgen Wissenschaftler der Universität Mainz. Sie haben in einer Datenbank mit über 40.000 Naturstoffen nach Substanzen gefahndet, die an Opioidrezeptoren binden, ohne die typischen Opioid-Nebenwirkungen auszulösen.

Fündig wurden sie im vergangenen Jahr beim Pilzstoff Aniquinazolin B aus dem Meerespilz Aspergillus nidulans. Diese und andere Substanzen wurden im Labor getestet.

"Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass dieser Wirkstoff eine ähnliche Wirkung haben könnte wie Opioide, jedoch deutlich weniger Nebenwirkungen aufweist", erklärt Forscherin Roxana Damiescu, Mitarbeiterin der Pharmazeutischen Biologie. Vor einem möglichen Einsatz am Menschen sind aber noch viele weitere Tests nötig.

Doppelter Rezeptorangriff gegen den Schmerz?

Andere US-Forscher setzen dagegen auf einen Wirkstoff namens AT-121, der gleich an zwei Schmerzrezeptoren andockt: am Mu- und am Nociceptin-Rezeptor. In Versuchen mit Rhesusaffen wirkte AT-121 bereits in geringen Dosen 100-fach stärker schmerzhemmend als Morphin. Das Suchtpotential war offenbar nicht nachweisbar, auch Atemlähmungen blieben a us.

Die enge Verwandtschaft von Affen und Menschen lässt hoffen, dass AT-121 auch uns effektiv von Schmerzen befreien könnte, ohne die gefürchteten Opioid-Nebenwirkungen. Ob sich diese Erwartung erfüllt, muss die weitere Forschung zeigen.

Vorsichtiger Optimismus angesagt

Die Zulassung von Journavx ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Opioidkrise. Tausende Patienten mit akuten Schmerzen könnten davon profitieren. Für die Behandlung chronischer Schmerzen sind aber weitere Durchbrüche nötig.

Die Ergebnisse aus Mainz und den USA machen Mut: Gezielte Eingriffe ins Schmerzsystem scheinen machbar, ohne Sucht zu erzeugen. Die Ansätze unterscheiden sich zwar, verfolgen aber ein gemeinsames Ziel: Opioide überflüssig zu machen. Bis das gelingt, ist es noch ein weiter Weg. Doch für Schmerzpatienten besteht berechtigte Hoffnung auf bessere, nebenwirkungsärmere Medikamente.

Bedeutung für die USA

Die Nachricht ist vor allem für die USA bedeutsam: Dort hat sich die Opioid-Krise, die in den späten 1990er-Jahren begann, massiv zugespitzt. Pharmaunternehmen versicherten, dass verschreibungspflichtige Opioide nicht süchtig machen, was zu einer erhöhten Verschreibung führte. Dies führte zu weitverbreitetem Missbrauch, Abhängigkeit und einer Zunahme von Todesfällen durch Überdosierung.

Allein in den USA starben zwischen 1999 und 2019 fast 500.000 Menschen an Opioid-Überdosierungen. Die Krise hat erhebliche soziale und wirtschaftliche Auswirkungen.