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Next Five Minutes (N5M)

Die Gegenwart der taktischen Medien

Die Konferenz Next Five Minutes ist wahrscheinlich das wichtigste Forum zur Medienpolitik in Europa, in dem Aspekte von Kunst, Gesellschaft, Medien und Politik diskutiert werden. N5M II hatte im Januar 1996 in Amsterdam zum zweiten Mal stattgefunden. Der Mythos vom Internet als demokratiepolitischem Allheilmittel wurde bei dieser Gelegenheit gründlich abgeklopft und der Begriff "Netzkritik" erfolgreich in die Diskussion geschleust.

N5M I: Die Historie

Bereits 1993 hatte die Konferenz "Next Five Minutes", Untertitel "Tactical Media", in Amsterdam zum ersten Mal stattgefunden. Der Titel suggeriert den Gedanken an immer jene fünf Minuten, welche die wichtigsten im Mediengeschäft sind, weil es diejenigen sind, die gerade On Air gehen sollen. Die Zeitabschnitte, in denen wir denken können, werden immer kürzer. Und vielleicht ist es, was die Medien betrifft, nicht mehr fünf vor, sondern schon fünf nach zwölf Uhr. Deshalb, so lautete die These vor drei Jahren, sei es wichtig, daß möglichst viele politische Basisgruppen mit Video-Equipment ausgerüstet werden, um eine andere, eigene Medienrealität als die von CNN, Time Warner und Bertelsmann herstellen zu können.

Der V8 Camkorder wurde zum taktischen Medium im Informationskrieg deklariert.

Vertreter politischer Camkorder-Initiativen reisten aus ganz Europa und Übersee nach Amsterdam. Die Öffnung des Ostens war noch neu, und dank der Unterstützung durch das niederländische Außenministerium kam auch eine nicht unbeträchtliche Zahl osteuropäischer Teilnehmer ins Amsterdamer Paradiso. Die Diskussionen waren heiß, Videogerätschaften zahlreich vorhanden und es herrschte jener aktivistische Basisgeist, der danach verlangt, sich in überfüllten Work-Shop-Räumen zusammenzudrängen und eine Luft voll billiger Tabake, hochfliegender politischer Träume und harter technologischer Realitäten begierig einzusaugen.

N5M II - Die Gegenwart der taktischen Medien

URL:N5M [1]

Damals, ja, damals. Inzwischen wissen wir, daß auch eine Handvoll Camkorder in Osteuropa noch keinen medialen Frühling machen, und am besten wissen das wohl die Osteuropäer selbst, mögen sie in Rumänien, Minsk oder Grosny wohnen. So mußte diesmal das Internet als neuer Hoffnungsträger herhalten. N5M 1996 versuchte den Spagat, die alten, sogenannten Narrow-Cast-Medien wie eben Video als Thema beizubehalten, zugleich aber das demokratische Potential des Internet in den Mittelpunkt zu rücken. Damit dieser Schuß nicht sofort nach hinten losgeht und wohl aus weiteren taktischen Überlegungen, lancierten Geert Lovink, einer der Mit-Initiatoren und -Organisatoren, und Pit Schulz den Begriff Netzkritik [2].

Geert Lovink, Foto ( Manu Luksch

Das ganze Jahr 1995 über wurde letztere in der Mailing-List Nettime [3] ausgiebig geübt und das Ergebnis in Amsterdam als 200-seitige, fotokopierte Textbroschüre aufgelegt. Damit wurde zumindest ein inhaltliches Statement gesetzt, das die linke Selbstzufriedenheit im Zaum zu halten vermochte und die Kritik auf eine Ebene jenseits vordergründiger politischer Plattheiten hob. Denn eines läßt sich vorwegnehmen, der Spagat zwischen basisbewegter Videozunft und ebensolcher Web-Euphorie mißlang gründlich, und man hatte bisweilen den Eindruck, daß parallel zwei Konferenzen zu zwei Hauptthemen stattfanden, von den vielen Unterthemen einmal ganz abgesehen. Saßen Video-, Fernseh- und Internet-Aktivisten dann einmal am selben Panel, wurde das ganze Ausmaß der babylonischen Verwirrung offenbar.

Pit Schulz, Foto ( Manu Luksch

Die einen, so wie z.B. die amerikanische Public Access Vorkämpferin DeeDee Halleck, sprachen immer noch von "Media Literacy (ungenau, aber treffend mit Medienkompetenz zu übersetzen) for the underprivileged", während andere wie Richard Babrook [4], Westminster University, rhetorisch geschult über den New-Age-Hippie-Kapitalismus der Wired-Clique herzogen.

Ihr Telepolis-Korrespondent war dann auch dankbar für die Aussage von Rob Gongrijp, Mitbegründer der Digitalen Stadt Amsterdam, der meinte, "there is no automatic utopia".

There is no automatic utopia

. Richtig, weder Camkorder, noch das Internet haben einen Automatismus eingebaut, der automatisch zu einer demokratischeren, freieren Gesellschaft führt, in der die Rechte aller Minderheiten, Klassen und Rassen gewahrt bleiben und Konflikte in friedvoller Weise ausgetragen werden können. Deshalb war es, wie erwähnt, der taktisch richtige Schachzug, die Netzkritik in den Vordergrund zu stellen, da Kritik, selbst im Postmarxismus, die Selbstkritik und damit vielleicht einen Funken wahrer Erkenntnis nicht ausschließt. So wurde im Panel "Desire to be Wired" die Frage diskutiert, warum wir, die große und vielgesichtige Gemeinde der Netz-User, denn eigentlich so verdammt scharf darauf sind, verdrahtet zu sein. In "The Metaphor Machine" ging es darum zu hinterfragen, welche Metaphern eigentlich wirklich geeignet sind, Netzinhalte zu strukturieren und wie sich Metaphern auf die Rezeption von Inhalten auswirken. Im abschließenden Panel zur Netzkritik wäre es dann auch beinahe richtig zur Sache gegangen. Man hatte sich eben auf die "kalifornische Ideologie" eingeschossen, als man feststellen mußte, daß die Zeit wieder einmal nicht reichte und das Herumreichen eines Saalmikros zwar basisdemokratisch wünschenswert ist, den Fluß einer hochstehenden Diskussion mitunter aber äußerst negativ beeinflussen kann.

So bleibt als mitteldürres Fazit: "Europäische Netzkritiker sind sich zumindest dann einig, wenn es darum geht, auf die New-Age Wired-Kolumnisten-Clique einzudreschen". "California Bashing" wurde, und das nicht zu unrecht, zum geflügelten Wort der Konferenz. Nordamerikanische Betreiber von Bürgerprogrammen auf Public Access Kabelkanälen, insbesondere wenn sie weit über vierzig und weiß sind, träumen immer noch davon, den Gettokindern endlich den Umgang mit Videokameras beizubringen, während sie ihre eigenen Gestaltungstechniken aus dem letzten Public Enemy Video abkupfern (Anmerkung: Public Enemy sind schwarze Rap-Musiker und kommen aus dem Ghetto).

Die ganz harte Fraktion der Neo-Netz-Marxisten, allesamt aus Deutschland stammend, wollte erst gar nicht anreisen, nachdem sie vernommen hatten, daß in Rotterdam, wo der zweite Teil von N5M stattfand, eine Installation von Knowbotic Research [5] gezeigt wurde. Diese Kunst nämlich lehnen sie ab, weil sie politisch unkorrekt auf teure SGI-Workstations zurückgreift. Leuten dieser Denkschule ist zu verdanken, daß die Diskussion wieder auf einen Stand vor 1969 zurückgedreht wird, indem die Frage erhoben wird, ob Kunst im politischen Kampf überhaupt eine Rolle spielen darf/kann/soll.

Media Overkill bei N5M, Foto ( Manu Luksch

Und sonst? Der Milchkaffee im Café de Balie schmeckte ausgezeichnet. In den Pausen konnte man hochgerüstete Fernsehteams beobachten, wie sie schwierige Übungen mit Videostativen und Leuchten ausführten. Der Aufzeichnungswahnsinn in Form von Aufnahmegeräten aller Art, ob Video, Audio oder Foto, ging um, und jeder interviewte jeden, da selbstverständlich jeder Teilnehmer für irgendein Magazin schreibt oder für irgendeine Fernsehstation berichtet. Im Sinne der journalistischen Ökonomie ging man dazu über, die gegenseitigen Interviews gleichzeitig abzuhalten, benutzte dafür die zahlreich vorhandenen Nebenräume und nannte das Nebenkonferenzen. Seltsame Spezies der Branche, wie z.B. die medienschaffenden Auslandsösterreicher, nutzten die Gelegenheit zu einem konspirativen Treffen mit den letzten noch in Österreich werkelnden Medienaktivisten. Ebenso wie die mazedonischen Medienkunstkuratoren, der lettische Sysop-Verband und die australische Aborigine-Internet-Frauengruppe, die sich seit Peking auf permanenter Konferenz-Weltreise befindet.

Und die Künstler? Schließlich hat es sich die Konferenz auf die Fahnen geheftet, Technologie, Politik UND Kunst diskutieren zu wollen. Diese gingen mit eingezogenen Schultern umher, um von den Neomarxisten nicht erkannt und ihres politisch unkorrekten Tuns überführt zu werden, oder lungerten gar in benachbarten Coffee-Shops herum. Denn Amsterdam ist immer eine Reise wert, insbesondere wenn sich das mit einem Besuch von N5M verbinden läßt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3454031

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.dds.nl/~n5m
[2] https://www.heise.de/tp/features/Terminal-SITESeeing-Tour-3410851.html
[3] http://www.desk.nl/~nettime/zkp/000.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Die-kalifornische-Ideologie-3229213.html
[5] http://www.khm.uni-koeln.de/people/krcf