Nice guy versus ice guy

Im gestrigen Fernsehduell, dessen Bedeutung im Vorfeld hochgepuscht worden war, heimste John Edwards vor Vizepräsident Dick Cheney einen deutlichen Erfolg ein

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Wenige Tage nach der ersten TV-Wahlkampfdebatte zwischen US-Präsident George Bush und seinem demokratischen Herausforderer John Kerry (Kerry bleibt im Rennen), in deren Folge beide Präsidentschaftskandidaten Umfragen zufolge wieder annähernd gleichauf lagen, lieferten sich ihre Stellvertreter am Dienstagabend (Ortszeit) ein Fernsehduell. Erneut setzen beide Wahlkampfteams auf den "post debate spin".

Dick Cheney und John Edwards während der Debatte. Foto: Kerry-Edwards 2004

Der 51-jährige Senator John Edwards hatte kurz nach dem 90-minütigen Schlagabtausch an der Case Western Reserve University in Cleveland/Ohio Blitzumfragen zufolge mit einem zweistelligen Vorsprung vor Vizepräsident Dick Cheney die Nase weit vorn.

Etwas voreilig hatte ABC als erstes TV Network Cheney mit 43 Prozent zum Sieger erklärt und Edwards 35 Prozent gegeben. Doch eine Stunde nach der Debatte hieß es kleinlaut, die Blitzumfrage sei aufgrund einer überproportionalen Mehrzahl von Zuschauern zustande gekommen, die registrierte Republikaner seien. Unisono verkündeten dagegen mehrere große Sender, Edwards habe sich sehr viel besser in Szene setzen können als Cheney. Bei CBS hatte Edwards 41 und Cheney 28 Prozent (31 hielten beide für ebenbürtig), ähnliche Zahlen lieferten CNN und NBC sowie Yahoo.

Im medialen "spin" vor der Debatte war das Rededuell als möglicherweise "wahlentscheidend", so die Washington Post, ja historisch aufgeblasen worden, so ganz anders als die Fernsehdebatten von Vizepräsidenten mit ihren Herausforderern der Vergangenheit - nicht zuletzt, weil dem Haudegen und "eigentlichen" Wie?e-Haus-Chef und "ice guy" Cheney der zumindest außenpolitisch unerfahrene "nice guy" Edwards gegenüberstand und dies einen nicht nur ästhetischen Kontrast versprach.

Das Bush-Cheney-Team hatte im Vorfeld der Debatteninszenierung den Kerry-Edwards-Leuten drei Debatten mit dem Präsidenten zugestanden, aber durchgesetzt, dass Cheney seinen bevorzugten Diskussionsstil - sitzend, in unmittelbarer Reichweite zu seinem Gegenüber - einsetzen konnte. Edwards, der als Anwalt gern argumentierend und mit vollem Körpereinsatz in Gerichtssälen punktet, musste klein beigeben.

Die erste Hälfte des Rededuells wurde dominiert von einem teils deftig geführten Streit über den Irakkrieg. Cheney machte keine Abstriche am Kriegsbeschluss und -verlauf und versuchte, ihn als Erfolg und im Zusammenhang mit dem "Antiterrorkrieg" zu verkaufen. Edwards griff Cheney mehrmals direkt an mit dem Verweis, nicht Saddam Hussein habe die USA am 11. September 2001 angegriffen. Statt Al-Qaida und Osama bin Laden nachzugehen, habe Washington Kräfte aus Afghanistan abgezogen, das inzwischen zu einer Hochburg von Warlords und Drogenbaronen geworden sei. Cheney konterte mit dem Verweis, in Afghanistan stünden "zum ersten Mal in der Geschichte" freie Wahlen an. Der Irak Saddam Husseins sei ein den Terror unterstützender Staat gewesen, die Gesellschaft befinde sich auf dem Weg zur Demokratisierung.

Wiederholt tauschten beide die bekannten Anwürfe aus dem laufenden Wahlkampf aus. Cheney attackierte Edwards und Kerry des politischen Opportunismus, und Edwards griff Cheney wegen seiner Verbindungen zu Halliburton an. In Sachen Iran, der "unter den Augen der gegenwärtigen Regierung" zum Terrorstaat Nummer eins geworden sei, forderte der Demokrat eine Verschärfung von Sanktionen.

In der zweiten Hälfte der Debatte glitten Cheney und Edwards oftmals in den wenig originellen Politslang von Wahlkämpfern ab und handelten Themen wie Steuerkürzungen, Gesundheitspolitik, Arbeitsplätze, Homosexuellen-Ehe und AIDS ab. Edwards, der sein "nice guy"-Strahlen gelegentlich abstreifte und auf Cheneys Kerry-Bashing mit Bush-Bashing reagierte, ohne auf die Vorwürfe einzugehen, stellte sich überraschend als streitbarer und zahlenkundiger Gegner des seit 35 Jahren im politischen Geschäft mitmischenden Cheney dar - was ihm Sympathien einbrachte.

Sowohl das Bush-Team als auch die Kerry-Mannschaft übten sich unterdessen weiter im post-debate-spin. Am Dienstagmorgen waren die Anhänger per E-Mail ausgefordert worden, sich auf Blogs, Radiotalkshows, bei örtlichen Zeitungen und in Internetforen mit den gegnerischen Argumenten auseinander zu setzen. In einem Fall war dies schon während der Debatte erfolgreich. Nachdem Cheney Edwards Faulheit im Senat vorgeworfen hatte - er habe den Senator auf dem Debattenpodium zum ersten Mal zu Gesicht bekommen, forschten eifrige Blogger umgehend nach und gruben Dokumente aus, die beweisen, dass Cheney Edwards tatsächlich persönlich bekannt war. Die rapid response war schon kurz vor Debattenende auf der Wahlkampfseite der Demokraten zu lesen.

Doch der "spin" wird sich allein aus Zeitgründen kaum in tiefgründigeren Analysen niederschlagen. Denn Schlag auf Schlag geht es weiter: Am Freitagabend stehen sich erneut Bush und Kerry gegenüber.