"Nicht auf den Baum klettern!"
- "Nicht auf den Baum klettern!"
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Im Hambacher Forst herrscht gespenstische Stille, RWE beginnt mit der Abriegelung des Geländes
Dort, wo noch vor einer Woche das Baumhausdorf "Kleingartenverein" lag, versucht eine Aktivistin, ein Transparent in einen Baum zu hängen. Sie kommt kaum einen Meter hoch, schon rennen zwei Polizisten herbei. "Nicht auf den Baum klettern!", brüllen sie, als hätten sie eine schwere Straftat vor sich. Sie wollen offenbar um jeden Preis verhindern, dass wieder gebaut wird - jetzt, zwei Tage nach dem Abriss des letzten Baumhauses.
An anderen Stellen im Hambacher Forst versuchen einige der Besetzer weiterhin, neue Anlagen zu errichten, doch der Elan, der noch am Wochenende herrschte, scheint dahin. Sie haben kaum noch Material, seit die Polizei bei einer Razzia im an den Wald grenzenden Wiesencamp alles beschlagnahmt hat. Das Camp selbst können die Beamten nicht räumen - die Wiese gehört RWE nicht, und der Besitzer duldet es.
Nachdem die Polizei in den letzten Tagen teils gewaltsam die Aktivisten, die sich betont friedlich gaben, aus dem Wald gezerrt hat, wurde inzwischen der Großteil der Einheiten abgezogen. Nur an Waldwegen, Zugängen und einigen strategisch wichtigen Punkten im Forst stehen noch Fahrzeuge und Polizisten. Ihre Helme haben die meisten inzwischen abgenommen.
Die letzten Barrikaden sind geräumt
Es herrscht gespenstische Stille. Am Montag hatte die Polizei die letzten, teils meterhohen neuen Barrikaden geräumt und die Baumstämme, aus denen sie bestanden, sofort gehäckselt, damit sie nicht wiederverwendet werden können. Menschen spazieren schweigend durchs Unterholz, fast andächtig bleiben sie dort stehen, wo die Siedlungen waren.
Zu den ehemaligen Baumhaussiedlungen führen planierte Wege, Spaziergänger laufen mit blauen Müllsäcken umher und sammeln die kleinteiligen Überreste ein, die von dem zeugen, was hier in den letzten Wochen geschah.
Die Besetzer hatten via Twitter darum gebeten, dass die Besucher beim Aufräumen helfen. Eigentlich könnte es ihnen egal sein, jetzt, wo der Wald ohnehin an RWE übergeben wird. Doch sie machen weiter. Es ist eine Geste, die vielsagend ist. Eine Respektbezeugung vor der Natur.
An einem Baumstamm lehnt eine Glastür - auch sie war Teil eines Baumhauses. In dem Bäumen ringsum hängen noch in großer Höhe zerfetzte Planen, Textilien, sogar eine dünne Matratze. Zwischen Polizisten und Spaziergängern spielt eine Band - Songs über den freien Willen und die Bedeutung der Natur. Das ist alles richtig, aber es wirkt auch arg bemüht.
Als eine Trompetenspielerin den Beamten erzählt, dass ihr Sohn nun nicht mehr Polizist werden wolle, und dass die Scheinwerfer, die RWE gerade aufstellt, um nachts den Wald auszuleuchten, die Besetzer mit Elektrosmog traktiert, wird es unfreiwillig komisch und einige Zuhörer wenden sich ab.
Der Wald wird zum RWE-Betriebsgelände
Neben den Scheinwerfern hämmern RWE-Mitarbeiter Betreten-verboten-Schilder in die Erde. In den nächsten Tagen soll, so ein Sprecher des Unternehmens, ein Graben um den Wald gezogen werden. Der Wald soll zum Betriebsgelände erklärt und jedes Eindringen als Hausfriedensbruch geahndet werden.
Der Tag der deutschen Einheit war wohl der letzte Tag, an dem Besucher problemlos die Polizeikontrollen passieren und den Hambacher Forst betreten konnten. Dass die Aktivisten es dennoch weiter versuchen werden, ist anzunehmen. "Noch ist der Wald nicht verloren", sagt einer mit Blick auf den gigantischen Bagger, der sich wenige hundert Meter hinter dem Waldrand, umringt von Polizei und RWE-Security, durchs Erdreich frisst.
Ab dem 15. Oktober kann die Rodung beginnen, und RWE hat auch bereits verkündet, dass die Vorbereitungen laufen. Einen konkreten Termin wollte das Unternehmen aber nicht nennen.
Die Fehler der Politik
Dass es so weit kommen konnte, liegt auch an der Politik im Düsseldorfer Landtag, die wissenschaftliche Einschätzungen, nach denen die Kohle unter dem Hambacher Forst gar nicht mehr gebraucht wird, ignorierte.
Selbst die Grünen haben der Waldvernichtung vor zwei Jahren zugestimmt - am kommenden Sonntag nun wollen sie am Waldrand einen Mini-Parteitag abhalten. Ein Zeichen, das viel zu spät kommt.
Dass von Innenminister Herbert Reul (CDU) kein Einlenken zu erwarten war, kündigte sich schon an, als er sich in seiner Zeit in Brüssel als Verfechter der Atomkraft und Klimawandel-Skeptiker gerierte. Dass Reul dann auch noch behauptete, die Aktivisten hätten angesichts des Todes eines Bloggers im Wald "Scheiß drauf, Räumung ist nur einmal im Jahr!" gerufen, warf erneut ein Schlaglicht darauf, wie der Innenminister Stimmung macht.
Die Aktivisten widersprachen ihm ebenso wie taz-Korrespondentin Anett Selle, die vor Ort war. Man darf von einem Minister erwarten, dass er Informationen sorgfältig prüft, bevor er sie in die Welt posaunt.
Man darf dabei nicht vergessen: Es ist eben jener Herbert Reul, der bei der Debatte um die Abschiebung des Islamisten Sami A. noch die hanebüchene Forderung aufgestellt hatte, die Justiz müsse "im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen".