Nichts ist schöner als Bausünden
- Nichts ist schöner als Bausünden
- Am Anfang war die Ente
- Herr, vergib uns, wie auch wir vergeben unsern Nachbarn
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Die Architekturhistorikerin Turit Fröbe hat den Bogen heraus, wie Bausünden zu erkennen sind. Irren ist inbegriffen
Was ist Kitsch? Das ist "the unanswered question", seit es Kitsch gibt. Seit wann gibt es Kitsch? Die Herkunft des Wortes ist ebenso rätselhaft wie die Sache selbst. "Engelein umschweben unser täglich Brot", heißt es in der Verszeile eines geheimnisvoll raunenden Gedichtes, das unfreiwillig einen emotionalen Overkill im Schilde führt. Versüßt Kitsch unseren Alltag, Nutella für den Geist? Oder ist Kitsch das Negative, das von der hohen Kunst verbannt ist? Ein Sündiges, wenn nicht gar ein die Ratio umschiffendes Böses?
Das Negative, das im Kitsch "Fleisch" geworden ist, hat wider Erwarten eine positive Funktion. Es hilft, Kunst zu definieren. Wer Kitsch sieht, weiß was Kunst ist. Das Hässliche und das Schöne bedingen einander, gewinnen durch ihre jeweilige Negation Gestalt. Der Philosoph Karl Rosenkranz veröffentlichte schon 1853 eine "Ästhetik des Hässlichen", wenn auch noch ganz klassisch das Schöngute obsiegte. Die Kunstfiguren, die uns im Alltag begegnen, sind Hybride. Sie reiben sich so lange an ihrem Gegenteil, bis sie sich an ihm entzünden.
Nichts ist schöner als Bausünden (25 Bilder)
Leider gibt es nicht mehr die eine Kunst, die eine Ästhetik. Wo wird das offenkundiger als in der Architektur? Schon ein kleiner Stadtspaziergang nötigt uns, zigmal den Maßstab zu wechseln, wenn wir über Gartenzäune hinweg oder an Fassaden hoch blicken. Obwohl wir glauben, über einen sicheren ästhetischen Kompass zu verfügen. Die Dualismen von schön und hässlich, gut und böse sind gesprengt, aber ohne diese Leitplanken würde einst fest Gebautes im Namen der Innovation real gesprengt, um einer neuen Architektur Platz zu machen, die von Anfang an mit dem Makel der Nivellierung behaftet ist. Abrissbirnen verheißen nichts Gutes.
Die Architekturhistorikerin Turit Fröbe sucht der Verunsicherung, der Umwertung aller Werte beizukommen, indem sie das gegensätzlich scheinende Paar von Kunst und Kitsch auf einen kleineren Maßstab herunterbricht. Der "Kunst der Bausünde" geht Fröbe in mittlerweile zwei Bildbänden nach.1
Fröbe löst den philosophisch begründeten Gegensatz in die Unterscheidung von guten und schlechten Bausünden auf. Dazu muss sie in der Bausünde bohren, bis sie positive Fragmente findet. Bausünden sind etwas Zwiespältiges. Man könnte sagen, Fröbe löst die angewiderte Verdammung des Falschen, des Unästhetischen, in Leichtigkeit und Heiterkeit auf. Das erhöht die Einsichtsfähigkeit in Architektur und Städtebau.
Gute Bausünden verpassen dem Betrachter eine homöopathische Schocktherapie. Wir können jahrelang an einem Gebäude vorbeigehen, aber die "kognitive Dissonanz" gebietet unserem Auge, reflexhaft darüber hinwegzusehen und nur an Objekten hängenzubleiben, die das Stadtmarketing als schön etikettiert hat. Plötzlich aber, ausgelöst durch mehr zufällige Impulse, springt uns die Bausünde ins Auge, und wir fragen uns: "Wie konnte das passieren?" Ein Blickunfall sozusagen.
Fröbe spricht in einem Einzelfall von einem "Gebäude wie eine Sehstörung", und meint es durchaus positiv. Bausünden ragen aus dem Meer der Mittelmäßigkeit heraus. Sie sind ein Vergehen am vermeintlich guten Geschmack. Ein Indiz, um gute Bausünden zu erkennen, ist das Unverständnis und die Ablehnung, auf die sie stoßen - zunächst stoßen, denn das Prädikat Bausünde ändert sich je nach Zeitgeschmack. Entsprechend bewegt sich die Bandbreite der Beurteilungen zwischen "Geht gar nicht" und "Hat doch etwas."
Gute Bausünden verfügen über eine hohe Bildqualität, Wiedererkennbarkeit und einen ureigenen Charme, der sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Sie sind nicht austauschbar. Als besonders eigenwillig lobt Fröbe die nach Plänen von Gottfried Böhm 1977/78 errichtete Karstadt-Filiale in Braunschweig. Eine ausladende skulpturale Geste findet sich auch an etlichen Parkhäusern der Nachkriegszeit. Gute Bausünden sind jedoch so schwer zu finden wie gute Architektur.
Wenn man sich also dafür entscheidet, die guten Bausünden zu erhalten, ließen sich damit auch automatisch all jene Bauten retten, die für Bausünden gehalten werden, weil sie vielleicht gerade nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprechen, in Wirklichkeit aber gute Architektur sind.
Turit Fröbe
Bausünden sagen viel über die Stadt aus, in der sie zu finden sind. Sie wirken zwar wie Fremdkörper, aber die jeweilige Kommune liefert in ihren Charakteristika den Nährboden, in dem die guten Bausünden wurzeln. Braunschweigs Baupolitik ist experimentierfreudig, während Mönchengladbach im Mittelmaß versinkt. Die schlechten Bausünden weisen auf die Misere der Städte insgesamt hin. Sie decken das Übel auf. Fröbe hat jedoch ihr Urteil über Mönchengladbach inzwischen revidiert. So kann es einer Bausündenforscherin ergehen.
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