Niger: Was wirklich hinter dem Putsch steht – und warum nun eine Eskalation droht
Der Umsturz in Niger hat sich schon lange abgezeichnet. Wie werden Europa und die USA reagieren? Und welche Szenarien sind nun wahrscheinlich? Eine Einschätzung.
Am 26. Juli führte die Präsidentengarde in Niger einen Staatsstreich gegen den amtierenden Präsidenten Mohamed Bazoum an. Eine kurze Konfrontation zwischen den bewaffneten Kräften des Landes endete damit, dass alle Teilstreitkräfte der Absetzung Bazoums und der Einsetzung einer Militärjunta unter der Führung des Kommandanten der Präsidentengarde, General Abdourahamane "Omar" Tchiani, zustimmten.
Niger ist damit nach Burkina Faso, Guinea und Mali das vierte Land in der afrikanischen Sahelzone, das einen Staatsstreich erlebt hat.
Die neue Regierung kündigte an, Frankreich nicht mehr zu erlauben, nigrisches Uran abzubauen. Eine wichtige Entscheidung, denn jede dritte Glühbirne in Frankreich wird mit Atomstrom aus Uran des Abbaugebiets Arlit im Norden Nigers betrieben.
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Die Regierung Tchiani hat die militärische Zusammenarbeit mit Frankreich aufgekündigt, was bedeutet, dass die 1.500 französischen Soldaten (wie schon in Burkina Faso und Mali) ihre Koffer packen müssen. Zur Airbase 201, der US-Einrichtung in Agadez, tausend Kilometer von der Hauptstadt Niamey entfernt, gab es hingegen keine öffentliche Stellungnahme.
Die Airbase 201 ist die größte Drohnenbasis der Welt und von zentraler Bedeutung für die US-Operationen in der Sahelzone. Die US-Truppen wurden inzwischen angewiesen, vorerst auf dem Stützpunkt zu bleiben, die Drohnenflüge wurden jedoch ausgesetzt.
Der Staatsstreich richtete sich zwar gegen die französische Präsenz in Niger, aber diese antifranzösische Stimmung hatte keine Auswirkungen auf die US-Militärpräsenz im Land.
Intervention der Ecowas
Bereits wenige Stunden, nachdem sich der Erfolg des Putsches abgezeichnet hatte, verurteilten die wichtigsten westlichen Staaten – allen voran Frankreich und die USA – den Staatsstreich und forderten die Wiedereinsetzung Bazoums, der von der neuen Regierung sofort verhaftet wurde.
Weder Frankreich noch die Vereinigten Staaten schienen jedoch bereit, die Führung bei der Reaktion auf den Staatsstreich zu übernehmen. Anfang des Jahres waren die französische und die US-amerikanische Regierung über einen Aufstand im Norden Mosambiks besorgt, der die Anlagen des Erdgasfeldes von Total Exxon vor der Küste von Cabo Delgado beeinträchtigte.
Anstatt französische und amerikanische Truppen zu entsenden, was die Bevölkerung gespalten und die antiwestliche Stimmung verstärkt hätte, einigten sich Frankreich und die USA auf die Entsendung ruandischer Truppen nach Mosambik.
Ruandische Truppen drangen in die nördliche Provinz Mosambiks ein und schlugen den Aufstand nieder. Doch anstatt Ruanda in Niger einmarschieren zu lassen, hoffte man, dass die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas ihre Truppen entsenden würde, um Bazoum wieder unter Kontrolle zu bringen.
Einen Tag nach dem Putsch verurteilte die Ecowas den Staatsstreich. Das Bündnis, dem 15 westafrikanische Staaten angehören, hat in den vergangenen Jahren Burkina Faso und Mali wegen der dortigen Putsche aus seinen Reihen ausgeschlossen; auch Niger wurde wenige Tage nach dem Putsch von der Ecowas suspendiert.
Das 1975 als Wirtschaftsblock gegründete Bündnis hatte bereits 1990 beschlossen, Friedenstruppen in das Zentrum des liberianischen Bürgerkrieges zu entsenden, obwohl es über kein entsprechendes Mandat verfügte.
Seitdem hat die Ecowas ihre Friedenstruppen in mehrere Länder der Region entsandt, darunter Sierra Leone und Gambia. Kurz nach dem Staatsstreich in Niger verhängte das Bündnis ein Embargo gegen das Land, das das Recht auf grundlegenden Handel mit seinen Nachbarn einschränkte, die Guthaben der nigrischen Zentralbank bei regionalen Banken einfror und die Auslandshilfe stoppte, die vierzig Prozent des nigrischen Haushalts ausmacht.
Die brisanteste Erklärung war, dass die Ecowas "alle notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung" ergreifen werde. Eine von der Ecowas gesetzte Frist bis zum 6. August verstrich, weil sich die Gruppe nicht auf die Entsendung von Truppen über die Grenze einigen konnte.
Die Ecowas forderte die Aufstellung einer "Eingreiftruppe", die in Niger einmarschieren könne. Daraufhin erklärten die Mitgliedsstaaten, dass sie sich am 12. August in Accra, Ghana, treffen würden, um ihre Optionen zu diskutieren. Dieses Treffen wurde aus "technischen Gründen" abgesagt.
Massendemonstrationen in wichtigen Ecowas-Ländern wie Nigeria und Senegal gegen eine mögliche militärische Invasion der Bündnismitglieder in Niger haben die verantwortlichen Politiker davon abgehalten, eine Intervention zu unterstützen.
Es wäre naiv zu glauben, eine Intervention sei nicht möglich. Die Ereignisse überschlagen sich und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Ecowas nicht doch noch vor Ende August eingreifen wird.
Und das sind die Gründe für den Umsturz
Als die Ecowas die Möglichkeit einer Intervention in Niger erörterte, erklärten die Militärregierungen von Burkina Faso und Mali, dass ein solcher Schritt als "Kriegserklärung" nicht nur gegen Niger, sondern auch gegen ihre Länder gewertet würde.
Am 2. August reiste General Salifou Mody, einer der Hauptverantwortlichen für den Staatsstreich in Niger, nach Bamako (Mali) und Ouagadougou (Burkina Faso), um die Lage in der Region zu erörtern und ihre Reaktion auf eine mögliche militärische Intervention der Ecowas – oder des Westens – in Niger zu koordinieren.
Zehn Tage später reiste General Moussa Salaou Barmou nach Conakry (Guinea), um den Chef der dortigen Militärregierung, Mamadi Doumbouya, um Unterstützung für Niger zu bitten. Es wurde bereits vorgeschlagen, dass Niger – eines der wichtigsten Länder der Sahelzone – an den Gesprächen über eine Föderation mit Burkina Faso, Guinea und Mali teilnimmt.
Dies wäre ein Bündnis von Ländern, in denen Putsche stattgefunden haben, um als prowestlich geltende Regierungen zu stürzen, die die Erwartungen der zunehmend verarmten Bevölkerung nicht erfüllt haben.
Der bisherige Verlauf des Staatsstreichs in Niger spiegelt zum Teil ein Phänomen wider, das die linke Journalistin Ruth First bereits 1970 in ihrem bemerkenswerten Buch The Barrel of the Gun: Political Power in Africa and the Coup d'états als die "Ansteckung des Staatsstreichs" bezeichnet hat.
In den letzten dreißig Jahren hat das politische Leben in den Sahel-Ländern erheblich an Dynamik verloren. Parteien, die in der Tradition nationaler Befreiungsbewegungen standen, selbst sozialistische Bewegungen (wie die Partei von Bazoum), sind zu Lobbys der Eliten geworden und verfolgen eine westliche Agenda.
Der Krieg, den Frankreich, die USA und die NATO 2011 gegen Libyen führten, ermöglichte es dschihadistischen Gruppen, von Libyen nach Südalgerien und in die Sahelzone zu gelangen. Heute wird fast die Hälfte Malis von Al-Qaida nahestehenden Gruppen gehalten.
Das Eindringen dieser Kräfte diente den lokalen Eliten und dem Westen als Rechtfertigung, die ohnehin eingeschränkten Gewerkschaftsrechte weiter zu beschneiden und die Linke zu bekämpfen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Führer der etablierten politischen Parteien rechts oder mitte-rechts stehen. Wichtig ist, dass sie von Paris und Washington abhängig sind. Sie sind, wie man vor Ort sagt, zu Handlangern des Westens geworden.
In Ermangelung verlässlicher politischer Instrumente nutzen Angehörige der marginalisierten ländlichen und kleinbürgerlichen Schichten die Präsenz ihrer Kinder in den Streitkräften, um die Führung zu übernehmen. Personen wie Burkina Fasos Hauptmann Ibrahim Traoré (geb. 1988), der in der ländlichen Provinz Mouhoun aufwuchs, und Oberst Assimi Goïta (geb. 1988), der aus der Viehmarktstadt und Militärhochburg Kati stammt, sind typische Vertreter dieser breiten Klassenfraktionen.
Reaktion auf IWF, Ausbeutung und Militärpräsenz
Ihre Gemeinden haben unter den harten Sparprogrammen des Internationalen Währungsfonds, dem Diebstahl ihrer Ressourcen durch westliche multinationale Konzerne und den Zahlungen für die westlichen Militärgarnisonen im Land schwer zu leiden.
Abgehängte Bevölkerungsgruppen, die keine wirkliche politische Plattform haben, die für sie spricht, haben sich hinter ihren jungen Männern in der Armee versammelt. Es handelt sich um "Colonel's Coups" – Putsche der einfachen Leute, die keine andere Wahl haben – und nicht um "General's Coups" – Putsche der Eliten,
Deswegen wird der Staatsstreich in Niger von Niamey bis zu den abgelegenen Kleinstädten an der Grenze zu Libyen mit Massenkundgebungen verteidigt.
Als ich vor der Pandemie in diese Regionen reiste, war bereits klar, dass die antifranzösische Stimmung keinen anderen Ausdruck fand als die Hoffnung auf einen Militärputsch, der Führer wie den 1987 ermordeten Thomas Sankara aus Burkina Faso an die Macht bringen würde.
Hauptmann Traoré trägt wie Sankara eine rote Baskenmütze, pflegt den linksoffenen Diskurs Sankaras und imitiert sogar Sankaras Diktion. Es wäre falsch, diese Männer als Linke zu bezeichnen, denn sie treibt nur die Wut über das Versagen der Eliten und der westlichen Politik. Sie sind nicht mit einem ausgefeilten Programm an die Macht gekommen, das auf linken politischen Traditionen beruht.
Die nigrische Militärführung hat ein 21-köpfiges Kabinett unter der Führung von Ali Mahaman Lamine Zeine gebildet, einem Zivilisten, der in einer früheren Regierung Finanzminister war und für die Afrikanische Entwicklungsbank im Tschad gearbeitet hat. Das Kabinett wird von führenden Militärs geleitet. Es bleibt abzuwarten, ob die Ernennung dieses zivil geführten Kabinetts die Reihen der Ecowas spalten wird.
Die westlichen imperialistischen Mächte – insbesondere die USA, die Truppen in Niger stationiert haben – würden es sicherlich nicht gerne sehen, wenn dieser Putsch anhalten würde.
Europa hat – unter französischer Führung – die Grenzen seines Kontinents von nördlich des Mittelmeers bis zu einer Linie südlich der Sahara verschoben. Die Sahel-Staaten sind in einem Projekt namens G-5 Sahel zusammengeschlossen.
Nun, da in drei dieser Staaten – Burkina Faso, Mali und Niger – antifranzösische Regierungen an der Macht sind und in den beiden anderen – Tschad und Mauretanien – Unruhen drohen, wird sich Europa auf seine Küstenlinie zurückziehen müssen.
Die Sanktionen werden verschärft, um den neuen Regierungen die Massenunterstützung zu entziehen. Vor allem aber wird die Möglichkeit einer militärischen Intervention wie ein Damoklesschwert über der Region hängen.
Vijay Prashad ist ein indischer Historiker, Redakteur und Journalist. Er ist Chefkorrespondent des Portals Globetrotter. Er ist Herausgeber von LeftWord Books und Direktor von Tricontinental: Institute for Social Research.
Dieser Artikel wurde von Globetrotter auf Englisch und von unserem Partnerportal Globaler auf Spanisch veröffentlicht.
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