No Future in China
Chinas Punk- und Rockszene
Punk war die Antwort auf Flower Power, Desillusion sein Realitätsbild; die Geisteshaltung „No Future!“ kam hart und kompromisslos: Einst in Amerika entstanden, erfasste die Jugendbewegung England im Sturm, triumphierte dort, ging ein und feiert 30 Jahre nach „God Save The Queen“ eine Wiedergeburt in Chinas Hauptstadt Peking. Der Dokumentarfilm Bejing Bubbles zeigt das Leben einer musikalisch geprägten Subkultur der Zehnmillionenstadt – und die Kontraste.
Den westlichen Light-Versionen des Punks - dem entschärften Irokesenschnitt (alias Beckham-Welle), Reißverschlusslook und Zungenpiercings - kann Bian Yuan, Sänger der Band Joyside, nichts abgewinnen. Auch Punkpopper wie Green Day gehen an ihm vorbei. Bians Helden kommen aus den 70ern und sein Idol heißt Jim Morrison. Mit zerrissenen Jeans, Plastiksonnenbrille, langen Haaren, Kippe im Mund und Freundin im Arm schlendert er durch Pekings Armenviertel, weit außerhalb des Stadtkerns. Vorbei an fliegenden Obsthändlern und hässlichen Plattenbauten. Immer wieder blickt er zur Kamera, lächelt.
Vor dem Eingang des Hochhauses, in dem er wohnt, macht er halt, winkt dem Filmteam aus Deutschland. Mit breitem Grinsen zeigt Bian auf ein Cannabispflänzchen, mickrig klein, zwischen Unkraut und Pflastersteinen. Bians Punkband Joyside sind Stars einer Gegenkultur, die der aufstrebenden Wohlstandsgesellschaft Chinas den Finger zeigt.
People are strange. Most people are strange in the world. But in China strange people are more. Because most of them can’t understand what I am doing. They’ll never know
Bian Yuan, 27, Sänger der Band Joyside
Während Chinas Wirtschaft steil nach oben geht, sind die Musiker von „Bejing Bubbles“ nicht am vielen Geld interessiert. Von Arbeiten halten Joysides Mitglieder eh nichts. Sie pumpen sich Geld bei Eltern, Verwandten und Freunden, zahlen davon Miete und gerade so viel Nahrung, wie sie brauchen. Tagsüber hängen sie ab, spielen Gitarre, bekritzeln die Wände, singen, summen, dösen, rauchen, trinken und quatschen. „Wenn es im Sommer zu warm ist“, sagt Bian, „schlafe ich auf dem Balkon.“ Dort ließe es sich aushalten. Sein Gitarrist pennt derweil im Zelt, das mitten im Raum errichtet ist und die Englandflagge trägt.
Ihre Inspiration finden Joyside in westlichen Sounds: Die Plattensammlung besteht aus Chuck Berry, den Pogues, The Fall, Leonhard Cohen, den Beatles oder AC/DC. Es gibt etliche Clubs in ihrem Viertel, wo sie sich, frei von staatlicher Autorität, allabendlich austoben. Das Bild dieser Gegend ist ein Beisammensein unterschiedlich geprägter Armut. Da spazieren Punker mit stahlharten Stachelhaaren neben Mauleseln mit Anhänger.
Die Band, deren erstes Album „Booze At Neptune's Dawn“ am 11. Mai in Deutschland erscheint und die parallel hier tourt, hat eine feste Fanbase, für die sie auf die Bühne geht, die sie umjubelt, mit ihr den Chorus grölt, rockt, pogt und Bier säuft. Doch Pekings Untergrund von heute hat noch mehr zu bieten, was das ungeschönte Zeitdokument kurzweilig erzählt. So philosophiert die Bluesband Sha Zi über ihre Mitmenschen, Politik und das Denken an sich oder die Band T9 erklärt Einflüsse mongolischer Traditionals, wie den Kopfstimmengesang, auf modernen chinesischen Poprock.
Auch die Mädels von Hang on the Box haben einen alternativen Lebensstil, den sie mit Stolz als krassen Kontrast zur konsumorientierten Kultur ihrer Mitmenschen führen. Während sie den Secondhand-Laden ihres Freundes durchstöbern, laufen die Antihelden ihrer Punk-, Elektro- und Wave-Musik, die an Peach erinnert, durch blinkend saubere Einkaufszentren des Stadtkerns und zahlen ein Zigfaches für ihre Kleidung.
Die meisten Leute sind heute Materialisten und Opportunisten. Sie sind so künstlich und würden alles fürs Geld machen. Sie entwickeln keine kritische Meinung mehr.
Wang Yue, 25, Sängerin der Band Hang on the Box
Den Dokumentarfilmern Susanne Messmer und Georg Lind ist ein frischer Einblick in die Punk- und Rockszene Pekings gelungen. Die Momentaufnahme spiegelt einen offiziell verschmähten Teil der chinesischen Großstadtjungkultur wider, der unerwartete Ähnlichkeiten mit seinem westlichen Pendant der 70er Jahre hat. Für die Aufnahmen von „Bejing Bubles – Punk und Rock in Chinas Hauptstadt“ sind die Regisseure dreimal nach Peking gereist, haben ihre Protagonisten aufgespürt, sich mit ihnen angefreundet und sie vier Monate lang begleitet. Tag und Nacht waren sie mit ihnen unterwegs - in düsteren Kneipen wie in Karaokebars. Sie haben sich den Platz des himmlischen Friedens zeigen lassen und an öffentlichen Orten gefilmt, wo es eigentlich verboten ist.
Das Resultat zeigt ein Gesicht Chinas, das man so noch nicht kennt, eine sympathische Szene von jungen Musikern. Ein nicht weniger interessantes „Nebenprodukt“ des Filmes vermittelt, wie befreiend die Wirkung des sich lockernden Griffs der seit 60 Jahren eisern regierten Volksrepublik auf ihre Bevölkerung sein kann.