Noam Chomsky: Illegitime Herrschaft in den USA wird immer extremer

Die demokratischen Institutionen in den USA werden zunehmend ausgehöhlt, sagt der renommierte US-Kritiker Noam Chomsky. Bild: Asadr1337 / CC BY-SA 4.0

Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter bezeichnet die USA als "eine Oligarchie mit unbegrenzter politischer Bestechung". Die Ausübung illegitimer Macht ist in den letzten Jahren noch extremer geworden (Teil 1)

"Illegitime Autorität" wird oft als ein Merkmal nicht-demokratischer Gesellschaften und gescheiterter oder zusammengebrochener Staaten angesehen. In Wirklichkeit kann illegitime Machtbefugnis jedoch auch in so genannten demokratischen Gemeinwesen wie dem der Vereinigten Staaten weit verbreitet sein.

Der Oberste Gerichtshof der USA ("Supreme Court") ist beispielsweise befugt, Gerichtsbeschlüsse zu erlassen, die dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen und sogar die Menschenrechte verletzen. Die öffentliche Politik wird überwiegend von wirtschaftlichen Eliten und mächtigen Interessengruppen beeinflusst, während die breite Öffentlichkeit wenig oder gar keinen unabhängigen Einfluss hat, wie wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben. Die Legitimität der politischen Entscheidungsgewalt in den USA ist in der Tat sehr zweifelhaft, wenn wir die Dynamik der Entscheidungsfindung und die Regeln, die dabei gelten, betrachten.

In dem folgenden Interview gibt uns Noam Chomsky – ein öffentlicher Intellektueller, der von Millionen von Menschen als nationaler und internationaler Bezugspunkt angesehen wird – eine Tour de Force mit weitgehend unbekannten Fakten der US-Rechtsgeschichte, während er gleichzeitig aufdeckt, wie viele unserer Regierungsinstitutionen und Führungskräfte illegitime und undemokratische Macht ausüben.

Wir sollten davon ausgehen, dass jede Machtbefugnis unrechtmäßig ist, es sei denn, sie kann sich rechtfertigen. In der Tat liegt die Beweislast bei den Befürwortern von Autorität, nicht bei denen, die sie in Frage stellen, wie Chomsky oft betont, wenn er das Thema Machtbefugnis diskutiert.

Chomsky ist emeritierter Professor für Linguistik am MIT und derzeit Professor an der Universität von Arizona. Er hat rund 150 Bücher in den Bereichen Linguistik, politische und Gesellschaftstheorie, politische Ökonomie, Medienwissenschaft, US-Außenpolitik und internationale Angelegenheiten veröffentlicht.

Die Fragen stellt der Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou. Das ist der erste Teil des Interviews mit Noam Chomsky. Der zweite Teil erscheint in wenigen Tagen. Das Original in Englisch erschien auf der Nachrichtenseite Truthout.

Das Verfassungsgericht in den USA ist eine reaktionäre Institution

Noam, in den letzten paar Jahrzehnten haben wir einen Anstieg illegitimer Machtausübung erlebt. Dabei denke ich nicht so sehr an den zunehmenden Einfluss transnationaler Konzerne auf demokratische Prozesse, sondern an die Entscheidungen einer Handvoll ernannter oder gewählter Personen, die das Leben von Millionen von Menschen beeinflussen. So wurden beispielsweise einige Mitglieder des Obersten Gerichtshofs von Präsidenten, die nicht einmal die Mehrheit der Stimmen bei Wahlen erringen konnten, auf Lebenszeit ernannt, und sie fällen oft Entscheidungen, die den Präferenzen der Mehrheit der Wähler zuwiderlaufen. Ein weiteres Beispiel sind die Mitglieder des US-Kongresses, die Gesetzesentwürfe zur Verbesserung des wirtschaftlichen Wohlergehens der Bürger und zum Schutz der Umwelt blockieren und stattdessen lieber Gesetze einführen, die den Interessen mächtiger Lobbygruppen dienen. Können Sie uns etwas zu diesem höchst erbarmungswürdigen Zustand der politischen Landschaft in den USA sagen?

Noam Chomsky: Der Oberste Gerichtshof ist traditionell eine reaktionäre Institution. Es gibt manchmal eine Abweichungen davon, aber die ist selten. Die wichtigen Entscheidungen des sogenannten "Warren Court" (historische Phase, in der der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs Earl Warren hieß, Telepolis) haben die Freiheit und die Grundrechte erheblich gestärkt, aber nicht von sich aus. Es gab zivilgesellschaftliche Bewegungen, vor allem afroamerikanische, aber in gewissem Maße auch andere, die es möglich machten, dass die Entscheidungen des Warren Court umgesetzt wurden.

Der heutige reaktionäre "Roberts Court" (nach dem Vorsitzenden Richter John Roberts benannt, Telepolis) kehrt mit seinen nachdrücklichen Bemühungen, diese Abweichung rückgängig zu machen, zur Norm zurück. Das ist vor allem der Hinterhältigkeit und dem betrügerischen Vorgehen der führenden antidemokratischen Person bei den Republikanern zu verdanken, die keine echte politische Partei mehr ist: Mitch McConnell.

All dies ist bekannt oder sollte bekannt sein. Ich werde auf einiges davon zurückkommen.

Weniger bekannt ist, wie weit es zurückreicht. Ein Teil der Geschichte ist bekannt, aber nicht alles. Es ist bekannt, dass die enorme Macht des Obersten Gerichtshofs auf die Entscheidung von Richter John Marshall im Rechtsstreit Marbury gegen Madison zurückgeht, der die Justiz zum Schiedsrichter über die Bedeutung des Gesetzes machte, wobei seine Befugnisse weit über das hinausgingen, was in der Verfassung vorgesehen ist. Seine Ernennung durch John Adams (einer der Gründerväter und Präsidenten der Vereinigten Staaten, Telepolis) und seine eigenen unmittelbaren Ernennungen und Entscheidungen dienten dazu, die neu gewählte Regierung Jefferson zu untergraben.

Ähnlich wie bei McConnell.

Marshalls Stellungnahmen hatten großen Einfluss auf die Ausgestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung, wie sie heute ausgelegt wird. Sein Einfluss auf das Gericht ist singulär.

All das ist wiederum hinreichend bekannt.

Vom Rassismus der Richter bis zu den neuen Totalitaristen im Kongress

Weit weniger bekannt sind die Annahmen, die hinter Marshalls wichtigen Entscheidungen stehen. Tatsächlich wurden diese erst kürzlich in der Rechtswissenschaft durch die wichtige Arbeit von Paul Finkelman aufgedeckt, der die erste systematische Studie über Marshalls Entscheidungen zu einem zentralen Element der amerikanischen Geschichte durchgeführt hat: die Sklaverei, die wahrscheinlich aus den Geschichtslehrplänen gestrichen werden wird, wenn die Republikaner wieder an die Macht kommen und ihre totalitären Initiativen umsetzen können, um zu bestimmen, was in den Schulen nicht gelehrt werden darf.

Finkelman untersucht "Chief Justice John Marshalls persönliches und politisches Engagement für die Sklaverei, als lebenslanger Käufer und Verkäufer von Menschen, und seine tiefe Feindseligkeit gegenüber der Anwesenheit von freien Schwarzen in Amerika". Anschließend zeigt er auf, dass Marshall in seinen Gerichtsurteilen

stets die Sklavenhalter unterstützte, wenn Schwarze behaupteten, frei zu sein. Ebenso versäumte er es immer wieder, die bundesstaatlichen Verbote der amerikanischen Beteiligung am afrikanischen Sklavenhandel oder, nach 1808, das absolute Verbot der Einfuhr neuer Sklaven in die Vereinigten Staaten durchzusetzen.

Wie Finkelman betont, standen Marshalls harte und brutale Urteile "im Einklang mit seiner lebenslangen persönlichen und politischen Unterstützung der Sklaverei".

Abgesehen von den unmittelbaren Auswirkungen auf das Leben derjenigen, die zu seiner Zeit und in der gesamten amerikanischen Geschichte nicht als Menschen behandelt wurden, war Marshall kein gewöhnlicher Richter. Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass er "vielleicht der einflussreichste Oberste Richter des Supreme Court" ist.

Es ist hier nicht der richtige Ort, um die lange und oft schmutzige Geschichte des Gerichtshofs aufzuarbeiten. Es reicht, wenn wir uns daran erinnern, dass sie kaum mit den patriotischen Slogans übereinstimmt, die uns die neuen Totalitaristen in Washington zu skandieren auffordern.

Was den Kongress betrifft, so ist die Geschichte gemischt. Ein konstantes Merkmal ist der Dienst an den Reichen und Mächtigen, der sich auf die von Ihnen erwähnten Mittel stützt. Die zivilgesellschaftlichen Bewegungen haben sich manchmal als wirksame Gegenkraft erwiesen, mit großen Auswirkungen auf die Zivilisierung des Landes.

Die Zeit des New Deal von den 30er bis zu den 60er Jahren ist der jüngste Beispiel dafür. Obwohl die Wirtschaftskreise hart daran arbeiteten, die Maßnahmen des New Deal abzubauen, erhielten er starke politische Unterstützung, auch vom letzten wirklich konservativen Präsidenten, Dwight Eisenhower. So sagte er einmal, dass

sollte irgendeine politische Partei versuchen, die Sozialversicherung und die Arbeitslosenversicherung abzuschaffen und die Arbeitsgesetze und Landwirtschaftsprogramme zu streichen, würde man von dieser Partei in unserer politischen Geschichte nichts mehr hören. Natürlich gibt es eine winzige Splittergruppe, die glaubt, dass man diese Dinge tun kann. . . . [Aber] ihre Zahl ist verschwindend gering und sie sind dumm.

Eisenhowers Haltung veranschaulicht, wie weit seine Partei in den letzten Jahren gesunken ist und inzwischen den Begriff "Konservatismus" diffamiert.

Ein aktuelles Beispiel für das Abdriften der Partei nach rechts ist ihre Liebesaffäre mit der rassistischen "illiberalen Demokratie" von Viktor Orbáns Ungarn. Diese Liebesaffäre beschränkt sich nicht nur auf Tucker Carlson und Co., sondern geht weit darüber hinaus. So trifft sich beispielsweise die American Conservative Union im Juni in Budapest, um einen europäischen Führer zu feiern, der beschuldigt wird, die Demokratie und die Rechte des Einzelnen zu untergraben. Die Anschuldigung trifft zu, aber Orbán betrachtet es als Lob, nicht als Beschuldigung, und die "Konservativen" scheinen dem zuzustimmen.

Eisenhowers Vorhersage war falsch. Die "Splittergruppe" – die leider weit davon entfernt war eine Splittergruppe zu sei – wartete nicht nur in den Startlöchern. Sie nagte an den Maßnahmen, die der Bevölkerung dienten, und das oft mit Erfolg. In den späten Carter-Jahren war ihr Einfluss deutlich spürbar. Die Demokraten hatten zu dem Zeitpunkt so gut wie jede echte Sorge um die arbeitende Bevölkerung aufgegeben und wurden immer mehr zu einer Partei der wohlhabenden Schichten.

Republikaner: Der neoliberale Angriff auf die Arbeiterklasse und die Mittelschicht

Reagan öffnete die Türen für diejenigen, die Eisenhower bitterlich verurteilt hatte, und leitete damit den neoliberalen Angriff auf die breite Bevölkerung der letzten 40 Jahre ein, der immer noch in vollem Gange ist. Es ist hier nicht der Ort, um noch einmal auf die Auswirkungen dieses Angriffs einzugehen.

Die Studie der Rand Corporation, über die wir gesprochen haben, zeigt, dass diese Programme in 40 Jahren fast 50 Billionen Dollar von den Mittelschichten und der Arbeiterklasse zu den Superreichen "transferiert" haben – eine ziemlich beeindruckende Leistung politischen Diebstahls.

Die republikanische Partei kann ihren Enthusiasmus kaum zügeln, wenn es darum geht, den Angriff mit zynisch-populistischen Slogans zu kaschieren.

All das spielt sich vor unseren Augen ab, ganz offen. Die Republikaner, die GOP, im Kongress gehorchen Gewehr bei Fuß den Befehlen McConnells, die aus den Obama-Jahren übernommen wurden. Es gibt nur ein Ziel: die Macht zurückzuerlangen. Das bedeutet, dass das Land unregierbar ist und dass jede Gesetzgebung, die der Bevölkerung zugutekommen könnte, blockiert werden muss. Wenn nichts vorangeht, kann man den Demokraten die Schuld geben – von denen sich einige an diesem Schwindel beteiligen.

Das auffälligste, aktuelle Beispiel ist das staatliche Investitionsprogramm Build Back Better, eine durchaus respektable Initiative, die den Durchschnittbürger_innen sehr geholfen hätte, in der Form jedenfalls, wie sie den Schreibtisch des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses im Senat Bernie Sanders (Demokrat) verließ. Unter dem McConnell-Prinzip wurde es Schritt für Schritt abgeschmettert, so dass jetzt nicht einmal mehr Fetzen davon übrig sind.

In der Zwischenzeit hat die GOP-Führung ihre roten Linien festgelegt: (1) die Steuerbehörde IRS zu streichen, damit sie sich nicht in den massiven Steuerbetrug der wichtigsten GOP-Wählerschaft, der sehr Reichen, einmischen kann; (2) die einzige gesetzgeberische Errungenschaft der Trump-Jahre nicht anzutasten, das, was Joseph Stiglitz als "Gesetz zur Entlastung der Parteispender von 2017" bezeichnet hat, ein großformatiges Geschenk an die sehr Reichen und den Unternehmenssektor, das allen anderen in den Rücken fällt.

Dieses Reichengeschenk schadet auch den eigenen Wählern der Rechten, die die GOP seit Nixon mühsam bei der Stange hält, indem sie die Aufmerksamkeit von ihren eigentlichen Programmen auf "kulturelle Themen" lenkt, die christliche Nationalisten, weiße Rassisten, Evangelikale, begeisterte Waffenliebhaber und Teile der Arbeiterklasse ansprechen, die von neoliberalen Programmen verwüstet und von den Demokraten lange im Stich gelassen wurden.

Wiederbelebung der hässlichsten Elemente der US-Geschichte

Das Gericht hat dazu beigetragen, die hässlichsten Elemente der Geschichte wiederzubeleben, die wir eigentlich überwinden sollten. Die wohl ungeheuerlichste Entscheidung des Roberts-Gerichts war die Demontage des Voting Rights Act mit lächerlichen Begründungen (Shelby), was dem Süden die Möglichkeit gab, Jim Crow (Rassengesetze, Telepolis) wieder einzuführen.

Mit Citizens United wurde die Buckley-Doktrin, wonach Geld Redefreiheit ist, ausgeweitet – was vor allem für die Superreichen praktisch ist –, so dass die gesellschaftlichen Schichten, die in der Lage sind, Wahlen zu kaufen, praktisch freie Hand haben.

Als Nächstes steht das Urteil Roe v. Wade auf dem Prüfstand. Die Auswirkungen würden extrem sein. Ein Recht, das von den meisten Frauen und vielen anderen als fest verankert betrachtet wird, soll ausgehebelt werden. Das ist historisch. Die Aushöhlung des Wahlrechts für Schwarze durch die Shelby-Entscheidung ist teilweise ein Präzedenzfall.

Der durchgesickerte Entwurf von Richter Alito basiert in erster Linie auf dem Grundsatz, dass Gerichtsentscheidungen dem Vorrang geben sollten, was "tief in der Geschichte und Tradition dieser Nation verwurzelt ist". Und er hat völlig Recht, dass die Rechte der Frauen diese Bedingung nicht erfüllen. Die Gründer des Staates übernahmen das britische Gewohnheitsrecht, demzufolge eine Frau Eigentum ist, das ihrem Vater gehört und auf den Ehemann übergeht.

Ein Argument für die Verweigerung des Wahlrechts für Frauen war schon früh, dass diese Regelung gegenüber unverheirateten Männern ungerecht wäre, da ein verheirateter Mann zwei Stimmen hätte, seine eigene und die seines "Eigentums". (Die berüchtigte Drei-Fünftel-Menschen-Regelung gewährte dieses Recht den Sklavenhaltern.) Erst 1975 sprach der Oberste Gerichtshof den Frauen die vollen Persönlichkeitsrechte zu und gewährte ihnen das Recht, als "Gleichgestellte" an Bundesgerichten teilzunehmen.

Diese ultrareaktionäre richterliche Lehre ist, wie andere auch, recht flexibel. Ein Beispiel dafür ist Antonin Scalias Entscheidung in der Rechtssache Heller, mit der Präzedenzfälle, die über ein Jahrhundert galten, einfach umgestoßen wurden. Nun führte man den persönlichen Waffenbesitz als heiliges Gesetz ein.

In seiner Stellungnahme gelang es Scalia, all die reiche "Geschichte und Tradition" zu ignorieren, die sich hinter dem Dekret verbirgt, dass "eine gut regulierte Miliz, die für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden darf."

Die Geschichte und die Tradition sind kaum ein Geheimnis, sie reichen von den Gründern bis zum 19. Jahrhundert, obwohl sie natürlich keine Bedeutung für die amerikanische Geschichte haben: (1) die Briten kommen; (2) Milizen werden benötigt, um die indigenen Nationen anzugreifen, zu vertreiben und auszurotten, sobald die britische Beschränkung der Expansion aufgehoben war, was wohl der Hauptgrund für die Revolution war – obwohl sie später durch eine effizientere Tötungsmaschine, die US-Kavallerie, ersetzt wurde

(3) Sklaven mussten gewaltsam unter Kontrolle gebracht werden, eine Bedrohung, die durch Sklavenaufstände in der Karibik und im Süden immer ernster wurde; (4) bevor das konstitutionelle System fest etabliert war, bestand die Sorge, dass das britische Modell aufgezwungen werden könnte (wie Alexander Hamilton vorgeschlagen hatte) und zu einer Tyrannei führen könnte, gegen die sich das Volk zur Wehr setzen müsste.

Wie Waffenbesitz zum heiligen Gesetz erklärt wurde

Diese "Geschichte und Tradition" als Begründung für Waffenbesitz hatte im 20. Jahrhundert keine Bedeutung mehr, zumindest nicht in halbwegs rational argumentierenden Kreisen. Aber in der Geschichte und Tradition war sie sicherlich vorhanden, sogar ein zentraler Teil der Geschichte, der aber von den Republikanern in ihrem Marsch Richtung Abgrund gelöscht werden soll.

All dies geschieht mit Hilfe der reaktionären Justiz, die von McConnell und seinen Verbündeten sorgfältig aufgebaut wurde, mit dem Ziel, so etwas wie die Eisenhower-Abweichung für lange Zeit zu verhindern.

Michael Waldman, Präsident des Brennan Center for Justice und Spezialist für den zweiten Verfassungszusatz, stellt fest, dass das Verfassungsgericht, seit Scalia Waffenbesitz zum heiligen Recht adelte, indem er "Geschichte und Tradition" ignorierte, zum Missfallen der extremen Rechten wenig zur Waffenfrage zu sagen gehabt hat.

Aber das, so Waldman, könnte sich bald ändern. Der Supreme Court befasst sich aktuell mit einem Fall, der ein New Yorker Gesetz aus dem Jahr 1913 aufheben könnte, das das Tragen einer verdeckten Waffe an öffentlichen Orten einschränkt. Aufgrund von Alitos Äußerungen in der mündlichen Verhandlung und der bekannten Positionen von Thomas vermutet Waldman, dass das Urteil von 1913 gekippt werden könnte. Wir werden dann eine Welt genießen, in der verdeckte Waffen überall zu finden sind.

Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass die außer Kontrolle geratene Waffenkultur größtenteils eine Schöpfung der Public-Relations-Industrie ist, in der Tat einer ihrer ersten großen Triumphe. Eine aufschlussreiche Geschichte, die von Pamela Haag in The Gunning of America eingehend untersucht wurde: Business and the Making of American Gun Culture.

Gewehre wurden in der Tat für bestimmte Zwecke verwendet, wie eben angeführt. Bauern konnten eine alte Muskete benutzen, um Tiere, die das Vieh angreifen, zu verscheuchen. Für sie war ein Gewehr ein Werkzeug, wie eine Schaufel. In der Zwischenzeit entwickelten die Waffenhersteller moderne Waffen, aber für das Militär, nicht für die Bürger_innen, die daran wenig Interesse hatten.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeichnete sich ein Problem ab. Nach dem Bürgerkrieg brach der heimische Markt für moderne Rüstungsgüter weitgehend zusammen. Der Frieden in Europa zerstörte einen weiteren Markt. Die US-Armee war nicht in größere Kriege verwickelt. Die aufstrebende PR-Industrie wurde für die Sache gewonnen. Sie entwarf das aufregende Bild eines Wilden Westens, den es nie gab, mit tapferen Cowboys und Sheriffs, die schnell zur Tat schritten, und dem Rest der bekannten Fantasien, die später von Hollywood und dem Fernsehen ausgeschlachtet wurden.

Der Subtext lautete, dass Ihr Sohn unbedingt ein Winchester-Gewehr haben möchte, damit er ein richtiger Mann sein kann, und dass seine Schwester eine kleine rosa Pistole haben muss. Das funktionierte hervorragend, wie viele von uns aus Kindheitserinnerungen, wenn nicht sogar darüber hinaus, bestätigen können.

Die Mythologie wurde später als Teil der großartigen Propagandakampagne der Republikaner ausgebaut, um von ihrer tatsächlichen Politik und ihren Verpflichtungen abzulenken. Scalias radikale Abkehr von "Geschichte und Tradition" machte dann den Zweiten Verfassungszusatz zum einzigen Teil der Verfassung, der inbrünstig verehrt wird, der sogar einem Großteil der Bevölkerung bekannt ist.

Copyright: Truthout.org, Wiederabdruck nur mit Genehmigung. Übersetzung: David Goeßmann.