Nord-Stream-Attentat: Spur nach Kiew erhärtet sich, Berlin schweigt

Verfahren in der Ukraine gegen Ex-Agenten. Bundesregierung und CDU halten an Moskau-These fest. Liegt das in deutschem Interesse?

Der ehemalige ukrainische Geheimdienstler Roman Tscherwynsky steht im Mittelpunkt schwerwiegender Vorwürfe im Kontext des Nord-Stream-Angriffes. Laut gemeinsamen Recherchen des Nachrichtenmagazins Spiegel und der US-amerikanischen Tageszeitung Washington Post soll er die Attacke auf die Pipelines koordiniert haben. Dem Ex-Spion, der sich serzeit in Untersuchungshaft befinden soll, drohen zwölf Jahre Gefängnis aufgrund eines anderen mutmaßlichen Deliktes.

Unabhängig von seiner mutmaßlichen Verwicklung in das Nord-Stream-Attentat wirft die ukrainische Justiz Tscherwynsky vor, einen russischen Kampfpiloten zum Überlaufen haben bewegen zu wollen. Die Aktion, die offenbar nicht abgesprochen war und die Tscherwynsky mutmaßlich auf eigene Faust durchführte, endete im Desaster: Die Russen griffen den vereinbarten Treffpunkt an, mehrere ukrainische Militärs starben.

Im April 2023 sei Tscherwynsky festgenommen worden, schreibt nun der Spiegel: "Wegen der Sache mit dem Piloten und dem bombardierten Flugplatz". Seine Unterstützer seien hingegen überzeugt, Teile der Regierung wollten sich an dem Agenten rächen. Der Grund: Er habe sie öffentlich kritisiert. "Auch sein Anwalt spricht von einem politischen Verfahren", heißt es im Spiegel-Bericht.

Zu einem Gerichtstermin sei Tscherwynsky unlängst nicht erschienen. Ein Kiewer Gericht habe einen Termin im Oktober überraschend abgesagt und dies mit "nicht zugestellten Dokumenten" begründet. Im Flur hätten am Tscherwynskys Unterstützer am geplatzten Prozesstag Schilder hochgehalten, und gegen die "Diktatur" in Kiew polemisiert sowie "Schande" gerufen.

Im Zuge der Ermittlungen zum katastrophal gescheiterten Anwerbeversuch des russischen Piloten seien die Ermittler auf Tscherwynsky mögliche Rolle beim Nord-Stream-Attentat im September 2022 gestoßen.

Nach dem Bericht des Spiegels soll der Ex-Agent nach Kriegsbeginn in einer Freiwilligen-Einheit der ukrainischen Spezialkräfte gedient haben. Die Einheit sei für Spezialoperationen hinter feindlichen Linien zuständig und in die militärischen Kommandostrukturen des Landes eingebunden gewesen.

"Aus Sicherheitskreisen heißt es, es sei kaum vorstellbar, dass nicht zumindest der ukrainische Generalstab im Vorfeld von der Nord-Stream-Attacke gewusst habe", so der Spiegel.

Mit der Recherche von Spiegel und Washington Post wird die vor allem in Deutschland stark verbreitete Theorie einer russischen Sabotage unterminiert. Telepolis hatte schon früher geschrieben, es wirke "angesichts der sich verdichtenden Spuren in die Ukraine (…) geradezu skurril, wie deutsche Verteidigungspolitiker an der Moskau-These festhalten".

So habe der CDU-Politikers Roderich Kiesewetter im öffentlich-rechtlichen Programm gesagt: "Ich halte es schon für naheliegend, dass es Russland gewesen sein könnte."

Dabei hatte der Journalist Friedrich Küppersbusch enthüllt, dass Kiesewetter offenbar bereits vor seiner Sommerpause 2022 als stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums darüber informiert war, dass die Ukraine einen Anschlag auf die Pipelines in die EU geplant habe.

Nach der Sommerpause explodierten die Leitungen, die russisches Erdgas nach Westeuropa beförderten. So hatte es schon damals die Washington Post unter Berufung auf geleakte US-Geheimdokumente berichtet, was auch Telepolis aufgegriffen hatte.

Zu den neuen Spuren in die Ukraine haben sich bislang weder der Oppositionspolitiker Kiesewetter noch Vertreter der Ampel-Koalition geäußert.

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