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Normalität und Law and Order in der Praxis

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Griechenland: Vor dem Gedenktag am 17. November gibt es ein "Crescendo der Polizeigewalt"

"Die Durchsetzung des Gesetzes, wie Sie wissen und wie wir es auf der ganzen Welt wünschen würden, wäre schön, wenn das mit der Überreichung von Rosen gekoppelt wäre. Das hat sich als nicht durchsetzbar erwiesen. Die Durchsetzung des Gesetzes beinhaltet für diejenigen, die sich nicht beugen, Elemente von Zwangsmaßnahmen. Ich drücke es süß aus", sagte Agrarentwicklungsminister Makis Voridis am Mittwoch in einer Vormittagssendung der TV-Station Skai.

Auf Nachfragen versicherte der Minister, dass die körperliche Gewalt der Polizisten gegen Bürger durchaus zu den zu erwartenden Zwangsmaßnahmen zählt.

Polarisierung vor dem Gedenktag

Mit diesen Worten umschreibt Voridis ein Crescendo der Polizeigewalt gegen alles, was von den Regierenden als links eingestuft wird. Ein Anlass für die zahlreichen diesbezüglichen Diskussionen ist die Schließung der Wirtschaftsuniversität ASOE bis zum 17. November. Alljährlich am 17. November gedenken Hochschulen und Schulen des von der damaligen Militärdiktatur am 17. November 1973 blutig niedergeschlagenen Studentenaufstandes.

Regelmäßig kommt es bei den von Demonstrationen begleiteten Gedenkveranstaltungen zu Ausschreitungen. Es ist müßig darüber zu diskutieren, wie diese Ausschreitungen jedes Mal wie auf Bestellung starten. Tatsache ist, dass es bei den Demonstrationen einer kleinen Gruppe von Randalierern, sowie der Polizei immer wieder gelingt, Ausschreitungen eskalieren zu lassen.

Dass nun ausgerechnet Voridis bei der Verteidigung von Polizeigewalt gegen Studenten vorprescht, hat einen gewissen Beigeschmack. Denn schließlich begann der heutige Minister der Nea Dimokratia seine politische Karriere als Jugendführer der Partei des ehemaligen Diktators Georgios Papadopoulos.

Voridis machte auch zu seinen Studienzeiten keinen Hehl aus seinem, nach heutigen Angaben des Ministers, früheren Hang zum Faschismus. Als junger Student patrouillierte er zusammen mit einem Schlägertrupp mit einer offen getragenen Axt auf der Jagd nach linken und sozialdemokratischen Kommilitonen.

Geschlossene Universitäten und Polizeigewalt

Vor der Schließung der ASOE wurden nach Angaben der Polizei im Keller des Universitätsgebäudes Materialien gefunden, welche die Herstellung von Molotow-Cocktails ermöglichen. Was genau gefunden wurde, das hatte die Polizei fotografisch dokumentiert und an die Presse weitergegeben. So gefährlich, wie verbal kommuniziert, sahen die Funde nicht unbedingt aus [1].

Die Polizei präsentierte Glasflaschen von alkoholischen Getränken, bei denen die Etiketten der Hersteller von der Polizei per Bildbearbeitung unkenntlich gemacht wurden. Darüber hinaus wurden Helme und Holzstöcke, sowie einige Hammer und Meißel gefunden.

Die ministerielle Staatssekretärin für Arbeit und Soziales, Domna Michailidou, meinte jedoch: "Als Bewohnerin des Zentrums und als Bürgerin dieses Landes finde ich es unvorstellbar, dass es eine polizeiliche Untersuchung innerhalb einer öffentlichen Bildungsbehörde gibt und dass sie diese Kriegsgerät findet, so wie es gefunden wurde. Es ist schrecklich, dass es zu diesem Thema sogar Kontroversen gibt. Es kann doch nicht möglich sein, dass Bürger Zugang zu Waffen zu erhalten, zu denen die syrische Armee Zugang hat! Darüber können wir nicht diskutieren."

Das Narrativ der Politiker der Nea Dimokratia zielt eindeutig darauf ab, Angst zu schüren. Demgemäß hat die Polizei ein konspiratives Waffenlager ausgehoben. Die Nea Dimokratia, so heißt es seitens der Partei und der ihr gegenüber positiv eingestellten Medien, würde die Normalität im Land wiederherstellen.

In der bis zum Mittwoch abgehaltenen Parlamentsdebatte zum neuen Strafrechtskodex, der den erst im Juni von Syriza verabschiedeten Kodex ablösen soll, fielen seitens der Nea Dimokratia oft die Worte "Terrorist" und "Terrorismus", wenn es um die Verschärfung der Strafe für den Besitz von zur Herstellung von Molotow-Cocktails fähigem Material ging. Dass die Molotow-Cocktails relativ einfach mit vielen Haushalten zugänglichen Bestandteilen hergestellt werden können, wurde nicht erwähnt.

Die in Griechenland von einigen Autonomen geworfenen Brandsätze bestehen in der Regel nur aus mit Benzin gefüllten Flaschen und einem Stoffzünder. Sie entsprechen damit kaum den Molotow-Cocktails, mit denen die finnische Armee den sowjetischen Panzern erheblichen Schaden zufügte.

Darüber hinaus gibt es um die Universität herum, und auch auf dem Campus-Gelände zahlreiche Drogendealer. Diese wurden auch nach der Schließung der ASOE weiterhin beobachtet, während die Polizei Studenten, oder solche die nach Ansicht des jeweiligen Polizisten wie Studenten aussehen, drangsaliert, wann immer diese im Umfeld der ASOE auftauchen.

Vorgehen gegen Studenten

Trotz der vom Rektorat verordneten Schließung hatten am Montag zahlreiche Studenten versucht, ins Universitätsgelände zu gelangen. Dabei wurde ein Vorhängeschloss zerstört. Sofort griff die Polizei ein und ließ mehrere Dutzend, wortwörtlich auf den Eingangsstufen der Universität festgesetzte Studenten, stundenlang mit erhobenen Händen warten.

Weitere, den Festgesetzten mit einer zunächst friedlichen Demonstration zu Hilfe eilende Studenten wurden von der Einsatzpolizei brutal niedergeknüppelt. Ein ähnliches Schicksal traf Fotoreporter und Journalisten, welche die Geschehnisse für Reportagen verfolgen wollten.

Bis auf die "Griechische Lösung" von Kyriakos Velopoulos verurteilten sämtliche Oppositionsparteien das brutale Vorgehen. Einige Parteien, wie die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) wollten vor Ort Flugblätter mit einer Protestnote verteilen. Sie wurden unter der Androhung der Festnahme vom Platz verwiesen.

Zahlreiche Zeugenaussagen belegen neben dem offenbar überzogenen Gewalteinsatz der Polizei auch weitere, bedenkliche Aktionen einzelner Polizisten. Diese waren in den letzten sieben Tagen nicht nur auf die Straßen rund um die ASOE beschränkt. So prangerte der Abgeordnete der Partei von Yanis Varoufakis, MeRA25, Kleon Grigoriadis im Parlament an, dass einer der Polizisten seiner Tochter in den Schritt gefasst habe, und ihr drohte "beim nächsten Mal zerreiße ich deine Muschi".

Lambros Goulas, ein Mitbegründer der anarchistischen Gruppe Rouvikonas wurde Tage zuvor in Exarchia ohne konkreten Haftbefehl oder Vorliegen einer Straftat auf offener Straße von Einsatzpolizisten aufgegriffen, entkleidet und mit Schlägen traktiert. Nach den Angaben von Goulas, schob ihm einer der Polizisten nach dem Herunterreißen der Unterhose einen Schlagstock in den Darmausgang.

Vorgehen gegen ein Tanzlokal

Polizeigewalt gab es auch bei weiteren Ereignissen der letzten Tage. In der Nacht vor der Aktion bei der ASOE stürmten in Zivil gekleidete Beamte, die sich nicht auswiesen, ein Tanzlokal im Athener Viertel Gazi. Sie zwangen sämtliche Anwesenden, knapp 300 an der Zahl, mit erhobenen Händen niederzuknien. Die Lokalbesucher wurden danach einzeln einer Leibesvisitation unterzogen.

Gefunden wurden bei der Aktion laut Polizeiangaben 3,5 Gramm Kokain, 1,7 Gramm Heroin, 3,2 Gramm MDMA und zwei Ecstacy-Pillen. Dazu kamen 12,5 Gramm Haschisch und ein nicht näher beschriebenes Medikament. Ohne, dass diese Drogen direkt beim Lokalbetreiben oder den Mitarbeitern gefunden werden konnten, schloss die Polizei aus dem Fund, dass der Laden ein Drogenumschlagplatz sei.

Daher wurden die Besitzer des Ladens und der vorgesetzte Mitarbeiter festgenommen. Lokalgäste, die sich unter Hinweis auf demokratische Rechte von Bürgern über die ungewöhnliche Art und Weise der Razzia, sowie das ruppige Vorgehen der Polizei beschwerten, bekamen als Antwort von den Beamten, dass sie in keiner Demokratie leben würden.

Für einen demokratischen Rechtsstaat zumindest unerwartet lief eine weitere Festnahme ab. Beamte in Zivil hatten sich am Montagabend vor dem Wohnhaus eines Studenten der ASOE postiert. Sie werfen dem Studenten Rädelsführerschaft bei den Ausschreitungen vor der Uni vor.

Festnahme eines Studenten

Als der Student sein Fahrzeug in der Nähe des Hauses parkte und aussteigen wollte, wurde er aufgehalten. Nach einer Durchsuchung des Wagens wurde er, ohne Möglichkeit seiner Mutter oder seiner ebenfalls in der Wohnung lebenden Großmutter Bescheid zu sagen ins Polizeipräsidium von Athen gebracht. Dort verlangte er nach einem Anwalt und einem Telefonat, was ihm jedoch verweigert wurde.

Nach stundenlangem Verhör wurde dem Studenten gegen drei Uhr morgens mitgeteilt, dass seine Festnahme in eine Verhaftung umgewandelt worden sei. Erneut verlangte er vergeblich nach einer Möglichkeit, einen Anwalt zu kontaktieren. Dies wurde ihm auch nach dem Wecken am Dienstagmorgen verwehrt.

Stattdessen erfuhr er, dass die Polizei mit dem ihm abgenommenen Wohnungsschlüssel und ohne Hausdurchsuchungsbefehl auf dem Weg in seine Wohnung sei. Dort angekommen trafen die Beamten auf die greise Großmutter des Studenten, die einen Schock erlitt.

Schließlich erhielt der Student durch Intervention der mittlerweile über die Großmutter alarmierten Mutter buchstäblich im Moment, in dem er vor dem Schnellgericht stand, endlich einen Anwalt. Es stellte sich heraus, dass im Durchsuchungsbericht der Wohnung verzeichnet war, dass die Hausdurchsuchung zwar ohne Hausdurchsuchungsbefehl aber zusammen mit dem Studenten erfolgt sei, was augenscheinlich nicht wahr sein konnte.

Durch die Intervention des Anwalts wurde der Prozess auf den 22. November vertagt und der Student kam bis zum Prozess frei. Die juristische Unterstützung half ihm auch, einen Antrag der Staatsanwaltschaft abzuschmettern. Diese hatte verlangt, dass der Student bis zum Abschluss des gesamten Verfahrens Hausverbot für die ASOE, an der er eingeschrieben ist, erhalten solle.

Polizisten hielten nach den Ausschreitungen an der ASOE Krankenwagen an. Diese wurden erst nach gründlicher Durchsuchung zu den Verletzten durchgelassen. Hinterher, als die Krankenwagen Verletzte aufgenommen hatten, wurden die Sanitäter erneut in ihrer Arbeit unterbrochen.

Vor einer Behandlung mussten die Verletzten sich erst den Fragen der Polizisten stellen [2]. Dieses Procedere führte dazu, dass verletzte Studenten, die das Treiben der Polizei rund um die Krankenwagen beobachtet hatten, teilweise trotz Knochenbrüchen lieber auf anderem Weg zu einem Mediziner gelangten.

Reaktionen und Aussichten

Die Studentenorganisation DAP-NDFK von Voridis Partei, der Nea Dimokratia, jubelte angesichts der Aktionen der Polizei über ein "Ende der Ungesetzlichkeit". Damit meinte die DAP-NDFK offensichtlich nicht ihre eigenen Taten. Denn, die DAP-NDFK ist bekannt dafür, dass sie ihren Mitgliedern gern vor der Prüfung die Themen des jeweiligen Professors samt Musterlösung [3] übermittelt.

Die Parteien im und außerhalb des Parlaments sind in ein rechtes und ein linkes Lager gespalten. Anders als das ASOE-Rektorat betonen die Kollegen des Rektorats der Aristoteles Universität von Thessaloniki, dass die Uni für die Gedenkfeiern des 17. Novembers auf jeden Fall offen bleibt.

Wie alle Jahre wieder beginnen auch nun erneut die Diskussionen über die Bedeutung des damaligen Studentenaufstands. Bislang gab es diesbezüglich regelmäßige Versuche von extrem Rechten, die damaligen Ereignisse geschichtsrevisionistisch aufzuarbeiten. Nun steht die konservative, nach eigenen Angaben bürgerliche Partei Nea Dimokratia an der Spitze der Relativierer.

Fakt ist, nach der blutigen Niederschlagung wurde der damalige Diktator Giorgos Papadopoulos durch den noch brutaleren Diktator Dimitrios Ioannidis gestürzt. Ioannidis ließ später, im Glauben auf eine Unterstützung durch die USA im Sommer 1974, auch auf Zypern gegen den dortigen Staatspräsidenten Erzbischof Makarios putschen und löste damit den Krieg aus, der zur bis heute bestehenden Teilung der Insel führte.

Für den Abgeordneten der Nea Dimokratia, Constantinos Bogdanos, haben die Studenten damit die Teilung der Insel verursacht. Für den Publizisten Apostolos Doxiadis ist der Studentenaufstand Auslöser des Putsches von Ioannidis [4].

So gesehen erscheint es seitens der Regierung als konsequent, dass aus dem Geschichtsunterricht des Gymnasiums das komplette 20. Jahrhundert als Lehrstoff gestrichen wird [5]. Schließlich gab es für die Griechen außer der Militärdiktatur von 1967-74, einen an den zweiten Weltkrieg anschließenden Bürgerkrieg, sowie in der Vorkriegszeit die faschistische Diktatur von Ioannis Metaxas.

Darüber hinaus gewann die Vorgängerpartei der Nea Dimokratia bis in die Sechziger Wahlen nur mit massiver Wahlfälschung und dem Einsatz von Schlägertrupps. Oppositionelle wurden in Straflager auf Inseln verbannt. Alles Themen, die für rechte Politiker recht unangenehme Fragen aufwerfen. Bereits im Wahlkampf hatte der jetzige Premier Kyriakos Mitsotakis erklärt, dass es für einen Siebzehnjährigen belanglos sei, was 1967 geschehen sei und was zum Putsch der Obristen geführt hätte.

Mitten in diesem Klima der Polarisierung steht außer dem Gedenktag für den Studentenaufstand auch noch am 6. Dezember das Gedenken für den von einem Polizisten am 6. Dezember 2008 erschossenen sechzehnjährigen Schüler Alexis Grigoropoulos an. Darüber hinaus haben Autonome und Helfer, die durch Räumung von Hausbesetzungen obdachlos gewordenen Asylbewerber ins Gelände der Technischen Hochschule von Athen gebracht [6]. Diese wurden nach der Räumung von den Polizisten schlicht außerhalb Athens auf die Straße gesetzt.

Dies alles lässt für die nächsten Wochen zahlreiche Ausschreitungen, Demonstrationen und Gewalttaten in Griechenland vermuten. Die Regierung zeigt dabei keinerlei Anzeichen der Deeskalation.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.efsyn.gr/politiki/paraskinia/218857_ti-syria-ti-patision-gia-tin-domna-mihailidoy
[2] https://thepressproject.gr/astynomika-ebodia-stin-perithalpsi-ton-travmatismenon-fititon-stin-asoee-katangelloun-ergazomeni-tou-ekav/
[3] http://www.topontiki.gr/article/270723/galazio-diktyo-antigrafon-meso-facebook-stin-asoee
[4] https://www.protagon.gr/apopseis/editorial/to-polytexneio-alitheia-mythos-kai-paramythia-44341942115
[5] https://www.rizospastis.gr/story.do?id=10557856
[6] https://www.efsyn.gr/ellada/koinonia/218867_sto-polytehneio-metanastes-apo-tin-clandestina