Null Toleranz

Zur Lage der Flüchtlinge

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Nach Schätzungen des heute veröffentlichten UNHCR-Berichts zur Lage der Flüchtlinge in der Welt gibt es aktuell 175 Millionen Migranten weltweit. Demgegenüber würden Asylsuchende und Flüchtlinge aber nur einen kleinen Teil ausmachen.

Mit 9,2 Millionen Flüchtlingen verzeichnet man die niedrigste Zahl seit 25 Jahren. Hinter dieser auf den ersten Blick positiven Zahl verbirgt sich jedoch ein neues Phänomen, das dem Flüchtlingshochkommissariat der UN Sorgen bereitet: so genannte Binnenflüchtlinge.

Menschen, die eigentlich Sicherheit in Nachbarländern suchen müssten, sind immer häufiger dazu gezwungen, innerhalb der Grenzen ihres eigenen Landes zu leben. Zumeist müssen sie dort wie Flüchtlinge leben.

Antonio Guterres, UN-Flüchtlingshochkommissar

Der Grund: innerstaatliche Konflikte und Bürgerkriege, die gegenwärtig weitaus verbreiteter als zwischenstaatliche Kriege sind. Allein in Afrika werden die Konflikte im Kongo und im Sudan für mehr als 7,5 Millionen Binnenvertriebene verantwortlich gemacht. Eine Zahl aus dem Irak mag deutlich machen, wie schnell sich der Status ändern kann: dort sind nach Angaben des irakischen *Ministry of Displacement and Migration* binnen zwei Wochen 65.000 Menschen zu “displaced Persons“ geworden. Insgesamt wurden für das Jahr 2004 bis zu 25 Millionen Binnenflüchtlinge geschätzt.

Bislang habe man mit der Hilfe für diese Menschen versagt, die „Lücke im System“ sei erst vor kurzem geschlossen worden. In seiner 55jährigen Geschichte stehe die UNHCR jetzt vor vollkommen neuen, „kritischen“ Herausforderungen. Es gehe darum, in den Ländern langfristig für Bedingungen zu sorgen, dass Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren könnten.

Als großes Problem hebt der Bericht hervor, dass sich in der öffentlichen Meinung eine „Vermischung von illegaler Einwanderung und Sicherheitsfragen mit der Flüchtlingsthematik“ abzeichne.

Es gibt da einen populistischen Zugang zur Politik, manchmal auch in den Medien, wo versucht wird, alles zu vermischen – Migration, Asyl, Flüchtlinge und Sicherheitsfragen, die mit dem Terrorismus zu tun haben. Es ist absolut nötig, dass diese Dinge klargestellt werden.

Antonio Guterres

Der Kampf gegen Intoleranz sei oberstes Gebot. Die Vorurteile, nach denen Flüchtlinge und Asylsuchende Unsicherheit verursachen, müssten nach Meinung des UNHCR-Chefs entkräftet werden, denn tatsächlich seien die Asylsuchenden ja selbst Opfer von Unsicherheit.

Dies kollidiert aber mit dem neuen politischen Klima vor allem in westlichen Ländern, die von der Angst vor Terror genährt wird und von der „Obsession“ den Terror zu bekämpfen, mehr und mehr Asylsuchende würden nicht länger als solche dargestellt, sondern als „illegale Migranten“, „potentielle Terroristen“, „Kriminelle“ oder „Betrüger“, warnt der Bericht.

Von den 9,2 Millionen Flüchtlingen, die Asyl im Ausland suchen, würde es auch nur ein Bruchteil schaffen, industrielle Länder zu erreichen. Als Musterbeispiel für den Trend zum Outsourcen (vgl. Das Lagersystem für Flüchtlinge) der Flüchtlingsfrage nennt der Bericht die europaweite Initiative, die Tony Blair 2003 versucht hat (vgl. Mit Kanonenkugeln oder Internierung in "Regionalen Schutzzonen" außerhalb der EU). Der Versuch scheiterte zwar damals, die Neigung jedoch, das Problem der Flüchtlinge überproportional dem ärmeren Süden aufzubürden, ist nach Beobachtern der UNHCR in politischen Kreisen der reichen Staaten weiter ungebrochen.