Öffentlich-rechtliche Illusion über Indien: Wie ARD und ZDF die Augen verschließen

Us-Präsident Joe Biden legt die Hand auf die Schulter des indischen Premiers Narendra Modi

Erwünschter Schulterschluss mit dem Strong Man: Treffen zwischen Joe Biden und Narendra Modi, September 2023. Bild: Weißes Haus

Weltgrößte Demokratie oder doch eher Autokratie? Premier Modi regiert mit brutaler Hand. Das wird ausgespart. Weil das nicht in westliche Medien-Narrative passt?

Narendra Modi hat wie erwartet die Wahl gewonnen, wenn auch nicht so überwältigend, wie er selbst vollmundig angekündigt hatte. Seine Gegner, die Kongresspartei des Gandhi-Clans, mit 30 Verbündeten klug unter dem Akronym "INDIA" angetreten, schnitten besser ab als erwartet, doch es reichte nicht.

Als Erklärung für die schrumpfende Zustimmung für Modis BJP fällt den meisten Kommentatoren nur die Arbeitslosigkeit ein, nicht die Unterdrückung von Minderheiten, die brutalen Verbrechen von Modis Schlägertruppe RSS, Erpressung von Oppositionspolitikern oder ihm angelastete Morde im Ausland an Regimekritikern.

Unsere Leitmedien klammern sich krampfhaft an ihr Modi-Narrativ: Indien, "die größte Demokratie der Welt" hat gewählt. Präsident Modi hat wie erwartet gesiegt, musste aber Verluste hinnehmen und eine Koalitionsregierung anstreben, nur unter ferner liefen wird geschrieben: Modi regiere mit harter Hand und Desinformation.

Staatsverbrechen brauchen schweigsame Journalisten

Ob Modi politische Gegner inhaftieren oder umbringen lässt? Diese Frage fällt bei ARD und ZDF standardmäßig unter den öffentlich-rechtlichen Redaktionstisch; ebenso, dass die Redefreiheit von Medien, Universitäten und NGOs durch Modis BJP (Bharatiya Janata Party) beschnitten wird – so sieht es z.B. eine Arte-Doku, siehe unten.

Andere Länder würden unter solchen Umständen wohl als "Autokratien" gekennzeichnet werden. Indien hat etwa 300 Millionen Nicht-Hindus, die meisten Moslems, die Diskriminierungen und Gewalt ausgesetzt sind.

Aufstieg, soziale und ökologische Katastrophen

Den aktuellen ökonomischen Aufstieg verdankt Indien bekanntlich Modis streng neoliberalem Programm, das auf extensiver Ausbeutung von Mensch und Natur durch große Konzerne basiert.

Während privater Superreichtum explodiert und Multimilliardäre wie Medientycoon Mukesh Ambani und Rüstungs-Mogul Gautam Adani hervorbringt, bahnen sich soziale und ökologische Katastrophen an.

Die so entstehende soziale Härte und Ungerechtigkeit erzeugt Wut, die Modi eifrig auf Minderheiten lenkt; seine Methoden wurzeln im Faschismus, sogar im Nazismus. Neoliberale und faschistische Elemente scheinen sich hier ähnlich gut zu verstehen wie seinerzeit in Chile unter Diktator Pinochet und seinen neoliberalen Chicago Boys, die sich als Superheldenliga eines gnadenlosen Kapitalismus sahen.

Rosige Zeichnung bei den Meinungsmachern

Passt dieser liberal-faschistische Nexus nicht in die westlichen Medien-Narrative? Wird Modi deshalb so rosig gezeichnet, wenn deutsche Meinungsmacher von Indien reden?

Wir werfen einen kritischen Blick auf unsere Medien-Narrative und später auf Feinanalysen in Westbengalen, einem Bundesstaat mit 90 Millionen Einwohnern und bewegter Geschichte: Die Briten begründeten hier mit Siegen über die Nabobs ihr Imperium und den modernen Kolonialismus (David Sheffield).

Von 1977 bis 2000 wurde Bengalen von Marxisten regiert und heute von der als linkspopulistisch geltenden Partei TMC mit Mamata Banerjee als starker Frau an der Spitze.

ARD und ZDF: Jubel mit Aussparungen

Wenig Aufmerksamkeit gönnen öffentlich-rechtliche Medien den Schattenseiten von Modis Regierung. Erst weit hinten in einem aktuellen ARD-Beitrag findet man als einzigen leisen Anklang, Modi habe seine im Vordergrund stehende "größte Demokratie der Welt" bislang "mit harter Hand regiert". Die Wertung, ob man dies gut oder schlecht finden könnte, überlässt die ARD im Fall Modi dem Medienkonsumenten.

Von seiner paramilitärischen Schlägertruppe RSS erfährt man nichts, auch nicht von Finanzkrieg und Erpressung im Inland und Mordanschlägen im Ausland auf Modis Gegner. Kann der ARD-Zuschauer sich so ein ausgewogenes Bild von Modis Wahlsieg machen?

Ein ZDF-Beitrag jubelt noch enthusiastischer als die ARD über den indischen Weltrekord "640 Millionen haben gewählt!", gibt lediglich sehr weit hinten im Text zu bedenken, die Wahlen wären "unter anderem" von Desinformation überschattet gewesen, Modi hätte der Opposition unterstellt, die muslimische Minderheit bevorzugen zu wollen. Was "unter anderem" bedeuten könnte, erfährt man nicht.

Auch hier fehlt jeglicher Hinweis auf Modis Schlägertruppe RSS, deren Terror gegen Muslime und andere Minderheiten und den Umfang der Manipulation der Öffentlichkeit.

Dafür feiert ein weiterer ZDF-Artikel Modis glückliche neue Koalitionsregierung, er habe die bisherige absolute Mehrheit von 272 mit jetzt nur noch 240 Mandaten knapp verfehlt.

Illegitime Mittel, die bei anderen kritisiert werden

Im Text kein kritisches Wort zu Modi, nur in zwei Bildunterschriften erfährt man, Moslems würden immer mehr zu Bürgern zweiter Klasse, viele hätten Angst. Aber warum nur? Das interessiert offenbar nicht, man feiert lieber mit Modi den knappen Sieg über eine erstarkte Opposition.

Das Anti-Modi-Bündnis INDIA unter Führung der Kongresspartei erlangte zwar überraschende, so das ZDF, 232 Mandate. Aber schon bislang regierte die BJP als Teil des rechtsgerichteten NDA-Bündnisses, bisher mit bequemer eigener BJP-Parlamentsmehrheit.

Nun komme Modi mit seinen NDA-Partnern immer noch auf eine Mehrheit von 293 der 543 Sitze im indischen Unterhaus. Wie erlangte Modi am Ende wieder die Oberhand?

Auch durch illegitime Mittel, die bei (anderen) Autokratien kritisiert werden:

Wie in anderen sogenannten "illiberalen" Demokratien passt auch die indische Regierung den Text ihrer Geschichtsbücher den eigenen Vorstellungen an. Ob an Universitäten oder Schulen, in Print oder Online-Medien, wer nicht im Sinne der Regierung spurt, wird an den Rand gedrängt.

Herbert Wulf, Warum der Westen Indien hofiert

Gewalt auf den Straßen – Morde im Ausland

Von inhaftierten Oppositionspolitikern, unfairen Medien und Gewalt auf den Straßen wollen ARD und ZDF nichts wissen. Allein mit ein paar Desinformationen hat Modi in diesem rosigen Narrativ die Wahlen beeinflusst.

Doch ist Modi wirklich so harmlos, wie unsere Alpha-Journalisten ihn darstellen? Man muss nicht tief graben, um Gegenargumente zu finden. Im Juni 2023 warf Kanadas Prime Minister Justin Trudeau im kanadischen Parlament Modis Regierung offiziell vor, in Kanada einen kanadischen Bürger durch indische Agenten ermordet zu haben.

Das erinnert an Vorwürfe an die Adresse Putins, doch die Empörung westlicher Medien hielt sich im Falle Modis in engen Grenzen.

Vorwurf Mordanschlag: Kanadas Empörung

Das Opfer des mutmaßlich indischen Mordanschlags war der Modi-Gegner Hardeep Singh Nijjar, der im kanadischen Exil Zuflucht vor den Schergen der Modi-Regierung gesucht hatte. Nijiar, ein bekannter Vertreter der indischen Sikhs, wurde am 18.Juni 2023 auf offener Straße ermordet, ein politischer Mord, der sich bald jährt.

Modi wies die Anschuldigung von Trudeau zurück, so wie auch Nijiar und seine Mitstreiter stets die Beschuldigung der indischen Regierung zurückgewiesen hatten, Terroristen zu sein. Die Affäre schlug Wellen: Indien und Kanada wiesen gegenseitig einige hohe Diplomaten aus. Nur wenige Wochen später sollte auf dem Boden der USA ein weiterer Sikh-Politiker ermordet werden, doch das Mordkomplott flog auf.

Spätestens jetzt hätte die journalistische Zunft der westlichen Medien – auch in Deutschland – auf die dunklen Seiten der Modi-Autokratie aufmerksam werden können. Doch das Medienecho blieb spärlich.

Dabei gebietet Modis Bewegung der Hindu-Nationalisten, die Hindutva, über die größte Armee von Paramilitärs der Welt. Durch den in den letzten Dekaden rasch gewachsenen Reichtum des Subkontinents Indien wächst auch deren militärische und geheimdienstliche Macht.

So dass Modis Schergen heute offenbar bereit sind, überall auf dem Globus zuzuschlagen und Modis Kritiker zu beseitigen. Dies ist ebenso beunruhigend wie der Ausbau der indischen Atomstreitmacht unter Modi.

Arte-Doku "Indien – Hass als Ideologie"

Eine Ausnahme in der verharmlosenden Berichterstattung stellt die Doku "Indien – Hass als Ideologie" dar, die im Kultur-Kanal arte brutale Szenen und kritische Fakten zur Hindutva, Modi und seiner BJP-Partei zeigte. Aber wer wird sich morgen noch daran erinnern, wenn die Fakten keine Resonanz im Medienwald finden?

Solange ARD- und ZDF-Hauptnachrichten den indischen Faschismus beschweigen, werden nur wenige Medienkonsumenten davon erfahren. Dabei lässt der Mediathek-Infotext keine Zweifel:

Seitdem Narendra Modi 2014 zum Ministerpräsidenten Indiens gewählt wurde, spielt der in den 1920er Jahren entstandene Hindu-Nationalismus, auch Hindutva genannt, eine immer größere Rolle. In dieser Ideologie gelten Minderheiten als Menschen zweiter Klasse. Hindu-Milizen verbreiten nicht nur in Indien Angst und Schrecken.

Was ist aus der größten Demokratie der Welt geworden? Was aus dem Erbe von Mahatma Gandhi?

Der Diskurs hat sich verändert: Der Vater der indischen Unabhängigkeit steht heute in der Kritik, während sein Mörder, ein hinduistischer Extremist, verehrt wird.

arte-Text zur Doku (in Mediathek nur noch verfügbar bis 27.6.2024)

Der Machtantritt von Narendra Modi im Jahr 2014 stelle, so arte weiter, einen Wendepunkt in der indischen Geschichte dar, denn für das Modi-Regime sei die ethnische Zugehörigkeit ausschlaggebend. Die Ideologie hinter dieser radikalen Veränderung sei die Hindutva, die in den 1920er-Jahren in Anlehnung an das Gedankengut des italienischen Faschismus und des Nationalsozialismus entstanden sei – so arte.

Die Hindutva-Ideologie strebe ein ausschließlich aus Hindus bestehendes Volk an. Damit sei die 300 Millionen Menschen zählende Minderheit aus Muslimen, Christen, Sikhs und Buddhisten gefährdet. Seit 2014 hätten die Angriffe auf Christen um 400 Prozent zugenommen, berichtet arte weiter.

In einigen Bundesstaaten würde die Redefreiheit eingeschränkt, Lehrende dürften unter Androhung von Haft im Unterricht nicht mehr über Paradies oder Hölle sprechen. Die organisierte Gewalt richte sich vor allem gegen Muslime, die Redefreiheit würde oft beschnitten.

Man fragt sich wirklich, ob mit dieser Beschreibung durch die arte-Mediathek noch eine Demokratie oder eher schon eine Autokratie gemeint ist.

Eine breite Gegenallianz trat vor sechs Wochen gegen Modis übermächtige Hindupartei BJP an und konnte sie immerhin regional zurückdrängen, etwa im wichtigen Bundesstaat Bengalen, der etwa die Größe Deutschlands hat.

Die daraus folgende Frage ist auch für deutsche Verhältnisse interessant: Welche Mittel wirkten gegen das Gift des Rechtspopulismus?