Öffentlich-rechtliche Sender: Weniger Radio, Instagram bleibt
Rückbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Probleme bei der Interpretation einer Umfrage zur Corona-Politik und ein KI-generierter Podcast mit Bryan Ferry.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf in den sozialen Netzwerken aktiv bleiben, ein Medienmagazin kritisiert eine Umfrage zu Impfnebenwirkungen und eine Künstliche Intelligenz (KI) lässt einen Engländer Deutsch sprechen. Anmerkungen zu drei Medienthemen der vergangenen Tage und ein Lesetipp.
Rundfunkreform beschlossen
Die Öffentlichkeitsarbeit der Tagesschau in eigener Sache hat gefruchtet – zumindest im Ergebnis nicht geschadet. Denn bei der nun von den Ministerpräsidenten beschlossenen Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) ist keine Begrenzung der Social-Media-Aktivitäten vorgesehen.
In der Debatte um die sogenannte "Presseähnlichkeit", die der ÖRR nicht haben soll, weil er damit in das Geschäftsfeld der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger eingreifen kann, hatte sich die Tagesschau auf Instagram zuvor aktivistisch gezeigt.
Sie veröffentlichte schwarze Kacheln statt der gewohnten Bilder mit Kurztexten. Darauf stand klein die Frage: "Was ist hier los?"
Wer weiterklickte, bekam die Antwort:
Unsere Arbeit auf Social Media könnte eingeschränkt werden. Das steht im Entwurf der Bundesländer für einen Reformstaatsvertrag. In Zukunft dürfen wir dann nur noch Themen umsetzen, nachdem sie in einer tagesschau-Sendung im Fernsehen oder auf tageschau24 gelaufen sind.
Heißt: Wir könnten euch schlimmstenfalls nicht mehr in vollem Umfang mit aktuellen Nachrichten und Themen beliefern, die für euch wichtig sind.
Tagesschau auf Instagram
Noch einen Klick weiter kam dann der eigentliche Inhalt, den die Tagesschau vermelden wollte. Die Resonanz der User auf diese Aktion fiel überwiegend positiv aus.
Presseähnlichkeit: Social-Media-Auftritte weiter erlaubt
Die Presseähnlichkeit soll zwar auch mit der Reform nicht gestattet werden, doch Textbeiträge sollen in großem Umfang möglich sein, Details stehen jedoch noch aus. Vereinbart wurde jedenfalls, dass die Social-Media-Auftritte von der Pflicht, nicht presseähnlich zu sein, ausgenommen sind.
In der FAZ heißt es dazu auf Basis von Agenturmeldungen: "Damit kommen die Länder den Bedenken der öffentlich-rechtlichen Sender entgegen."
Zu den beschlossenen Reformen gehört eine Verringerung der Radiosender von derzeit 70 auf 53. "Digitalangebote und Spartenkanäle sollen geclustert und konsolidiert werden", schreibt DWDL.
Eine Entscheidung über die Höhe des Rundfunkbeitrags wurde auf Dezember vertagt.
Problematische Umfragen
Umfrageergebnisse sind geläufige Nachrichtenmacher. Bekannt sind die regelmäßigen "Sonntagsfragen" zur aktuellen Parteienpräferenz der wahlberechtigten Bürger oder zur Beliebtheit von einzelnen Politikern.
Auch Lobbygruppen reichen den Medien allerhand Umfrageergebnisse an, von der schönsten Kleinstadt Österreichs bis zur "beliebtesten Haarfarbe der Deutschen".
Das Medienmagazin Übermedien hat sich schon oft kritisch mit dieser Form der News-Erzeugung beschäftigt.
Kürzlich im Visier: eine Umfrage der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) zu Nebenwirkungen der Corona-Impfungen und der Corona-Politik ("Impfungen, RKI-Files, Lockdowns: So denken die Deutschen heute über die Corona-Politik").
Die Ergebnisse erschienen auch in den Partner-Zeitungen.
Nun zeigt auch die Forsa-Umfrage: Von "Nebenwirkungsfreiheit" kann keine Rede sein. Mehr als jeder sechste Deutsche hat im Zusammenhang mit einer Corona-Impfung Nebenwirkungen erlebt. 17 Prozent der Befragten antworteten auf die Frage, ob sie die Corona-Impfungen "alles in allem gut vertragen" hätten, mit "Nein".
Weitere 10 Prozent gaben an, keine Impfung erhalten zu haben. Fast drei Viertel der Befragten (73 Prozent) hatten nach eigenen Angaben dagegen kaum oder keine Nebenwirkungen.
NOZ
Martin Rücker kritisiert an dieser Berichterstattung vor allem, dass es sich um eine "Meinungsumfrage" handele: "Die Forsa-Umfrage der NOZ (...) suggeriert, eine wissenschaftliche Streitfrage ließe sich mit Gefühlen ergründen."
Rücker bestreitet nicht, dass die öffentlich zugängliche Datenlage zu Impfnebenwirkungen schlecht ist. Er verweist auch darauf, dass frühzeitig entsprechende Erhebungen angemahnt wurden. Aber in der Befragung der Bevölkerung (zumindest durch ein Umfrageinstitut) sieht er keinen seriösen Weg, Licht ins Dunkel zu bringen.
Da sich die angegebene Verträglichkeit der Corona-Impfungen unter den Befragten nach deren Parteien-Präferenz deutlich unterscheidet, spottet Rücker:
Auch Überschriften wie "Nur 7 Prozent der AfD-Anhänger hatte ärztlich bestätigte Nebenwirkungen" oder "Mehr als 60 Prozent der geimpften AfD-Sympathisanten hat Impfung gut vertragen" ließen sich also aus den Forsa-Daten ableiten, wenn man das möchte – oder auch: "Wenn Sie vom BSW zur SPD wechseln, steigt Ihre Chance, die Impfung gut zu vertragen, statistisch um 70 Prozent."
Martin Rücker, Übermedien
Nüchtern betrachtet unterscheidet sich also die von den Geimpften bekundete Verträglichkeit ihrer Impfung in Abhängigkeit von ihrer politischen Positionierung. Diese wiederum ist aber nicht statistisch zufällig verteilt, sondern ist unter anderem sozial, kulturell und ökonomisch beeinflusst.
In der empirischen Sozialforschung wird schon lange berücksichtigt, dass Probanden dazu neigen, "sozial erwünschte Antworten" geben.
Entsprechend könnte man von einer anderen Warte aus genauso gut polemisieren: "SPD-Wähler leugnen eigene Impfschäden".
Was die Befragten äußern, sind jedenfalls keine Meinungen, sondern Tatsachenbehauptungen. Ob diese richtig sind, wissen wir natürlich nicht – aber wir wissen es eben bei allen Befragten nicht.
Interessant ist, dass Rücker das "subjektive Empfinden" als Nachrichtengrundlage nur hier im Zusammenhang mit der Impfverträglichkeit problematisiert, nicht aber generell.
Denn Journalismus lebt ganz wesentlich von genau solchen persönlichen Weltwahrnehmungen. Wie sieht ein typischer Fernsehbeitrag über irgendein Ereignis in irgendeinem Land aus?
Ein, zwei Leute auf der Straße, vor Trümmern, inmitten einer Demo, einer Wahlkampfveranstaltung oder sonst wo bekommen ein Mikrofon vor die Nase gehalten und werden mit ein paar Sekunden Statement gesendet. Das ist regelmäßig weit weniger valide als eine standardisierte Befragung von rund 1.000 Menschen.
Das Magazin Multipolar hatte nach eigenen Angaben die Idee zur Umfrage, konnte aber selbst kein Institut finden, das zur Durchführung bereit war. Deshalb übernahm die NOZ die Beauftragung. Was ein eigenes medienjournalistisches Thema sein könnte.
Besonders wagemutig ist Rücker bei der Interpretation einer anderen Tatsache als Meinungsbekundung:
Eine Mehrheit hingegen zeigt sich mit der Impfung offenbar ganz zufrieden, was nicht zuletzt die Abstimmung mit der Nadel, also die Impfquote, belegt: 76 Prozent der Menschen in Deutschland sind offiziellen Angaben zufolge mindestens grundimmunisiert, eine Mehrheit hat auch eine oder mehrere Auffrischungen hinter sich.
Martin Rücker, Übermedien
Wie man mit seiner Entscheidung zur (ersten) Impfung zugleich bekundet haben soll, mit dem Ergebnis "ganz zufrieden" zu sein, erläutert er leider nicht.
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KI übersetzt Podcast
Seitdem die Firma OpenAI vor zwei Jahren ChatGPT vorgestellt hat, ist der Einsatz von KI geradezu allgegenwärtig geworden. Fotos, Videos, Musikstücke und vieles mehr lassen sich mit kostenlosen Anwendungen von jedermann erzeugen.
Einen neuen Schritt ist nun die Zeit gegangen, indem sie ein in englischer Sprache geführtes Interview aus der Podcast-Reihe "Alles gesagt" mit KI ins Deutsche konvertiert hat. Hier wurde nicht einfach Text automatisch übersetzt, was mit einem Klick im Browser inzwischen jeder nutzen kann. Hier sprechen drei Menschen miteinander in einer Sprache, die einer von ihnen gar nicht beherrscht.
Während die deutsche Stimme des britischen Musikers Bryan Ferry mitunter etwas merkwürdige Betonungen aufweist, klingen die Stimmen der beiden normalerweise Deutsch sprechenden Moderatoren Christoph Amend und Jochen Wegner völlig vertraut. Satzbau und Sprachmelodie – die KI hat Amend und Wegner beeindruckend imitiert.
Die Zeit bietet beide Versionen des Gesprächs an, sodass sich jeder selbst einen Höreindruck verschaffen kann.
Spiegel-Online 30 Jahre alt
Wer kennt noch den Begriff "Bundesdatenautobahn"? Die musste man jedenfalls nutzen, um vor 30 Jahren zu Spiegel-Online zu gelangen.
Frank Patalong hat einen langen Rückblick auf die Entwicklung des weltweit ersten Nachrichtenmagazins im World Wide Web geschrieben – natürlich auf Spiegel.de.