Öffentliche-rechtliche Sender unter politischem Druck
Die jüngsten Affären zeigen: Eine Reform ist notwendig. Doch manche Konzepte führen zu einem Verlust der Qualität und können die soziale Spaltung verschärfen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland steht unter starkem Druck. Erst die Affäre um Filz und Vetternwirtschaft beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) [1] und dann die Vorwürfe gegenüber dem NDR, bei ihm gebe es einen "politischen Filter".
Bei der Recherche und beim Aufarbeiten dieser Vorfälle haben sich hauptsächlich die Journalisten aus dem Hause Springer hervorgetan. Sie berichteten über "Prunk und Protz" [2] in den Rundfunkanstalten, über Dienstwagen und Chauffeure für die Intendanten und über Tom Buhrows Massagesitz, den die Bürger über ihre "Zwangsgebühren" finanzieren.
In manchen Springer-Medien sind die Berichte sachlich und aufklärend gehalten, in anderen dagegen reißerisch. In der Gesamtheit drängt sich der Eindruck auf, das Verlagshaus Springer würde eine Kampagne zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befeuern.
Die Schlagworte in der Bild sind nicht zu übersehen: "Ausgabenexplosion", "Prunk-Bauten", "Luxus", "Gebührenzahler zahlen für Autos und Fahrer". Oder wie es am 25. August hieß:
"ARD, ZDF und Deutschlandradio verwenden weniger als die Hälfte ihres Budgets fürs Programm."
Die aufgedeckten Skandale geben den Kritikern recht: Eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks scheint nicht nur geboten, sondern dringend erforderlich zu sein. Statt eine Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu fördern, scheint die Bild sich darauf zu beschränken, Stimmung gegen ihn zu machen.
Die Skandale sind Wasser auf die Mühlen von Konservativen und Liberalen, die jetzt Morgenluft wittern für ihre Reformideen. Und es fällt auf: Die Ideen von Friedrich Merz, AfD oder FDP – sie ähneln sich in ihren Kernforderungen sehr stark. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Flügel zu stutzen und die profitablen Bereiche den privaten Sendern zu überlassen, darin besteht Einigkeit.
Friedrich Merz fordert Reformen der Rundfunkanstalten
Unter dem Eindruck des Skandals beim RBB äußerte sich CDU-Chef Friedrich Merz mit scharfen Worten. In einem Gastbeitrag in den Badischen Neuesten Nachrichten [3] sagte er:
Die Affäre trifft auf eine Öffentlichkeit, die immer weniger bereit ist, widerspruchslos hinzunehmen, mit welcher Dreistigkeit sich einzelne Repräsentanten in diesem System bedienen und mit welcher Einseitigkeit in Teilen der öffentlich-rechtlichen Sender berichtet und kommentiert wird.
Die Rundfunkanstalten sollen seiner Meinung nach auf das Angebot von Informationen zurechtgestutzt werden: "Dokumentationen und auch Serien, die man im privaten Rundfunk und Fernsehen nicht findet." Damit spielte er auf die Streitfrage an, wie viel Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geboten werden müsste.
Die Sender müssten auch wieder ausgewogen berichten. Schon seit langer Zeit würden sie nicht mehr das breite Meinungsspektrum in der Bevölkerung abbilden. Sie seien zu links, schließlich hätten über 90 Prozent der Volontäre bei ARD und ZDF in einer internen Befragung angegeben, der SPD, der Linkspartei oder den Grünen politisch nahezustehen.
Diese Ansicht läuft auf die Forderung hinaus: Es muss ein Rechtsruck durch die öffentlich-rechtlichen Medien gehen! Doch Merz blendet aus: Die politischen Ansichten der Volontäre sind nicht entscheidend für die Berichterstattung, sondern die der Redakteure und Leitungsgremien. Wie sich in der jüngsten Vergangenheit zeigte, gibt es auch eine Nähe der Berichterstattung zur CDU.
Merz folgte in seinem Artikel einem Konzept [4] der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), das im März 2021 beschlossen wurde.
Sportveranstaltungen sollen demnach aus dem Programm entfallen, wenn sie von privaten Sendern kostenfrei ausgestrahlt werden. Hochwertige Unterhaltung soll ebenfalls entfallen. Bei Unterhaltungsangeboten solle man sich nicht "am Wettbewerb mit privaten Anbietern um die höchsten Einschaltquoten orientieren", heißt es in dem Papier. Man solle sich stattdessen am "öffentlichen Auftrag des beitragsfinanzierten Rundfunks" orientieren.
Mit einer Strukturreform sollen Sender zusammengelegt werden. "Die Zahl der linearen öffentlich-rechtlichen Vollprogramme ist kritisch zu hinterfragen", heißt es in dem Papier und das bedeutet: Die Zahl der herkömmlichen Sender und Programme werden zusammengestrichen und deren Angebot wird ins Internet verlagert.
Konzepte von FDP und AfD
In diesem Punkten stimmen die Forderungen der Christdemokraten, mit denen der Liberalen oder der AfD auffallen überein.
Im Vorfeld der Bundestagswahl im letzten Jahr hatte die FDP auf einem Parteitag einen Antrag mehrheitlich angenommen [5], mit dem eine "Auftrags- und Strukturreform" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefordert wird.
In das Wahlprogramm eingeflossen ist nur eine kurze Textpassage [6] – ausführlichere Positionen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk lassen sich dennoch finden [7].
Die Pläne lösten beim Deutschen Journalisten Verband (DJV) heftige Kritik aus. Der DJV-Vorsitzende Frank Überall erklärte damals: "Eine Reduzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf ein Nischenangebot ist verfassungswidrig". Mit dem Beschluss nehme die FDP Platz auf der Bank der Rundfunkgegner aus AfD und Teilen der Union.
Auch der Entertainer Jan Böhmermann [8] hatte auf die Nähe der FDP-Positionen zu denen der AfD aufmerksam gemacht, ohne das näher zu erläutern. Mit Unverständnis reagierte darauf Laura Staudacher [9], die heute stellvertretende Pressesprecherin [10] der FDP-Bundestagsfraktion ist.
Sie wolle nicht zu einer "Rechtsaußen" gestempelt werden, nur weil sie wolle, "dass Studis und Azubis nicht für Fernsehgarten, Traumschiff & die Helene-Fischer-Show blechen müssen", schrieb sie auf Twitter. Dabei hatte sie wahrscheinlich nicht bemerkt, dass das FDP-Konzept dem "Grundfunk"-Konzept [11] der AfD sehr ähnlich ist.
Die Konzepte beider Parteien sehen vor, dass das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks regionalisiert werden solle. Die gesamte Bundesrepublik soll dagegen nicht mehr mit dem Doppelangebot von ARD und ZDF versorgt werden, sondern nur noch von einem Rundfunkangebot.
Beide Parteien sprechen sich ebenfalls dafür aus, zu privatisieren, was nicht mehr zwingend in Staatshand sein muss: Bei der FDP ist es das ZDF, bei der AfD alle Sender außer: Deutsche Welle, den Angeboten der Länder und des einzelnen deutschlandweiten Senders.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem vierten Rundfunk-Urteil [12] von 1986 festgelegt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse eine mediale Grundversorgung im gesamten Land sicherstellen, die höheren Anforderungen genügen müsse als Privatsender.
Zu dieser Grundversorgung gehört auch, dass ein inhaltlicher Standard der Programme gewährleistet werden müsse. Die FDP will ihn auf die Bereiche Bildung, Information, Beratung und Kultur beschränken.
Unterhaltung solle künftig auch nur noch "vornehmlich der Vermittlung von Bildung, Information, Kultur und Beratung dienen". Spitzensport solle explizit nicht mehr übertragen werden. Übertragen werden sollen nur noch die Sportveranstaltungen, die den privaten Sendern nicht genug Gewinn einbringen und deren Übertragung sich für sie nicht lohnt.
Ähnlich sieht es die AfD auch: Der öffentlich-rechtliche Programmauftrag solle auf Nachrichten, Kultur sowie Amateur- und Breitensport beschränkt werden [13]. Wegfallen sollen vorwiegend Unterhaltungsformate: Shows, Filme und Serien würden dann kaum noch eine Rolle spielen.
Programme, die sich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten problemlos durch private Anbieter realisieren lassen, z. B. Fußballübertragungen und allgemeine Unterhaltungssendungen, sollen ihnen auch überlassen bleiben.
Auszug aus der "Grundfunk"-Broschüre [14] der AfD
Erfahrungen mit der BBC-Reform
Wohin solche Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks führen können, zeigt sich in Großbritannien. Hier hatten die Rundfunkgebühren auch zu einer gesellschaftlichen Kontroverse geführt.
Unmut erregten sie einmal, da sich der Fernsehkonsum der Briten änderte und sich zunehmend an den digitalen und kommerziellen Angeboten wie Netflix, Disney Plus und Amazon Prime ausrichtete.
Die Rundfunkgebühren sorgten aber auch für Unmut, da man der BBC vorwarf, in gesellschaftlichen Kontroversen politisch voreingenommen zu sein. So hatten sich etwa Politiker über die Berichterstattung der BBC beschwert, als über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union debattiert wurde. Der Forderung nach Abschaffung der Gebühren wurde dadurch populär.
Nach den Plänen der britischen Regierung sollen die Rundfunkgebühren bis 2027 abgeschafft werden. In der Zwischenzeit werden sie für zwei Jahre bei 159 britischen Pfund "eingefroren", was zu einer Finanzierungslücke von 285 Millionen Pfund jährlich geführt hat. Und wie sich der öffentliche Rundfunk in Großbritannien nach 2027 finanzieren wird, ist bislang noch nicht geklärt.
Die BBC steht nun vor einem gravierenden Umbruch: Einige Sender werden geschlossen und werden zu reinen Online-Diensten, andere Formate werden zusammengeschlossen und bei lokalen Fernseh- und Radiodiensten stehen Kürzungen an.
Das hat zur Folge, dass die Sender [15] CBBC, BBC Four und Radio 4 Extra geschlossen und zu reinen Online-Diensten [16] werden. Die fremdsprachigen Dienste des World Service sollen ebenfalls nur noch online verfügbar sein.
Auch bei lokalen Fernseh- und Radiodiensten soll es Kürzungen geben, vorwiegend lokale Radiosender sollen sich in Zukunft Programme teilen, während manche lokale Fernsehproduktionen ganz eingestellt werden.
Diese Reform trifft mehrere Millionen Briten hart, hieß es dazu in The Guardian [17]; und sie könnte die soziale Spaltung im Land weiter vertiefen. Denn es seien oft die älteren und armen Menschen, die keinen Zugang zum Internet hätten. Und viele weitere verfügten zu Hause nicht über einen Breitband-Anschluss, der aber für den Zugriff auf Streaming-Dienste erforderlich sei.
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https://www.heise.de/-7253012
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Schwere-Vorwuerfe-gegen-NDR-Leitung-Beschaeftigte-beklagen-politischen-Filter-7243836.html
[2] https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/alles-von-zwangsgebuehren-bezahlt-viele-ard-angestellte-haben-chauffeure-81108268.bild.html
[3] https://www.cdu.de/artikel/fuenf-forderungen-an-den-oeffentlich-rechtlichen-rundfunk-in-der-krise
[4] https://www.mit-bund.de/sites/mit/files/dokumente/beschluesse/20210221_buvo_beschluss_oerr_reform_final.pdf
[5] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundesparteitag-fdp-will-oeffentlich-rechtlichen-rundfunk-beschneiden-/27194856.html
[6] https://www.fdp.de/forderung/ein-modernerer-und-schlankerer-oeffentlich-rechtlicher-rundfunk
[7] https://fdp-hessen.de/beschluss/auftrag-und-zukunft-des-oeffentlich-rechtlichen-rundfunks-glaubwuerdige-informationsvermittlung-in-zeiten-der-algorithmen/
[8] https://twitter.com/janboehm/status/1394179491019304960
[9] https://twitter.com/laura_schieritz/status/1394207488413679618
[10] https://www.fdpbt.de/presse
[11] https://afd-fraktion.nrw/grundfunk/
[12] https://dewiki.de/Lexikon/4._Rundfunk-Urteil
[13] https://www.teltarif.de/rundfunkbeitrag-gez-fernsehen-radio/news/81137.html
[14] https://www.afd-rlp-fraktion.de/3d-flip-book/grundfunk-broschuere/
[15] https://meedia.de/2022/05/27/bbc-legt-strategie-fuer-einsparungen-und-umstrukturierung-vor/
[16] https://www.fiercevideo.com/video/bbc-close-broadcast-networks-move-content-online-part-cost-cutting-measure
[17] https://www.theguardian.com/media/2022/may/26/bbc-announces-raft-of-closures-cbbc-four-online-only
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