Ökologische Zeitbombe Indien: Ein hoffnungsvoller Ausblick
Seite 2: Die Zukunft: Eine neue Generation und eine echte Zeitenwende
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Vir Das ist ein politischer Comedian, der Modi nur den "Gujarati-Onkel"" nennt.
Trotz etlicher Gerichtsvorladungen wegen Beleidigung und vielfacher Morddrohungen betont Vir Das in seinen Auftritten, dass Indien für ihn Toleranz und friedliches Miteinander bedeutet. Kulan Kamra ist ein weiterer politischer Comedian mit Millionenpublikum – Dutzende jüngere Satiriker eifern den beiden nach.
Die Zeiten sind vorbei, in denen Modis BJP durch ihre Influencer auf Social Media ungestört Gegenwart und Vergangenheit verzerren konnten. Das Besondere an dieser neuen Generation von politischen Comedians und Youtubern: Sie differenziert.
In ihren Augen ist Modi nicht an allem schuld, die anderen politischen Parteien sind nicht viel besser. Dazu wird schonungslos erklärt, was der Klimawandel in Indien bewirkt und noch verursachen wird und was von den aktuellen Problemen hausgemacht ist.
Ein Indiz dafür, dass Indiens junge Menschen den politischen Parteien kaum noch etwas zutrauen, könnte sein, dass sich nur 38 Prozent der Erstwähler für die aktuellen Parlamentswahlen haben registrieren lassen.
Der größte Teil der indischen Printmedien und 900 Fernsehsender sieht das anders: Für sie ist es eine verantwortungslose Jugend, die die Demokratie gefährdet.
"Godi-Media"
Im Index der Pressefreiheit liegt Indien auf Platz 159. Viele junge Inder, aber nicht bloß sie, nennen die indische Presse nur noch die "Godi-Media" – ein Wortspiel, welches in etwa ausdrückt, dass der Journalismus ein kläffendes Hündchen auf dem Schoß Modis ist, wie es die deutsche Journalistin Margit Hildebrandt formuliert.
Indiens Medianalter – eine Kennzahl der Altersstruktur einer Bevölkerung – beträgt 28 Jahre, in Deutschland 48. Und in Indiens jungen Generationen ist eine wirkliche Zeitenwende im Gange. Mit Hunderten dieser smarten und praktisch veranlagten jungen Menschen habe ich in den letzten fünf Monaten gesprochen.
Die meisten stammen aus der unteren Mittelklasse, und im Gegensatz zu ihren Eltern verdienen sie ihr Geld jetzt mit Kopfarbeit. Alleine im indischen IT-Bereich arbeiten mittlerweile 4,5 Millionen vorwiegend junge Menschen.
Das Internet war für sie ein Geschenk
Das Internet war für sie ein Geschenk und der Schlüssel zu kostenfreier oder günstiger weiterführender Bildung – wie sie bis dahin nur den Kindern der Oberklasse möglich war. Die düstere Zukunft Indiens macht ihnen keine Angst.
Sie wissen, wie es ist, in einem überfüllten Haus zu leben, in einer überfüllten Stadt, die stinkt und im Dreck versinkt. Im Sommer ist es extrem heiß und es stinkt noch mehr. Zwei Monate später ist die Stadt wegen des Monsuns überschwemmt, weil der Boden weitflächig zubetoniert ist und das Wasser nicht mehr aufnehmen kann.
Gerade weil diese neue junge Generation von "unten" kommt und das alles kennt und weiß, ist auch ihr Wissenshunger besonders groß.
Stellvertretend für diese junge Generation ist die 28-jährige Rakhi. Im Gespräch erzählt sie ihre Geschichte. "Ich liebe es, eine Frau zu sein und ein Nerd", betont sie. Während des Corona-Lockdowns zog sie von Mumbai aufs Land nach Rishikesh im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand und arbeitete von dort im Homeoffice:
Saubere Luft, sauberes Trinkwasser und ein Garten, das ist der Luxus, nach dem ich und meine Generation streben.
Mittlerweile hat sie sich mit Freunden ein bescheidenes Haus gemietet, in einem Dorf 26 km nördlich von Rishikesh. Von dort aus arbeitet sie im Homeoffice für eine US-amerikanische Firma, die Wahlspenden sammelt.
"In Indien haben die Alten das Geld und die Macht, und wir müssen machen, was sie sagen", erklärt Rakhi. "Um etwas zu verändern, brauche ich also zuerst Unabhängigkeit, und die gibt es in Indien nur mit Geld."
Nebenbei baut sie mit Aktivisten in abgelegenen Gegenden wie Kaschmir Büchereien auf. Analoge Informationen haben Vorteile – in keinem anderen Land der Erde gibt es so viele Internetsperrungen wie in Indien unter Narendra Modi: Im mehrheitlich von Muslimen bewohnten Kaschmir, dauern diese Sperrungen auch mal ein halbes Jahr.
"Wir sind ein Land junger Menschen. Die Alten werden gehen"
Am Ende unseres Gesprächs sagt Rakhi etwas, das für das Selbstvertrauen ihrer Generation steht, aber auch für ihren Realismus und Bescheidenheit:
Wir sind ein Land junger Menschen. Die Alten werden gehen. Wir werden das Gute von ihnen übernehmen und Neues dazufügen.
Dann schüttelt sie lachend den Kopf und fügt etwas Überraschendes hinzu:
Die Generation der 20-Jährigen ist schon jetzt smarter und noch besser informiert als meine – da fühle ich mich schon alt.
Es wäre vermessen, zu behaupten, dass die Rakhis die Mehrheit der indischen Jugend stellen, aber es sind schon jetzt viele, und es werden jedes Jahr spürbar mehr. Später werden sie es sein, die die indische Gesellschaft führen.
Das macht langfristig Hoffnung – auch wenn es auf dem Subkontinent politisch kurzfristig schlimm aussieht und ökologisch mittelfristig noch schlimmer werden wird.