Österreich nach der Erdrutschwahl
Hofer will als Bundespräsident TTIP nicht unterschreiben, van der Bellen keinen FPÖ-Kanzler vereidigen
Nach der Bundespräsidentenwahl in Österreich, bei der es die Kandidaten von Christ- und Sozialdemokraten auf jeweils nur knapp über zehn Prozent brachten, werten Meinungsforscher wie Peter Hajek von Public Opinion Strategies und Wolfgang Bachmayer von OGM den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, der dem vorläufigen amtlichen Endergebnis nach mit 35,05 Prozent eine klare relative Mehrheit hinter sich vereinigte, als Favoriten für die Stichwahl gegen den Grünen Alexander van der Bellen, der mit 21,34 Prozent deutlich schlechter abschnitt.
Der Burgenländer mit dem geschichtsträchtigen Namen machte in ersten Stellungnahmen unter anderem seine "Abkehr vom Politsprech" für seinen Erfolg verantwortlich. Werde er auch in der Stichwahl gewählt, dann wolle er ein "Präsident für alle Österreicher" sein, aber seine Prinzipien dafür nicht über Bord werfen. Dazu gehört seinen Worten nach, dass er neben dem Kanzler an den Treffen des Europäischen Rates teilnimmt, wenn es um wichtige Sachen geht.
TTIP nur nach Volksentscheid
Der ORF-Nachrichtensendung ZiB2 sagte der relative Wahlsieger außerdem, er werde das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP nur dann unterzeichnen, wenn sich die Österreicher in einer Volksabstimmung dafür aussprechen. Und das, so der gelernte Systemingenieur, werden sie wahrscheinlich nicht tun. Bei einem derart in wichtige Rechte eingreifenden Staatsvertrag wie TTIP reicht es seiner Meinung nach nicht, wenn die Parteien im Parlament dafür stimmen.
Hofers Gegenkandidat van der Bellen würde sich zwar nicht gegen TTIP stimmen, aber möglicherweise gegen einen FPÖ-Kanzler. Bereits im letzten Herbst deutete er an, er werde als Bundespräsident den dafür in Frage kommenden Heinz-Christian Strache nicht vereidigen, relativierte dann aber, dies sei eine "sehr hypothetische Frage" und er "hoffe", dass die FPÖ nicht stärkste Fraktion im Nationalrat werde.
ÖVP und Griss noch ohne Wahlempfehlung
Wer von den beiden verbliebenen Bewerbern in der Stichwahl siegt, wird auch davon abhängen, welche Empfehlungen die anderen Parteien aussprechen: Die ÖVP kündigte an, es dem harten Kern ihrer Anhänger, die am Sonntag für ihren Kandidaten Andreas Kohl stimmten, selbst zu überlassen, wen sie in der zweiten Runde am 22. Mai wählen. Auch die unabhängige Bewerberin Irmgard Griss, die mit 18,94 Prozent auf Platz 3 landete und von den Neos umworben wird, vermied bislang eine Festlegung. Aus der SPÖ sprachen sich dagegen mehrere Politiker - bislang einheitlich - für van der Bellen aus.
Uneinheitlicher sind bei den Sozialdemokraten die Äußerungen zu den mutmaßlichen Gründen des Versagens am Sonntag: SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid verwendete dafür schon länger bekannte Floskeln und Textbausteine wie den, dass es darum gehe "unsere Politik richtig positionieren zu können". Bundeskanzler Werner Faymann meinte, die "richtigen Konsequenzen" aus dem Wahlergebnis seien "härter arbeiten" und "stärker zusammenarbeiten", denn es sei "noch viel zu tun in einer Zeit, in der Österreich so stark gefordert" ist.
Burgenländischer SPÖ-Landeshauptmann fordert Mitgliederbefragungen
Den Kopf des Bundeskanzlers fordert bislang nur eine Minderheit - darunter Brigitte Ederer, die Personenkomiteeleiterin des gescheiterten SPÖ-Bundespräsidentschaftskandidaten und Big-Brother-Negativpreisträgers Rudolf Hundstorfer. Vor und nach einer am Montag einberufenen SPÖ-Präsidiumssitzung sagten die Teilnehmer den Medien, es gehe derzeit nicht um Personalfragen.
Es gehe "nicht um Personen, sondern um Positionen" meint auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl, der mit der FPÖ koaliert und dessen Landesverband am Sonntag das beste SPÖ-Ergebnis einfuhr. Niessl schlägt als Reaktion auf die Wählerquittung vor, die Parteibasis stärker an Entscheidungen zu beteiligen - zum Beispiel durch Mitgliederbefragungen, wie er sie im Burgenland eingeführt hat. Dass dort auch der freiheitliche Kandidat Hofer besonders gut abschnitt, erklärt er mit dessen "Heimvorteil im eigenen Bundesland".
Die Entscheidung Faymanns, auf Bundesebene nicht mit der FPÖ zu koalieren, "respektiert" der burgenländische SPÖ-Landeshauptmann nach eigenen Angaben, gibt aber zu bedenken, dass es eine schwarz-rote Koalition "nach den nächsten Wahlen ganz schwer geben wird". In aktuellen Umfragen fehlt SPÖ und ÖVP dazu die gemeinsame Parlamentsmehrheit.
Vorgezogene Neuwahlen wollen weder Faymann noch Niessl noch ÖVP-Politiker, die ihre eigene Niederlage mit einer "Grundstimmung gegen das gesamte politische Establishment" und "überzogenen Erwartungen" an die Politik erklären. Für Beobachter wie Bachmayer und Hajek ist das wenig überraschend: "Eine Neuwahl", so Hajek, "wäre im Prinzip politischer Selbstmord mit Anlauf".
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