Ohne Text
... und die anderen Meister der Kommentare
Wer kennt sie nicht, die kleinen Textzeilen einer Meinungsbekundung [O.T.] oder [Ohne Text]. Schnell kann man seinen Kommentar abliefern, denn bekanntlich liegt in der Kürze die Würze. Onlineforen leben von den Diskussionsteilnehmern, doch manchmal können sie auch zur Plage werden.
"Das meine ich auch..." oder "Dem kann ich voll zustimmen!" sind Varianten des kleinen meisterlichen Kommentars in den Nachrichtenforen der Welt. Schnell noch ein Smiley dazu gesetzt, schon ist die Sache erledigt und man ist Teilnehmer eines weltweiten Gedankenaustausches.
Mit dem Smiley kann es allerdings demnächst vorbei sein, wenn sich die Markenpiraten wieder einmal ein allgemein gebräuchliches Zeichen per Rechtsanordnung unter den Nagel reißen. Selbst die drei kleinen Punkte, die bislang als Auslassungszeichen Verwendung fanden, werden vielleicht auch unter besonderen Schutz gestellt.
Doch zurück zu den immer wieder auftauchenden Meisterkommentatoren, die sich mal eben mit einer schnell dahingeschriebenen Floskel zu Wort melden. Eigentlich kann man ja froh sein, wenn überhaupt Forumsbeiträge geschrieben werden. Nur so kann man sehen, dass überhaupt eine Kommunikation im Netz stattfindet. Sie verläuft zwar manchmal ziemlich verquer, doch immerhin findet sie statt. An eine Netikette hält man sich dabei nicht, aber es lassen sich inzwischen Muster einer User-Typologie erkennen:
- Immer wieder beliebt, der User, der alles besser weiß. Der kennt von jeder Software die fünfte Stelle hinter dem Komma und kann dir sämtliche Grafikchips auswendig mit dem Erscheinungstag vorbeten. Er kennt jeden Virus und sogar deine Passwörter. Für ihn ist nicht wichtig, was im Artikel oder der Meldung steht. Er stellt sich immer in den Vordergrund und ist eigentlich ein verkanntes und unfehlbares Genie. Wenn er Zeit und Lust hat, schreibt er gleich einen Forumsbeitrag, der sich als eigenständiger Artikel entpuppt, oder stellt allen Lesern mal schnell eine umfangreiche Linksammlung zur Verfügung. Niemand wird es wagen, sie Besserwisser zu nennen.
- Bei der Schreiberzunft ebenfalls heiß geliebt ist der User, der sogleich verkündet: "Ist doch alles ein alter Hut, das gab es doch schon anno Tobak als Messe-Ankündigung!" Unbeliebt macht er sich, wenn er betont, dass der Onlinedienst XYZ die Meldung schon längst gebracht und der Schreiber doch nur abgeschrieben habe. Von eigenständiger Recherche will er nichts wissen. Auch dieser Schreiberling liest den Text eher unvollständig. Ist ja auch ein bisschen schwer, sich auf den Bildschirm zu konzentrieren und sich an das zu erinnern, was längst schon durchgescrollt ist.
- Sich einen oder vielleicht zwei einzelne Aspekte rauszusuchen und zur Diskussion zu stellen, das macht wohl die Masse der Forumsschreiber. Um ja nichts Wichtiges zu vergessen, wird eine Unmenge des ursprünglichen Textes zitiert. Oft ist das Zitat ellenlang und der eifrige Forumsbeitragsleser findet zwei kleine Zeilen mit dem neuerlichen Kommentar. Meist entwickelt sich hier eine nette Betreffzeile: "Re:Re:Re:Re:Re:Re: Neues Thema: Bla". Spätestens bei diesem Diskussionsstand hat der Beitrag nun wirklich nichts mehr mit dem ursprünglichen Thema zu tun.
- Langweilig sind inzwischen die User, die meinen, dass man auch nach 100 Jahren immer noch auf Microsoft & Co schimpfen muss. Inzwischen gibt es reichlich Alternativen, sich nicht mit den Produkten dieser Firma auseinander setzen zu müssen. "Der Drucker ist scheiße" oder "Die Software kannste vergessen", sind Beiträge, die keine Diskussion voranbringen. Die alternativen Schreiber machen sich über alles lustig und ziehen die Produkte oder den Nutzer solcher Produkte ins Lächerliche. Der erfahrene Forumsleser zieht seinen Mauszeiger reflexartig von solchen Überschriften weg oder legt eine Liste an, die solche immer wieder auffallenden Schreiberlinge gleich ausblenden. Die Beiträge zu lesen, ist verlorene Lebenszeit.
- Psychologisch betreut werden müssen die Forumsschreiber, die eigentlich mit dem Leben rund um den Computer schon abgeschlossen haben. Kommentare, wie "da kannst du sowieso nichts machen" gehören zu den typischen Symptomen dieser Spezies. Oft helfen hier ein paar kleine Musterbriefe der Verbraucherzentrale weiter.
- Die psychologischen Berater wiederum sind aber gleich in der Nähe. Sie wittern Morgenluft, wenn wieder einmal der Datenschutz in Gefahr ist oder ein Computerspielemuseum geschlossen wird. Genmanipulationen oder Weltraumwaffen gehören zu den typischen Bedrohungsthemen. Dann wird sogleich nach dem starken Mann gefragt, denn wie sonst kann man sich vor solchen Zukunftsszenarien schützen, wenn nicht sofort ein Verbot ausgesprochen wird. Auch wenn man eigentlich der technologischen Zukunft aufgeschlossen gegenübertritt, bei bestimmten Themen geht es um Bestandssicherung. Die Bewahrer wittern überall Gefahren und wollen mit ihrer Entrüstung aufrütteln, doch nach diesen deskriptiven Maßnahmen geht ihnen eigentlich schon die Luft aus. Sich wirklich hinzustellen und eine Sache in die Hand zu nehmen, das ist von diesen Sessel-Schreiberlingen nicht zu erwarten. Einen Verein zu gründen oder sich politisch zu betätigen, liegt ihnen in der Regel fern. So bleibt es dann beim unverbindlichen, allgemeinen Netzgegrummel.
- Jugendschutzthemen sind immer beliebt, besonders im Bereich der Computerspiele gibt es inzwischen einige Millionen Experten. Jeder, der schon einmal ein Spiel gespielt hat, kann über die möglichen Wirkungen der Spiele spekulieren. Selten hat so ein Gamer schon Menschen verprügelt oder gar einen anderen erschossen. Nein, die Computerspiele tragen wirklich zur allgemeinen Befriedung der Gesellschaft bei. Eine Identifikation mit dem Spiel findet nicht statt, man schießt ja schließlich nur auf Pixel. Zwar kann man die Pixel bei modernen Computerspielen nicht mehr einzeln erkennen, aber das Argument wird dann erweitert, dass dem Spieler immer bewusst sei, dass er sich nur in einer fiktiven Spielhandlung bewegt. Das nervöse Zucken um Daumen und Zeigefinger gilt es zu vernachlässigen. Blut, Hautfetzen oder durch die Gegend fliegende Körperteile soll nach Angaben der Kritiker nur der Beobachter wahrnehmen. Der Spieler befinde sich im virtuellen Spiel und dem sei das alles egal. Richtig erklären kann aber wiederum niemand, warum es dann unbedingt die Grauimporte sein müssen, die den blutigen Metzelanteil beinhalten. Gern gesehen ist immer die Gleichsetzung von Indizierung und Zensur. Ist ja auch ein anklagendes Argument, einer Bundesbehörde wie der Bundesprüfstelle vorzuwerfen, dass sie das Grundgesetz missachte. Eine wirkliche Theoriedebatte ist in der Geschichte der Computerspiele zumindest in einem Onlineforum noch nie geführt worden.
- Immer wieder gibt es die Pedanten und Kleinkarierten, die jeden noch so kleinen Fehler in der Rechtschreibung oder Grammatik aufspüren. Schade, dass es noch keine weltweite High-Score-Liste gibt, schließlich gibt es auch Sammler von Filmausschnitten, bei denen der Schattenwurf nach dem Schnitt nicht stimmt oder in denen Ben Hur eine Armbanduhr trägt. Im Fernsehen lebt Stefan Raab als Trüffelschwein ganz gut von der Schadenfreude. Doch auch er wird eines Tages merken, dass alles mit der Zeit einen schalen Geschmack annimmt. Echte Trüffel sind eben rar.
- Komisch ist der Typ, der meint, dass der Artikel doch vom Inhalt nichts an dieser Stelle zu suchen habe. Vorlaut bekundet er, dass jetzt Boulevardjournalismus betrieben werde und man sich dem Niveau der Bild annähere. Die Steigerung ist der Kommentar: "Was soll denn das Thema hier", dabei ist die Überschrift oft schon eindeutig. Das sind die Typen der Kategorie, die eine Zeitung oder Zeitschrift immer noch nicht selektiv lesen können. Hier scheint die Vermittlung der Medienkompetenz durch die Schule versagt zu haben.
- Schön ist es doch, wenn man als Forumsteilnehmer dem Autor endlich direkt seine Meinung geigen kann. Im Fernsehen, Radio oder in der Zeitung hat man ja sonst keine Chance, also wird sich im Onlineforum regelrecht ausgetobt. Bekanntlich wird eher getadelt als gelobt. Dabei sind schreibende Menschen doch hoch sensibel und brauchen auch mal Streicheleinheiten. Auffallend ist auch die Tendenz, sich im Forum gegenseitig aufs Unflätigste zu beschimpfen. Virtuelle Freund- und Feindschaften werden ebenso wie im realen Leben gepflegt.
- Vergessen wollen wir den armen, einsamen Rufer nicht. Er schreit seine Textzeilen in auffallend großen Buchstaben durch die Lande. "MENSCH LIES RICHTIG!" Um seine Ansichten, Ermahnungen, Aufforderungen oder Beschimpfungen zu unterstreichen, nutzt er die Palette der Tastatur voll aus. Doch meist bleibt es eben nur beim Ausrufezeichen!
- Der Kontakter nutzt das öffentliche Forum gleich zur privaten Kontaktpflege und fragt schon einmal gleich nach: "Mensch, wo warst du denn gestern? Ich hab dich gar nicht in der Disco gesehen." Diese zwischenmenschlich absolut verständigen Menschen schaffen es sogar, der Welt mitzuteilen, dass man sich ja gleich in der Schule sehe. So lieben wir unsere Jugend, schnell, einfach und unkompliziert wird alles zum Eigennutz umfunktioniert. Normen, Werte oder Regeln sind für die anderen und die Bewahrer stöhnen bei derartigem Funktionswandel wieder einmal laut vernehmlich auf.
Na, wieder erkannt? Oder welche Typen sind in diesem Text vergessen worden? Wer wird sich als Erster zu Wort melden und welcher Kategorie wird er angehören? Wird es ein Mann oder eine Frau sein, wird die Glosse erkannt oder ernst genommen? Darf man sich über Forumsschreiber lustig machen oder muss man das Thema hoch wissenschaftlich angehen und gleich eine Studie mit 60.000 Usern und einigen Hunderttausend Beiträgen vorlegen? Fragen über Fragen [Ohne Text].