Online-Meinungskampf: Startet der Westen mit "Elfen" nun den Trollkrieg gegen Russland?
"Elfen" sind eigentlich bezahlte, prowestliche Internet-Trolle. Nun sind sie im russischen Netz gegen den Kreml unterwegs. Ihre Methoden gleichen denen ihrer Gegner.
Als die Nowaja Gaseta 2013 die Machenschaften der Sankt Petersburger Trollfabrik des damals kremlnahen Oligarchen Jewgeni Prigoschin aufdeckte, ging ein Aufschrei durch die westliche Presse. Tatsächlich sollten Russen, die dort fest angestellt waren, gegen Bezahlung regierungsnahe russische Posts unter der Verwendung von Fake-Accounts auf den wichtigsten westlichen Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter unterbringen.
Zahlreiche Vorwürfe gegen die Einrichtung wurden erhoben, etwa die Unterstützung des Brexits durch die Trolle oder die Einflussnahme auf den US-Wahlkampf 2016. Prigoschin selbst geriet 2018 wegen der Trollfabrik auf die westliche Sanktionsliste.
Prigoschin bekannte sich erst spät zur Trollfabrik
Lange blieb die Einrichtung, die neben der Desinformation auch ein Netz von russischsprachigen Onlinezeitungen betrieb, von Geheimnissen umwittert, obwohl die internen Verhältnisse den Sankt Petersburgern selbst durch örtliche Veröffentlichungen bekannt waren.
Dazu trug bei, dass sich Prigoschin zu seiner Einrichtung erst Anfang 2023 bekannte, ein halbes Jahr vor seinem Aufstand gegen den Kreml und dem kurz darauffolgenden Tod.
Wie effektiv die Trollfabrik arbeitete, ist umstritten. Fortgeführt wird sie aktuell nach Informationen der Nowye Iswestija von Prigoschins Sohn Pawel. Der soll mit dem früheren RIA Novosti-Journalisten Ilja Gorbunow in leitender Funktion auf das unter seinem Vater bewährte Team setzen.
Georgien und Litauen als Standorte einer neuen Fabrik
Etwas überraschend mutet es angesichts der westlichen Empörung über die russischen Internet-Trolle an, dass jetzt Meldungen über eine eigene, aus den USA finanzierte Bot-Farm mit Zielrichtung Russland auftauchen, etwa in der libertären Onlinepublikation SVTV. Deren Berichte werden auch in mehreren führenden exilrussischen Zeitungen wie Meduza aufgriffen.
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Die Arbeit in der neuen Organisation läuft laut SVTV und Meduza mit zwei Büros in Tiflis in Georgien und Wilnius in Litauen analog zur Trollfabrik ab: Man beeinflusst mit Posts über Fake-Accounts interne Stimmungen – gegen den Kreml.
Die Beschäftigten seien gemäß der Medienberichte sozialversichert angestellt, wofür SVTV als Beleg entsprechend gescannte Dokumente postete. Anders als die Kreml-Trolle arbeiten die neuen nur in Sozialen Medien, die in Russland weitverbreitet sind: VK.com oder Odnoklassniki.
Die Mitarbeitenden werden intern auch nicht wie ihr Gegenstück, das Putin zu Diensten war, als "Trolle", sondern als "Elfen" bezeichnet. Man habe sozusagen eine "Elfenfabrik" als Gegenspieler der Petersburger geschaffen. Finanzier sei die in Washington registrierten "Free Russia Foundation", die die Mittel dafür von "großen internationalen US-Stiftungen" bekäme.
SVTV bezeichnet dabei den früheren Leiter der Moskauer Zentrale von Alexej Nawalny, Oleg Stepanow, als Führungsfigur des Bot-Netzes und seines Elfenheers. 170 Mitarbeitende seien dort beschäftigt, während die Troll-Fabrik von Prigoschin mit den angeschlossenen Zeitungen etwa 800 Beschäftigte haben soll.
Bereits vor der Enthüllung Thema in Sankt Petersburg
Die Meldung von SVTV ist nicht der einzige Beleg für die Einrichtung. Bereits im Oktober 2022 meldete die Sankt Petersburger Stadtzeitung Fontanka von ausgewanderten Landsleuten, die für 52 US-Dollar am Tag als "Elfen" in Tiflis tätig seien.
Nur die Zweigstelle im Baltikum war den Petersburger Journalisten noch nicht bekannt. Pikant an ihrer Enthüllung ist, dass Fontanka auch in Bezug auf die Trollfabrik in der eigenen Stadt einiges an Aufklärungsarbeit geleistet hatte. Ebenfalls befragt wurden frühere "Elfen" vom Telegramkanal SOTA.
Neben Postings gegen den Krieg verbreiten die "Elfen" nach den Berichten solche gegen kremlnahe Prominente in Russland, aber auch gegen andere Oppositionelle wie den Youtuber Maxim Katz, die ein angespanntes Verhältnis zu Alexej Nawalny haben.
Die "Elfen" selbst sind überzeugte Gegner Putins. SVTV berichtet auch über geleakte Kommunikation zwischen ihnen, worin sie ihre Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen ausdrücken. Unzufriedene Angestellte sollen SVTV die Dokumente über die Einrichtung zugespielt haben.
Nawalnys Stiftung bestreitet Beteiligung
Ähnlich wie Prigoschin jahrelang bei seiner Einrichtung, bestreitet die Antikorruptionsstiftung FBK von Nawalny jede offizielle Beteiligung an der "Elfenfabrik", obwohl mehrere Aktivisten der Stiftung als führende Beschäftigte nun bekannt sind. Maria Pewtschich von FBK bezichtigt die betreffen Medien der Verbreitung von "absichtlichen Fake-News".
Dagegen bestätigte die US-finanzierte "Free Russia Foundation" der exilrussischen Onlinezeitung The Insider ihre Beteiligung. Sie bezeichneten die "Elfenfabrik" als Projekt, damit die Russen "nicht von ihren Behörden und dem Kreml zombifiziert werden".
Meinung liberaler Russen ist gespalten
The Insider beziffert die Menge an Posts, die die "Elfen"-Einrichtung veröffentlicht, auf monatlich 160.000, die auf 900 regierungsnahen russischen Seiten erscheinen. Ein Protestaufschrei angesichts der Methoden, die mit denen der Trollfabrik identisch sind, bleibt in den großen deutschen Medien bisher aus.
Ein großes Thema sind die Beeinflussungsmethoden jedoch in den Kreisen liberaler russischer Oppositioneller, von denen sich viele vor Verhaftungen ins Ausland absetzen mussten. "Ich halte eine Troll-/Elfenfabrik der Free Russia Foundation für erwiesen. Ich stehe solchen Praktiken skeptisch und negativ gegenüber", sagt der liberale Journalist Andrej Sacharow laut Fontanka, der selbst in Russland als ausländischer Agent gebrandmarkt.
Er wisse jedoch, dass andere Oppositionelle anderer Meinung seien, auch wenn sie das Management der Elfen ebenfalls für "korrupt" halten.