Open Fire: Das tödlichste Jahr für Palästinenser unter israelischer Besatzung
Seite 2: Bewaffnete, maskierte Siedler terrorisieren ganze Gemeinden
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Aber nicht nur Soldaten sind an der Gewalt beteiligt. B’Tselem listet acht Palästinenser auf, die im letzten Jahr von israelischen Zivilisten allein oder unterstützt von israelischen Streitkräften im Westjordanland getötet wurden. Fanatische Siedler, die auf dem Land palästinensischer Familien gebaut haben und bewaffnet herumlaufen, bereiten auch den UN-Menschenrechtsexperten besondere Sorgen.
Bewaffnete und maskierte israelische Siedler greifen Palästinenser in ihren Häusern an, attackieren Kinder auf dem Weg zur Schule, zerstören Eigentum und brennen Olivenhaine nieder und terrorisieren ganze Gemeinden völlig ungestraft.
Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation sind nur 42 der palästinensischen Opfer in bewaffneten Konflikten umgekommen. Die überwiegende Mehrheit der Opfer sind Unbeteiligte oder Zivilisten, die bei Razzien durch israelische Streitkräfte starben. Die meisten Getöteten waren zudem unbewaffnet. Manche warfen Steine oder gelegentlich Molotowcocktails in Richtung der Soldaten, ohne eine wirkliche Gefahr für sie darzustellen. Die Tötungen seien daher, so B’Tselem, überwiegend "unrechtmäßig, unmoralisch und nicht zu rechtfertigen".
So wurde der 16-jährige Nader Rayan auf der Flucht vor Polizisten in den Rücken geschossen, die auch nach seinem Sturz weiter auf ihn schossen. Oder ein weiterer beliebiger Fall. Am 11. Mai letzten Jahres töteten israelische Soldaten den ebenfalls 16 Jahre alten Thaer Mislet, der vom Straßenrand eine Szene beobachtete, bei der Steine geworfen wurden.
Andere Palästinenser erschoss man auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Heimweg von der Schule. Ein 57-jähriger Diabetiker erstickte bei einer Razzia an Tränengas. Ein 80-Jähriger starb bei einer Kontrolle. Die Soldaten behaupteten, er habe sich "der Überprüfung widersetzt". Sie schleiften ihn rund 200 Meter über den Boden, knebelten und fesselten ihn und warfen ihn mit verbundenen Augen in ein Lagerhaus, wo er an einem Herzinfarkt starb. Seine Leiche wurde zurückgelassen.
Der Tod des 80-jährigen Omar As'ad erhielt große Aufmerksamkeit in den Medien, weil er einen US-Pass besaß. Das Gleiche gilt für die TV-Journalistin Shireen Abu Akleh, die von israelischen Soldaten mit einem gezielten Kopfschuss niedergestreckt wurde, wie mehrere Untersuchungen zeigen. Sie trug einen Helm und eine Schutzweste, beide mit Presse-Aufschrift, als sie im Westjordanland unterwegs war. Telepolis hat darüber mehrfach berichtet. Die vielen anderen Fälle, bei denen Palästinenser getötet werden, erhalten aber meist keine Beachtung.
Die israelischen Streitkräfte zerstörten im letzten Jahr zudem 950 palästinensische Häuser. Mehr als 9.000 Palästinenser wurden bei unterschiedlichen Gewalttaten verwundet. Die UN-Berichterstatter für Menschenrechte in den besetzten Gebieten warnen vor einem zunehmenden Erosionsprozess, genährt von einer immer brutaler ausgestalteten Okkupationspolitik:
Die illegale Besiedlung stellt eine Bedrohung für die israelische Gesellschaft als Ganzes dar. Wenn die israelischen Streitkräfte die vorherrschende Siedlermentalität nicht aufgeben und die Palästinenser in den besetzten Gebieten nicht rechtmäßig als geschützte Personen behandeln, wird sich Israels beklagenswerte Bilanz im besetzten Westjordanland im Jahr 2023 wahrscheinlich weiter verschlechtern. Unter Israels repressiver Besatzung kann keine friedliche Lösung angestrebt werden: eine Realität, die ein Weckruf für alle Entscheidungsträger sein sollte.
Das gilt sicherlich auch in Hinsicht auf die Bildung der rechtsextremsten Regierung in der Geschichte Israels unter Benjamin Netanjahu. In ihr agieren Kabinettsmitglieder, die selbst illegale Landbesetzer auf gestohlenem palästinensischem Land sind und sich für weiteren Diebstahl einsetzen. Auch andere wichtige Posten im Militär und den Gerichten werden zunehmend mit Siedlern besetzt.