"Oppenheimer": Atomkrieg am Horizont – und die ethischen Fragen
Bild: © Universal Pictures
Christopher Nolan verfilmt den Prometheus des 20. Jahrhunderts: "Oppenheimer". Der Film ist ĂĽberdurchschnittlich gut. Es bleiben die politisch-ethischen Fragen.
You can not move the stone without waking the snake underneath it.
J. Robert Oppenheimer, im Film
This is not a new weapon, but a new world.
Niels Bohr, im Film
Jetzt ist es wieder so weit. Ein Atomkrieg steht am Horizont, seine Möglichkeit wird in Talkshows, mal erregt, mal kaltblütig debattiert – und die gleichen besorgten Bürger sehnen parallel seit Wochen voller Erwartungsfreude "Oppenheimer" herbei. Christopher Nolans Film über den "Vater der Atombombe", den amerikanischen Prometheus.
Oder ist das alles eben doch einfach US-Propaganda?
Der Film zeigt uns Innenansichten eines ethisch Zerrissenen. Eines Zauberlehrlings, der die Geister, die er rief, nicht mehr loswurde. Der Film zeigt uns immerhin auch, wie gern er sie zuerst gerufen hat.
Es gehört zu diesem Typ von Hollywood-Wissenschaftler-Portraits, dass diese als Menschen beschrieben, werden, die in jeder Faser von großem ethischem Ernst durchzogen und von Skrupeln gequält sind, die es sich nicht leicht machen, die nie frivol sind, die unter der ethischen Bürde, die sie belastet, schwer leiden.
Wenn sie es nicht tun, wenn sie einfach Spaß haben und frivol sind, dann sind es "mad scientists", "verrückte Wissenschaftler", die größenwahnsinnig entweder alle Menschen töten, oder die Weltherrschaft wollen und die als Antagonisten fungieren. Oder sie sind bizarre Kranke wie "Dr. Strangelove" im gleichnamigen Stanley Kubrick-Film.
Hier aber eben ein Ernster, Leidender, Zerrissener. Hier ein gutes US-Amerika, dass es sich nicht einfach macht, in dem es auch Menschen mit Macht- und Kapitalinteressen gibt, aber eben nicht nur. In dem der Gebrauch der Atombombe das letzte Mittel ist, um einen Krieg zu beenden und um die eigenen Soldaten zu schonen – mehr pragmatisch, als ideologisch und in jedem Fall nicht grundsätzlich menschenverachtend gedacht.
Oppenheimer (0 Bilder) [1]
Oder ist das alles eben doch einfach US-Propaganda? Die alten Männer in ihren grauen Anzügen, die das Weiße Haus kontrollieren, wie ein Marionettenspieler seine Puppen, haben eigentlich den Atomkrieg "gegen Putin" längst beschlossen und benutzen solche Filme, um uns nicht nur emotional darauf einzustimmen, sondern klarzumachen, dass gegen Weltfeinde wie die Nazis, das japanische Kaiserreich und die Soffjets nur der stärkste Hammer hilft.
Zynischer Kinogenuss
"Wo spürt man die Atombombe richtig?", fragte ein Kritikerkollege lachend bei der Berliner Pressevorführung zu diesem Film. Die "zynische Vernunft" und ihre Abklärung der Aufklärung sind längst Gemeingut geworden, nicht nur unter den Verächtern ihrer gebildeten Masse.
Man sitzt dann weit vorne, aber eine Atombombe hat man auch nach drei Stunden nicht gespĂĽrt. Die Atombombe muss man sich schon denken und vorstellen, um nachzuvollziehen, was den Akteuren von "Los Alamos" vor 80 Jahren im Kopf herumging.
Darf man die im Atom schlummernden Kräfte entfesseln und dem Menschen nutzbar machen? Ist es besser, nicht alles zu tun, was machbar ist – oder gibt man damit ethisch brisante Fragen nur in unbefugtere Hände?
Wer könnte besser über Atomtechnik entscheiden als die Wissenschaftler, die sie verstehen und einschätzen können? Der US-Präsident und die Militärs? Die potentiellen Opfer? Eine demokratische Massenabstimmung? Die ganze Welt?
Der Atomspion Klaus Fuchs, der in diesem Film natĂĽrlich auch vorkommt, hat die Frage mit "Ich" beantwortet, und Stalin die Waffe in die Hand gegeben. Fuchs war natĂĽrlich ein Deutscher. Und zwar ein deutscher Idealist, der die Welt mal wieder nicht voranbrachte.
Grundsätzlich stellen sich die Fragen: Was will der Film eigentlich? Was will er erklären? Was will er erzählen?
Die Ordnung der Dinge
Die ersten Bilder zeigen Regentropfen. Sie treffen auf WasserpfĂĽtzen und formen dort geometrisch exakte Kreise, die zum Teil ineinander greifen und Schnittmengen bilden. Es gibt eine Ordnung der Dinge, die alles verbindet, suggeriert dieses Bild, und der Mann, der sie so gedankenverloren, mit tiefgrĂĽndigem Blick ansieht, schaut tiefer als andere; er ahnt etwas von dieser Ordnung, und er wird sie enthĂĽllen und sie sich untertan machen.
Nur wenige wissenschaftliche Biographien im 20. Jahrhundert sind ähnlich spannend, facettenreich und auch für das Kino faszinierend, wie das Leben von J. Robert Oppenheimer (1904-1967). Oppenheimer, ein hochbegabter US-amerikanischer Quantenphysiker, wurde 1943 zum Leiter des Atombombenforschungszentrums in Los Alamos, New Mexico, berufen und sowohl als Organisator, wie auch durch eigene Erfindungen und Beiträge zum "Vater der Atombombe".
Nicht zum ersten Mal ist Oppenheimers Biografie nun Gegenstand eines Kinofilms. Auch im Fernsehen widmen sich dokumentarische wie fiktionale Formate immer wieder dieser so vielschichtigen wie abgründigen Biografie und damit auch der Geschichte der Atombombe und der Möglichkeit des Menschen, sich selbst und die ganze Erde zu vernichten.
Lesetipp: J. Robert Oppenheimer und die Atombombe [3].
"American Prometheus" heißt die bisher maßgebliche Biografie Oppenheimers, nach dem Halbgott, der den olympischen Göttern das Feuer raubte. Es ist ein Buch, auf das sich auch der Regisseur Christopher Nolan in seinem neuen Film beruft.
Auf rund 900 Seiten beschreiben darin die Autoren ein widersprüchliches Leben, das so reich an Aspekten und Schattierungen ist, dass man, wollte man dieses Buch wirklich halbwegs angemessen verfilmen, eine Miniserie von mindestens 12 Teilen gebraucht hätte.
Frauen, Quanten, Management - ein politisch Naiver und ein Zirkusdompteur
Denn mindestens drei Geschichten kann und muss man über Oppenheimer erzählen - und sie sind auch auf die eine oder andere Weise im Film bereits erzählt worden: Da ist die persönliche Lebensgeschichte eines Wissenschaftlers, der schon früh sowohl durch seine Persönlichkeit wie durch sein besonderes Genie zum Außenseiter auch unter seinesgleichen wurde, der zugleich ein exzellenter Universitätslehrer war und als solcher ein charismatisches Vorbild für seine vielen Studenten.
Und da ist der Mann, der bei Frauen gut ankommt, der eine komplizierte, aber lange und loyale Ehe mit einer Alkoholikerin fĂĽhrte und zugleich eine Geliebte hatte, die in der Kommunistischen Partei aktiv war und sich Anfang 1945 wohl auch aus Liebeskummer das Leben nahm.
Da ist politisch Naiver, der seit den 1930er-Jahren bis zum Ende seines Lebens Sozialist war und viele Freundschaften zu Kommunisten hatte – was ihn spätestens mit Beginn des Kalten Krieges in große Schwierigkeiten brachte und mit der Sicherheitsfreigabe auch einen wesentlichen Teil seiner Karriere und wahrscheinlich den Nobelpreis kostete.
Zweitens ist da die Geschichte der heroischen Phase der Physik, in der man zwischen 1900 und 1945 das Atom, die Radioaktivität, die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, die Kernspaltung und schließlich die Nutzung der Kernenergie entdeckte.
Und schließlich die nicht minder heroische Geschichte des Baus der Atombombe selbst – also die nach wie vor von vielen Mythen umwobene Geschichte von Los Alamos, dem Miteinander zwischen Wissenschaft und Militär.
Oppenheimer war ein genialer Improvisator und guter Organisator, zumal es äußerst kompliziert war, diesen Haufen von egomanischen Individualisten mit verschiedensten Theorie-Schwerpunkten und einer starken persönlichen Konkurrenz untereinander zu managen und oft genug auch zu bändigen.
Oppenheimer in Los Alamos – das ist auch die Geschichte eines Zirkusdompteurs.
Die Erhabenheit der Bombe
Das Ergebnis, das jetzt im Kino läuft, hat drei Kapitel von jeweils etwa einer Stunde Länge und ist relativ chronologisch erzählt. Zunächst der Werdegang, die kulturellen Einflüsse und die Begegnungen mit Nils Bohr und Albert Einstein.
Im Rückblick ist dieser Abschnitt des Films einer der allerbesten. Während des Films dachte ich: "Es geht dann alles zu schnell; es wird gewissermaßen abgehakt, auch ein bisschen zu brav, ein bisschen zu chronologisch." Aber es funktioniert.
Was auch gut funktioniert, ist das Umreißen der Persönlichkeit in dieser Phase, der Einflüsse auf sie. Am Ende ist gerade dieser Anfang, in dem sich die Figur des Oppenheimer aus Fragmenten und Einzelteilen gewissermaßen kubistisch zusammensetzt, auch widersprüchlich, sehr stark.
Dann die Entwicklung der Atombombe selbst bis zum entscheidenden, welterschütternden "Trinity"-Test. Der wirklich tolle Moment ist Trinity. Und doch geradezu etwas verschenkt ... Weil die Fallhöhe, die Erhabenheit des Augenblicks nicht so deutlich wird wie in anderen Filmen, selbst dem eher verschnarchten "Fat Man and Little Boy" von Roland Joffe [4].
Schließlich die Zeit danach: Die Angriffe der Neider und die Kommunistenhatz sowie Oppenheimers zunehmende moralische Zweifel. Auch dieser Film verschweigt allerdings einige der für seine Verteidiger unappetitlicheren Aspekte von Oppenheimers Leben - vor allem die Tatsache, dass dieses Opfer der antikommunistischen "Hexenjagd" im Verhör bereitwillig Namen von "Mitläufern" nannte.
Vor allem diese letzte Stunde macht den Film kaputt. Drei Stunden Länge ist bei einem guten Film kein Problem, aber hier kommt es einem nicht kurz vor, sondern wie ein überlanger Epilog.
Das FBI als Biograf
Insgesamt ist alles stimmig und gut erzählt, ein überdurchschnittlicher Film, aber auch ein recht vorhersehbarer. Und er geht in seinen Fakten und Episoden auch eigentlich nie über die 40 Jahre alte preisgekrönte BBC-Miniserie von Barry Davis und Peter Prince zu Oppenheimer hinaus – dies (im Deutschen auf DVD unter "J.Robert Oppenheimer - Atomphysiker") ist die bisher gelungenste Darstellung des "Vaters der Atombombe".
Das größte Problem von "Oppenheimer" ist seine Unentschiedenheit. Der Film versucht alles zu erzählen, aber erzählt darum nichts richtig und gewichtet nicht genug, hakt davor allzu viel ab.
Er erklärt viel, aber an den entscheidenden Stellen nicht das Interessante: Wer denn Lewis Strauss [5] eigentlich war, kann man nur ahnen; wir sollen ihn aber wichtig nehmen. Wer denn Vannevar Bush war, den Matthew Modine würdevoll verknöchert spielt, nämlich eine der interessantesten Figuren der US-Politik des 20. Jahrhunderts, muss man nicht wissen, aber wer Werner Heisenberg war, zu dem die oberflächliche Arroganz von Matthias Schweighöfer übrigens überraschend gut passt, das wird uns ja auch erklärt, obwohl der Mann keine Minute Leinwandzeit hat.
Wir erfahren nichts Neues zu Oppenheimers Frau Kitty, nichts Neues zu seiner kommunistischen Geliebten Jean Tatlock. Alles, was gezeigt wird, ist nur illustrativ. Zum Beispiel wird nie klar, warum er Kitty überhaupt plötzlich heiratet, und warum Jean zuvor seine Heiratsanträge mehrfach abgelehnt hat, möchte man schon auch gerne wissen.
Alles, was wir hier sehen, haben wir zum Teil in identischen Bilder und Abläufen (sie sind schließlich im Fall von Jean durch detaillierte FBI-Berichte beglaubigt) in der erwähnten BBC-Serie, aber auch in "Fat Man and Little Boy" von Roland Joffe bereits gesehen. Warum will sich hier Nolan nicht die Freiheit zur Erfindung nehmen, die er sich in zwei fiktiven Gesprächen zwischen Oppenheimer und Einstein jederzeit nimmt?
Vermutlich, weil ihn Oppenheimers Frauengeschichten und seine Ehe wenig interessieren. Man kann mit gutem Recht fragen, ob eigentlich die Ehe, die Liebesverhältnisse von Oppenheimer so interessant sind? Man könnte Ähnliches von mindestens einer Milliarde Ehemänner im 20. Jahrhundert auch erzählen.
Wenn Nolan sie aber erzählt, dann sollte er sich die Mühe machen, den Vorgängerfilmen etwas hinzuzufügen.
So erscheint "Oppenheimer" als ein Film, der sich mit den falschen Fragen zu lange befasst, mit persönlichen Intrigen, mit Verrat, mit persönlichem Beleidigt-sein, damit, wer, wem die Hand gibt und warum nicht.
Outcast und Aktivist
Am Ende wird weder die oft einseitige Idealisierung der Person Oppenheimers infrage gestellt, noch wird der Mann richtig idealisiert.
Oppenheimer war im Zweifelsfall ein pragmatischer Realist, der zwar einerseits zeitlebens von sozialistischen Ideen angezogen war, aber nicht dumm oder begeistert genug, in die Partei einzutreten.
Der andererseits entgegen mancher heutigen Legende den Atombombeneinsatz auf Japan ohne Vorwarnung immer begrüßt hatte. Der vor allem aber die einmalige persönliche Chance sah, die ihm die Armee mit dem Leitungsposten von Los Alamos anbot – und ergriff.
Man könnte das Oppenheimer-Bild also etwas weniger vom konventionellen Genie-Gedanken leiten lassen – der auf der Leinwand recht cheesy mit Funken, Blitzen und elektrischen Spannungsentladungen illustriert wird – und auch die Frage stellen, wo der späte Oppenheimer, der ein Outcast war und ein Aktivist, in die Reihe jener Genies gehört, die im Alter das Werk ihrer Jugend zurückweisen und in Teilen zerstören. Er wäre nicht der Erste.
Der Oppenheimer, den Nolan uns zeigt, ist der Oppenheimer, den wir uns wünschen, den wir uns seit 80 Jahren zurecht gebastelt haben. Aber ist er auch der wirkliche Oppenheimer? Irgendwann läuft das auf das sentimentale Klischee hinaus, dass da ein Zauberlehrling ist, der die Geister, die er rief, nicht mehr loswird.
Kein Nolan-Film
Wie erzählt man von dem Einsatz der Atombombe? Obwohl der Film vom historischen Moment und der wissenschaftlich-technischen Leistung spürbar fasziniert ist, und diese Faszination auf die Zuschauer zu übertragen versucht, sehen wir keine Bilder von Hiroshima. Das kann man hier auch machen, aber vielleicht sollte man auf eine andere Weise deutlich und nicht nur verschämt en passent zum Ausdruck bringen: Da war noch was.
Die Figur in jedem Fall passt zu den zerrissenen Hauptfiguren vieler Nolan-Filme. Aus dieser Feststellung folgt aber nichts.
Gemessen daran, was man von Regisseur Christopher Nolan, einem der großen originellen Künstler des Gegenwartskinos, eigentlich erwarten muss, bleibt dieser Film überaus unbefriedigend. Zum ersten Mal in einem Nolan-Film fehlt die für Nolan typische verschachtelte Erzählweise.
Auf hohem Niveau enttäuscht der Film: Dies ist ein gutes, aber konventionelles Biopic über Oppenheimer, kein Nolan-Film. Er entscheidet sich nicht für bestimmte Zugänge, sondern arbeitet seine Themen brav ab, ohne neue Themen zu setzen.
Der Ausgang ist bekannt
Schließlich bleibt das Problem natürlich, dass reale Geschichte selbst unglaublich spannend ist. Was will Fiktion hier hinzufügen? Es müsst schon etwas Fiktionales sein, oder etwas Formales, jedenfalls Ästhetik.
Zudem ist der Ausgang bekannt. Nur wer ĂĽberhaupt nichts weiĂź, wird von dem, was er im Film sieht, wirklich ĂĽberrascht sein. Wer aber ĂĽberhaupt nichts weiĂź, wird sich in diesem Film aus anderen GrĂĽnden nicht zurechtfinden.
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[3] https://www.telepolis.de/features/J-Robert-Oppenheimer-und-die-Atombombe-9218385.html
[4] https://www.youtube.com/watch?v=emVaK5MoPBg
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Lewis_Strauss
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